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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0483
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BESPRECHUNGEN. 479

für die griechische Tragödie als auch für Schiller abgelehnt. Auch in der »Braut
von Messina« dient das Fatum nur dem stimmungmäßigen Element des allgemein
menschlichen Schauers vor seiner Unabwendbarkeit, und im »Wallenstein« zeigt es
sich durchaus nicht allein entscheidend. Daß die unbewußte tragische Selbstbindung
und das Hineinspielen transzendenter Momente in den späteren Dramen im Mittel-
punkt steht — das hat vielleicht unmittelbar die Atmosphäre des griechischen Dramas
bewirkt. Doch auch hier ist die besondere Art verschieden: bei der antiken Tra-
gödie bedingt wie in Leben und Religion der Bann des überindividuellen Gesetzes
ein Zurücktreten des Einzelnen, bei ihr besteht der philosophische Widerspruch
zwischen Freiheit und Notwendigkeit noch nicht, auch wird empfunden — wie ich
hinzufügen möchte — daß der einzelne dies überindividuelle Gesetz als selbst-
verständlich anerkennt, ja erst erschafft. Davon ist bei Schiller keine Rede, nur die
allgemeine Luftschicht des griechischen Fatum kommt bei ihm in Betracht und im
übrigen ist sie nur Symbol des seelischen Geschehens wie in der »Jungfrau von
Orleans«. Daß der Begriff von »Verhängnis« und »Fatum« als Luftschicht aufzufassen
ist, die der tragische Held atmet, und nicht als starres Gegenüber, hat die Verfasserin
gezeigt (S. 86). Ich weise darauf hin, daß vielleicht eine Äußerung Goethes (im
Gespräch mit Schiller 1795) zu Mißverständnissen in dieser Frage beigetragen hat:
»Im Drama muß das Schicksal herrschen und dem Menschern widerstreben«. Der
Begriff des »Dämonischen« schlägt ja eine Brücke zwischen Schicksal und Charakter
und kommt sowohl für Ödipus wie für Cäsar oder Macbeth und die Helden der
späteren Schillerschen Dramen in Betracht.

Beim Übergang zum dritten Abschnitt erhebt sich die Frage, wieweit Schiller,
wenn er die griechische Tragödie als Vorbild betrachtete und sich doch keine ihrer
Elemente aneignete, mittelbaren Gewinn aus ihr zog, um »seinem eigenen Welt-
gefühl eine neue gemäßere Form zu finden« (S. 92). Die Verfasserin will zunächst
in Schillers theoretischen Äußerungen den Begriff der griechischen »Simplizität« be-
achtet wissen, an der er seinen Stil schulen wollte — namentlich durch das Vor-
bild des tragischen »hohen Stiles«. Dabei muß Simplizität nicht als Schlichtheit und
Einfachheit, sondern als Einheitlichkeit der Charakterisierung und des Niveaus in
der griechischen Tragödie gefaßt werden. Obwohl bei dieser der Schwerpunkt im
dramatischen Geschehen liegt, neige auch ich zu der Auffassung, daß ihr dennoch
die individualisierende Charakteristik nicht grundweg abzusprechen ist. »Aber sie
erfolgt einem Bedürfnis der Handlung zuliebe, die ihrerseits sich nur zwischen
Personen des gleichmäßig hohen Niveaus bewegt« (S. 96). Von dieser Einheitlich-
keit wollte Schiller lernen, da er bei der künstlerischen Gestaltung stark vom Ich
ausging und dabei in den seelisch-sittlichen Konflikten befangen blieb. Das einheit-
liche Niveau sucht Schiller bei späteren Gestalten seiner moralischen Gegenspieler
(Isabeau, Geßler) zu erreichen und es zeigt sich, daß dort, wo er darauf verzichtet,
wie etwa bei IIlo der Zweck der Haupthandlung bestimmend ist. Das Moment der
»Simplizität« weicht hier dem Moment des Geschehens, worin ich einen Widerstreit
zwischen zwei Errungenschaften sehen möchte, die Schiller für die Reinigung seines
Stils zu gewinnen suchte, ohne doch durch sie eine innere Umformung zu erfahren.
Dies wird bestärkt durch den anderen Fall, daß Schiller in dem Bestreben nach Ein-
heitlichkeit des Stils einer färb- und gestaltlosen Charakterisierung seiner Menschen
nicht entgangen ist. Die Verfasserin zeigt noch, daß der hohe Stil »keineswegs aus
dem Wunsch nach einer Idealisierung der Wirklichkeit hervorgegangen ist« und daß
der Streit um realistische oder idealistische Kunst im Grund belanglos ist (S. 104—106).
Schillers »hoher Stil« ist mit Recht als Ausdruck seines Erlebens zu deuten, das
im Wesen dem der griechischen Tragödie fremd, doch durch ihr Vorbild erst seine
 
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