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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0227
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BESPRECHUNGEN.

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sinnigste logische Aufwand da schmählich vertan ist, wo von falschen Voraussetzungen
ausgegangen wird.

Das Ergebnis der Bernauerschen Untersuchung sind drei Gesetze: die »konzen-
trische Perzeption«, die Verkörperung der dichterischen Figur durch die Mittel der
Menschendarstellung und drittens, das Zusammenspiel im Sinne der höheren dich-
terischen Einheit. Um zu diesen Gesetzen, die eigentlich Selbstverständlichkeiten
sind, zu gelangen, baut der Verfasser eine breite grundsätzliche Untersuchung auf,
deren Gedankengang etwa der ist: Alle Künste ergehen sich in ihren Bezirken.
Auch die sogenannten reproduktiven Künste. Der Musiker spielt Musik. Spielt aber
der Schauspieler auch Schauspiel? Nein. Der Schauspieler spielt Dichtung. Hie
Schauspiel — hie Dichtung. Zwei gänzlich verschiedene Gebiete, die überbrückt
werden müssen. Die Brücke zu beiden schlägt die reine Schauspielkunst. So an-
regend diese Ausführungen sind, so haben sie doch leider den Fehler, von einer un-
fruchtbaren Grundüberlegung auszugehen, nämlich der, der Schauspieler spiele Dichtung.

Der Schauspieler spielt lediglich Schauspiel. Auch für das Stegreif-Schauspiel —
also die nicht schriftlich fixierte Komödie — müßten die Forderungen der reinen
Schauspielkunst gelten. Daß das schriftlich niedergelegte, nicht gespielte Drama in
Buchform ein Eigenleben führt, ist keineswegs ausschlaggebend. Die Schrift ist das
Mittel, dessen sich der Dichter bedient, dem Theatermann sein Werk vorzulegen.
Genau so wie die Noten das übermittelnde Medium für den Musiker sind. Ber-
nauers Versuch, von der Schauspielkunst im Gegensatz zur Musik nachzuweisen,
sie lebe sich im »exogenen« Element aus, ist trotz aller Anstrengungen gescheitert.
»Der Komponist schreibt für den Musikspieler; der Dichter schreibt nicht für den
Schauspieler« heißt es bei Bernauer. Aber er übersieht völlig das Zwingende in der
Transkription eines Kunstschaffens. Das Musikstück wird ebensowenig komponiert
im Hinblick darauf, gespielt zu werden, wie das Drama aufführungshalber geschrieben
wird. Beide werden zunächst lediglich um ihrer selbst willen geschaffen. In Noten
und Buchstaben niedergelegt, erwachen sie zu ihrem wahren Leben durch die
Wiedergabe. Das Theaterstück, nur gelesen, entspricht der Sinfoniepartitur, die man
auf dem Klavier spielt. Die Forderungen der reinen Schauspielkunst, die ein Vor-
recht eben dieser aprioristischen Erkenntnisse sein sollen, gelten sinngemäß ebenso
für die Musik. Auch der Violoncellist im Streichquartett muß das »Gesamtwerk«
verstanden haben, um seine Stimme richtig auszuführen; auch hier genügt nicht
mechanische Wiedergabe. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem Verhältnis
des reproduzierenden Musikers zum Musikstück und des Schauspielers zum Schau-
spiel ist in keiner Hinsicht bewiesen, läßt sich nach unserer Meinung auch nicht
beweisen. Es ist also ein unnützer Umweg, wenn der Verfasser, um zur Erkenntnis
seiner Gesetze zu gelangen, eine Sonderstellung der Schauspielkunst konstruiert.
Es liegt nicht an dieser Sonderstellung, wenn die drei Gesetze, die er aufstellt,
richtig sind, sondern ihre Begründung stammt aus dem Wesen der reproduzierenden
Kunst überhaupt. Ohne die Konstruktion dieser Sonderstellung sind andere Schrift-
steller aus dem Begriff der Schauspielkunst heraus zur Aufstellung der gleichen
Gesetze gelangt.

Die Lektüre dieses Buches hat vielfach angeregt, obwohl sie meist zum Wider-
spruch herausfordert. Wenn Fachleute ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen
bei Ausübung der Kunst uns mitteilen, ist das nur aufs lebhafteste zu begrüßen;
aber sie tun gut daran, sie uns in schlichter Form weiterzugeben. Dem Wissen-
schaftler mag es dann vorbehalten bleiben, diese Bausleine zu systematischen Er-
kenntnissen zu verwerten.

Berlin. Robert Klein.
 
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