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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 13.1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.3622#0412
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BESPRECHUNGEN. 407

hang des Ursprungs herauszulösen. Aber so sicher man im ersten Ansetzen den
unterscheidenden Schnitt zu führen vermeint, die Hand wird schließlich zögernd.
Sie spürt das Durchgehen von Querlagen. Ist Kunstwissenschaft ohne Kunstgenuß
möglich? Und weist der Kunstgenuß nicht wenigstens eine Schichtung auf, durch
die ein progressiver Zusammenhang mit der Kunstwissenschaft bedingt ist ? Damit
ist kein neuer Gesichtspunkt aufgestellt. Aber überträgt man diese Fragen auf die
Art, wie Waldmann Werke von Dürer, wie vor allem die »Melancholie«, dann auch
die »Eifersucht«, das »Meerwunder«, den »Verzweifelnden« dem Genuß zu er-
schließen sucht, so gewinnt diese Art an Bedeutung. Er legt auf das psychologische
und auf das formale Moment das Hauptgewicht. Aus der besonderen Art der
Phantasie Dürers, aus Dürers Bedürfnis, seine neue Aktkunst zu zeigen, aus den
Elementen der Bildwirkung gewinnt Waldmann die »Erklärung« eines Blattes,
z. B. der »Eifersucht«: »Man kann sich vorstellen, daß einem Künstler, der sich leiden-
schaftlich in Studien und Zeichnungen um das Problem des nackten Körpers mühte,
sich seine inneren Bilder aus irgend einem Anlaß, sei es im Traum, sei es bei der
Lektüre, plötzlich zu solcher Greifbarkeit verdichteten, ohne daß er von Anfang an
eine Erzählerabsicht dabei hatte« (II, 77 f.). Oder vom »Meerwunder« sagt Wald-
mann: »Mag eine Aktstudie den Anlaß gegeben haben, ... die Traumgewalt, das
Bild, das schließlich daraus entstanden ist, wird in seiner Erscheinungskraft da-
durch nicht erschüttert« (II, 79). Die Frage nach den etwaigen literarischen Quellen
oder nach den formalen Anregungen durch Werke der bildenden Kunst kümmert
den Verfasser nicht sonderlich. »Die Phantasie, die geistige Bilder schafft und ihnen
sichtbare Gestalt verleiht, ist das wahrhaft Schöpferische« (II, 84). Auch darnach
fragt er nicht viel, wie Dürers Zeitgenossen, die Nürnberger Humanisten ein-
geschlossen, die Blätter verstanden haben, wie sie mit ihnen zurechtkommen
konnten. »Der einfache menschliche Kern dieser Gedankenphantasie« (II, 84) ist
bildhaft. »An die letzten Beziehungen und Gedankengänge kann man nicht rühren,
sie sind und bleiben Traumwerk« (II, 85). Es ist wohl ersichtlich, wie sich hierin
die inhaltliche und die formale Seite glücklich verbinden: nicht zu einem Wissen,
sondern zu einem Sehen und Erleben des Kunstwerks. Nur daß das rein wissen-
schaftliche Interesse unter Umständen doch sich noch der rein historischen Frage-
stellung bedienen muß, und daß deren Ergebnis dann auch über die wissenschaftliche
Forschung hinaus wirksam werden kann. Vielleicht macht es sich an Waldmanns
interessanter Deutung der »Melencolia« bemerkbar, daß er unserer Generation
Dürers Kunst vor Augen stellen wollte. Er schreibt: ». . . am Himmel blitzt ein
Komet auf, und das einzig Lebendige auf der Erde ist die Flamme in dem Tiegel
und die wachen Augen der Frau. Das kann nichts anderes bedeuten als die Tätig-
keit des Geistes, der, dem Element des Feuers gleich, ewig wach ist und über die
mechanischen Dinge herrscht, der wohl trübe und dumpf und tiefsinnig dabei werden
kann (wodurch? d. Ref.), aber doch leuchtet wie ein Licht in der Nacht« (II, 85).
Das Herausholen des menschlichen Grundgedankens verlangt unter Umständen
doch die Anwendung der historischen Methode. Auch das ist keine neue Erkenntnis.
Es kann sich nur darum handeln, darauf hinzuweisen, daß das große Gewicht, das
der Verfasser in die Wagschale legt, wenn er betont: »Jede Generation sieht ihren
Dürer anders«, doch auch zum Übergewicht werden kann.

Waldmanns Dürerbuch ist zweifellos dem Zweck, dem es dienen will, sehr gut
angepaßt. Der erste Band, der die Lebensgeschichte gibt, liest sich geradezu wie
ein historischer Roman bester Art. (Die letzte Zeit brachte auch einen »wirklichen«
Dürer-Roman: Wahrheitsucher von B. Prilipp. Berlin Lichterfelde. In ihm ist aber
Hans Dürer, der Bruder, die Hauptfigur.) Die Literatur ist aufs glücklichste ver-
 
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