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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 15.1921

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Theodor, Kurt: Die Darstellung auf der Fläche
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https://doi.org/10.11588/diglit.3623#0161
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DIE DARSTELLUNG AUF DER FLÄCHE. I57

füges zu unterdrücken. Dadurch gewinnt die Malerei eine gewisse
Verwandtschaft mit der Bildhauerkunst. Auch hier bildet ja die Gegen-
standsform eine gegebene objektive Voraussetzung, dagegen ist der
dargestellte Stoff nicht in gleichem Sinne von vornherein vorhanden,
wir nehmen vielmehr ganz klar den Stein oder die Bronze, das Holz
oder den Ton in unser Bewußtsein auf, und erst sekundär entsteht
in uns die Anschauung der dargestellten Stofflichkeiten: der weichen
Haut, des Haares, der Kleidungstoffe. Ganz entsprechend sehen wir
in Grecos Bildern, Salvator Rosas Landschaften, manchen Werken von
Courbet oder in Rembrandts letzten Porträts — um nur einige Beispiele
zu nennen — Raum und Gestalt unmittelbar: die extensive Anschau-
lichkeit ist so mächtig, daß sie das Bewußtsein von der Fläche in den
Hintergrund drängt. Aber diese Gegenstände, wie wir sie unmittelbar
sehen, zeigen zunächst noch keine stoffliche Differenzierung, sie scheinen
alle aus dem gleichen Material geknetet zu sein. Dies Material ist aller-
dings nicht einfarbig, auch nicht als ein bestimmtes charakterisiert, wie
in der Skulptur, es läßt sich vielmehr am besten als Negation aller
bestimmten Stofflichkeiten auffassen. Am ehesten erinnert es noch
an die Struktur des Farbmaterials, aus dem der Bildbelag besteht. So
sind in Courbets »Welle« Wolke und Wasser gewissermaßen aus
dem gleichen für beider Natur viel zu festem Stoff; in Rembrandts
späten Porträts wirken die Pinselstriche wie modellierende Griffe in eine
Art Ton; in Salvator Rosas Landschaften ist der blaue Himmel von der
gleichen materiellen Schwere wie die Wolken oder die Felsen, ein
Schiff aus gleichem Stoff mit der Welle, die es trägt. Aber dies alles
gilt nur für den ersten Eindruck, eben für die Stufe der extensiven
Anschauung. Für die innere Anschauung entwickeln sich daraus
ebenso überzeugend die individuellen Eigenschaften der Stoffe, wie
sie sich in der Plastik aus dem angeschauten Material entwickeln. Am
stärksten ist diese Wirkung bei Greco. Seine Bilder sind ganz von
einer einheitlichen Materie erfüllt; Himmel und Erde, Menschen und
Dinge sind aus ihr geformt und in ihr verbunden, und gleichsam erst
vor unseren Augen vollzieht sich die Schaffung eines Kosmos aus
diesem Urstoff. In Bildern solcher Art ist der Schwerpunkt mehr als
in dem vorher behandelten Stil von der Fläche in den Raum ver-
schoben. Die vorausgesetzte Illusion geht weiter, aber doch nicht bis
ans Ende. Die volle Formung und Belebung wird vielmehr auch hier
durch die Mittel der intensiven Gestaltung geleistet und auf diese
Weise eine Spannung zwischen extensiver und intensiver Anschauung
erzeugt, aus der die Wirkung des Bildes entspringt.

Eine Abart dieses Stilprinzips besteht darin, daß nicht nur von
dem stofflichen Gefüge, sondern auch von der individuellen Gestalt
 
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