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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Waetzoldt, Wilhelm: Die Begründung der deutschen Kunstwissenschaft durch Christ und Winckelmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0170
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166 WILHELM WAETZOLDT.

fragen und einzelnen Künstlern. Ihm fehlt noch durchaus die Ein-
sicht in die Kunst als eine gewordene und gewachsene Gesamtheit
von Erscheinungen. Winckelmann erkannte, daß Kunstwerke nicht
nur illustrieren und monumentalisieren, sondern Sinn und Wert in
sich selbst tragen — und dadurch schuf er sich aus einem Antiquar
zu einem Kunsthistoriker um. Christs kunsthistorische Forschungen
bleiben dagegen stets ein Stück Altertumswissenschaft.

Wir fragen hier nicht nach den Lorbeeren, die Christ als Professor
der Geschichte und Dichtkunst auf philologischen Feldern geerntet hat,
sondern einzig nach seiner Bedeutung als Kunstwissenschaftler. In der
Geschichte unserer Wissenschaft hat er zunächst einen festen Platz unter
den Lexikographen. Seine monographische Studie über Lukas Cranach
(in den Fränkischen Acta erudita et curiosa I. Slg. Nürnberg 1726)
war eine Probe aus einem geplanten und begonnenen großen Künstler-
lexikon, sein wichtigstes kunsthistorisches Buch ist ein Lexikon: die
1747 erschienene »Anzeige und Auslegung der Monogrammatum«.
Eine »Einleitung in die Geschichte der Malerei nach Nationen und
Schulen, besser eingeteilt« (als z. B. die des Sandrart) ist nie zustande
gekommen, wie so vieles, was diesem ideenreichen Kopfe als Plan und
Einfall entsprang. Christ war der typische Miszellenschreiber, ein
Meister dieser Gattung, der zu größeren Büchern nicht kam, sie auch
wohl für seine Person ablehnte.

Die vielgeschmähte Hofmeister- und Reisebegleiterbildung deut-
scher Gelehrter des 18. Jahrhunderts erwies sich in Christs Falle im
Bunde mit dem Dilettantismus in den bildenden Künsten als eine Er-
ziehung zum freien, geschmackvollen, eleganten, sinnlich aufgetanen
Menschen. Reisen und Sehen, Selbermachen und Sammeln, Sichten
und Forschen, Kunstanschauung und Philologie hielten sich hier glück-
lich die Wage. Christ blieb nämlich Philologe, auch der Kunst gegen-
über. Das kennzeichnet seine Methode. Die Vorzüge altgewohnter
philologischer Arbeit: Kritik der Quellen, Prüfung von Urbild und Nach-
bildern, das Bauen auf richtigen und klaren Merkmalen, Urkunden und
Beweisen und das Ablehnen von Schlußfolgerungen auf ein bloßes
Vermuten hin, alles das zeichnet Christs kunstgeschichtliche Arbeiten
aus, gibt ihnen ihre Eigenbedeutung und ihren Wert und läßt Christ
als einen der ersten die Wege rein empirischer, kritisch-philologischer
Kunstforschung einschlagen, die erst hundert Jahre später von Fiorillo,
Rumohr, Waagen, Passavant u. a. wieder betreten werden sollten.
Christs Leistung als Kunsthistoriker ist nur eine Teilerscheinung des
großen Dienstes, den die Philologie überhaupt durch Ausbildung der
Quellenkritik und -interpretation zu bewußt gehandhabter Technik der
Geschichtsschreibung geleistet hat. Diese methodische Zucht kam zu-
 
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