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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0354
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350 BESPRECHUNGEN.

an zu zeigen, daß beide Empfindungen gleicherweise der Formung durch Raum
und Zeit unterstehen. Auf dieser Gleichartigkeit baut er die Möglichkeit auf, ebenso
reichhaltige und vielseitige Gefüge durch Farben schaffen zu können wie durch Töne,
wenn auch gewisse Unterschiede des räumlichen Seins zwischen Farben und Tönen
bestehen bleiben. — Die Ganzheit der Farbenerscheinungen läßt sich durch das körper-
hafte Gebilde des Farbkegels darstellen, die Grundlage der Töne bildet die Reihe.
Der Verfasser macht uns bekannt mit unzulänglichen Versuchen früherer Zeiten,
Farbspielzeuge zu bauen, und stellt sich, als Erfinder »einer Art, zeitliche Farbvor-
stellungen auch anderen vorzuführen«, in die Reihe derjenigen, die heute auf diesem
Gebiete praktisch arbeiten.

Die hier berührte Frage ist fesselnd, man könnte mit ihr zugleich die Frage
lösen, ob der kleine Ausschnitt ernsthaft zu nehmender Darbietungen der dadaisti-
schen Kunst, die Farbenerlebnisse von Bedeutung erregen will, mit welchen Mitteln
immer es sei, seinen Zweck erreichen kann. Auf dem Grunde des ganzen Pro-
blems liegt die Frage: Ist tatsächlich die Farbe geistig so vom Körper, oder sagen
wir besser vom Dinge, zu lösen, wie der Ton es ist; denn auf der Vollkommenheit
dieser Loslösung, auf der Abstraktionsbefähigung ruht die Möglichkeit, die Farbe
wie den Ton zum Träger selbständiger Kunstwerke zu machen. — Wir möchten
die Frage verneinen.

Wenn auch unsere Auffassungsweise der Töne, wie der Farben, im Grunde
genommen eine ganz gleiche sein sollte, bedingt durch die Raum-Zeitlichkeit aller
unserer Empfindungen, so muß es doch einen Grund haben, warum von Ursprung
an der Ton, losgelöst von den Dingen, durch die er erklang, Grundlage eines
immer reicher und großartiger sich entwickelnden Baus reiner Kunst wurde, wäh-
rend die Farbe in der reinen Augenkunst, bis in die allerjüngste Zeit hinein, immer
auf dinglichem Hintergrunde erschien. Da, wo sie die höchsten Triumphe ihres
Eigenwerts feiert, im Kunstgewerbe, und hier besonders in der orientalischen
Teppichkunst, auch da ist sie doch immer gebunden an den Gegenstand; über den
Gegenstand schritt sie bisher noch nicht hinaus.

Sollte dieser verschiedene Entwicklungsgang von Ton und Farbe daran liegen,
daß beide eben doch Ausdruck und Symbol von etwas an sich Wesensverschiede-
nem sind, und sollte diese Wesensverschiedenheit nicht eben die Grenzen zwischen
beiden Gebieten letzten Endes festlegen?

Wir glauben nicht daran, daß der musikalische Ton seinen selbständigen Wert
erlangt hat durch Abstraktion von den Geschöpfen und Dingen der Außenwelt,
durch die und an denen Klänge unser Ohr berührten, wie Stoltenberg annimmt,
sondern wir glauben, daß der musikalische Ton, ebenso wie der Tanz, hervorging
aus dem Drang, den Regungen der Seele Ausdruck zu verleihen, dieselben in rhyth-
mischer Formung zu gestalten und zu meistern. Daher war die Musik von jeher
zwar gebunden an das Werkzeug zur Hervorbringung des Tons, aber Ausdruck
von etwas ganz und gar Undinglichem.

Die Farbe hat uns niemals zu Gebote gestanden zum willkürlichen, unmittel-
baren Ausdruck dessen, was unser letztes Eigenes ist, unseres seelischen Lebens.
Sie hat eine ganz andere große Bedeutung. Sie erhebt die Dingwelt für uns zum
Leben; das Geistige der Farbe besteht darin, nicht daß sie Ausdruck unseres
eigenen seelischen Lebens ist, sondern daß sie uns die Seele der Körperwelt ent-
hüllt. Weil sie nichts an sich ist, sondern weil sie entsteht aus dem Aufeinander-
treffen von Lichtstrahlen und körperlichem Stoff, und weil sie beständig sich wan-
delt, entsteht oder vergeht mit der Beweglichkeit, dem Aufgehen oder Verlöschen
des Lichts, darum zeigt sie uns die Dinge niemals wie sie sind, sondern immer
 
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