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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0356
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352 BESPRECHUNGEN.

als wenn der Leser dauernd in Europa herumgeführt würde; die geschichtliche
Folge, das Nacheinander kommt durch die Beschränkung des Nebeneinander schärfer
heraus, zumal bei der wechselseitigen Durchdringung aller Länder — und Deutsch-
land voran — auch an den Schicksalen fremder Musikstile den regsten Anteil haben.
Daß Moser bei dieser Abgrenzung nicht das weise Maß nationalen Stolzes über-
schritten hat, sei ihm hoch angerechnet; sein ganzes Buch wird von warmer Liebe
zu deutscher Art und Kunst getragen, ohne daß Nichtdeutsches kleinlich und eng-
herzig herabgesetzt würde. Das Grundsätzliche über die Eigenart der deutschen
Tonkunst gibt der Verfasser in seinem 1. Abschnitt, und hier freilich möchte ich
ein paar Punkte beanstanden, die im Interessengebiet der Leser dieser Zeitschrift
liegen. Ich will nicht darüber klagen, daß der abgegriffene Begriff — sä venia
verbo — »Indogermanen«, der rein sprachwissenschaftlich ist, und gegen dessen
anthropologischen Mißbrauch sein Schöpfer Bopp selbst energisch Verwahrung ein-
gelegt hat, wieder das Leitmotiv abgegeben hat. Aber die ganze Musik in indo-
germanische und naturvolkliche zu teilen, das geht denn doch nicht, und angesichts
der Ergebnisse der vergleichenden Musikwissenschaft wird Moser auch der »indo-
germanischen Natur« das Monopol auf »die seelische Fähigkeit, in einer Art von
souveränem Raumgefühl die Tondimensionen sprungweise zu durchmessen, sowie
nach der Höhe und Tiefe zu erweitern« nebst anderen Alleinansprüchen in einer
2. Auflage wieder nehmen müssen. Wenn ich noch um eine Revision ansuchen
darf, so wäre es um die des Ausfalles gegen Busoni, der als ungermanischer Musik-
ästhet deutsches Musikwesen nicht verstehe. Ich glaube schon, die Bachausgaben
allein überheben den Verfasser der Sorge, Busoni als einen, der »nur in der Welt
der Flächenausdehnung lebt«, über die dritte Dimension, über deutsche Tiefe auf-
zuklären. Wenn nicht einmal die ausgezeichnetsten Musiker — und hier ist das
Grundsätzliche der Sache! — anderer Völker Musik zu verstehen und zu schätzen
vermöchten, dann hätte Moser kein Kapitel über »Die Herrschaft der Niederländer
in Deutschland« zu schreiben Gelegenheit gehabt, und sein 2. Band würde keines
über die Herrschaft der Italiener enthalten. Diese Anmerkungen seien gemacht,
weil Mosers Buch recht viele weitere Auflagen verdient und zweifellos auch erzielen
wird. So wächst mit dem Erfolg des Buches auch die Verantwortlichkeit seines
Verfassers.

Berlin. Curt Sachs.
 
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