358 GEORG MARZYNSKI.
Grundlage der genannten darstellt. Nur weil er vorhanden ist, konnten
die anderen sich ausbilden. Die klassische Kunst komponiert zentral
in ihrer Formgeschlossenheit, hingegen sukzessiv in ihrem Streben
nach Vielheit der Bildakzente und gegenständlicher Klarheit des ein-
zelnen. Umgekehrt das Barock. In beiden geschichtlichen Stilarten ist
sowohl das Bestreben nach Zentrierung wie nach Sukzession vor-
handen, nur betätigt es sich beide Male nach verschiedenen Rich-
tungen.
3.
Es zeigt sich also, daß bestimmte Stilformen gekoppelt sind mit
bestimmten psychischen Vorgängen. Immerhin handelt es sich um
Aufmerksamkeitsverteilung, also um Vorgänge verhältnismäßig kom-
plexer Natur, die sich in einer ziemlich »hohen« Schicht der Psyche
abspielen. Wir werden jetzt sehen, wie Unterschiede in viel primi-
tiveren Funktionsweisen einen wichtigen künstlerischen Einfluß haben
können.
Wir wollen uns einmal vorstellen, ein Maler wolle die Wirklich-
keit mit unbedingter Objektivität wiedergeben. Die vorhin erörterten
psychischen Verhältnisse machen das ja in der Tat unmöglich, aber
wenigstens an einem sehr kleinen Ausschnitt müßte das doch möglich
sein, vorausgesetzt, daß er nicht wieder aus sehr geringer Entfernung
gesehen wäre, wodurch sich die Menge der Einzelheiten sofort wieder
ins Unwiedergebbare vermehrte. Und selbst wenn es jetzt noch
Schwierigkeiten gäbe, so doch sicher nicht mehr bei irgend einem
einzelnen Element. Dieses Blau hier vor mir ist doch eben dieses
bestimmte Blau. Wenn man es abmalt, so kann es noch Unterschiede
des Pinselstrichs geben, aber aufgefaßt wird es doch stets und von
allen in der gleichen Art; irgend etwas, wie eine verschiedene Auf-
fassung ist eigentlich unmöglich, vorausgesetzt, daß die äußeren Ver-
hältnisse immer dieselben bleiben. Hier ließe sich doch dann sagen:
Der eine hat es richtig wiedergegeben, der andere falsch. Und ebenso
bei einer bestimmten Form: Dieser Würfel hier vor mir muß stets in
der gleichen Art gesehen werden, solange man den Standpunkt nicht
wechselt. Kurz: Das Vorurteil von der Eindeutigkeit der erlebten Welt
zieht sich auf die sinnlichen Elemente zurück. Wenn auch die Kom-
plexe vieldeutig sind, sollen wenigstens die Elemente eindeutig sein.
Für das Beispiel von dem Blau wird man einen naheliegenden
Einwand machen können. Unsere Netzhaut ist nicht in allen ihren
Teilen gleich farbenempfindlich, sondern in der Mitte viel stärker als
an den Seiten. Wenn ich das Blau peripher betrachte, so sieht es
schon gar nicht mehr blau aus, sondern grau. Doch das wird man
abweisen und zwar mit Recht, da ja die äußeren Bedingungen des
Grundlage der genannten darstellt. Nur weil er vorhanden ist, konnten
die anderen sich ausbilden. Die klassische Kunst komponiert zentral
in ihrer Formgeschlossenheit, hingegen sukzessiv in ihrem Streben
nach Vielheit der Bildakzente und gegenständlicher Klarheit des ein-
zelnen. Umgekehrt das Barock. In beiden geschichtlichen Stilarten ist
sowohl das Bestreben nach Zentrierung wie nach Sukzession vor-
handen, nur betätigt es sich beide Male nach verschiedenen Rich-
tungen.
3.
Es zeigt sich also, daß bestimmte Stilformen gekoppelt sind mit
bestimmten psychischen Vorgängen. Immerhin handelt es sich um
Aufmerksamkeitsverteilung, also um Vorgänge verhältnismäßig kom-
plexer Natur, die sich in einer ziemlich »hohen« Schicht der Psyche
abspielen. Wir werden jetzt sehen, wie Unterschiede in viel primi-
tiveren Funktionsweisen einen wichtigen künstlerischen Einfluß haben
können.
Wir wollen uns einmal vorstellen, ein Maler wolle die Wirklich-
keit mit unbedingter Objektivität wiedergeben. Die vorhin erörterten
psychischen Verhältnisse machen das ja in der Tat unmöglich, aber
wenigstens an einem sehr kleinen Ausschnitt müßte das doch möglich
sein, vorausgesetzt, daß er nicht wieder aus sehr geringer Entfernung
gesehen wäre, wodurch sich die Menge der Einzelheiten sofort wieder
ins Unwiedergebbare vermehrte. Und selbst wenn es jetzt noch
Schwierigkeiten gäbe, so doch sicher nicht mehr bei irgend einem
einzelnen Element. Dieses Blau hier vor mir ist doch eben dieses
bestimmte Blau. Wenn man es abmalt, so kann es noch Unterschiede
des Pinselstrichs geben, aber aufgefaßt wird es doch stets und von
allen in der gleichen Art; irgend etwas, wie eine verschiedene Auf-
fassung ist eigentlich unmöglich, vorausgesetzt, daß die äußeren Ver-
hältnisse immer dieselben bleiben. Hier ließe sich doch dann sagen:
Der eine hat es richtig wiedergegeben, der andere falsch. Und ebenso
bei einer bestimmten Form: Dieser Würfel hier vor mir muß stets in
der gleichen Art gesehen werden, solange man den Standpunkt nicht
wechselt. Kurz: Das Vorurteil von der Eindeutigkeit der erlebten Welt
zieht sich auf die sinnlichen Elemente zurück. Wenn auch die Kom-
plexe vieldeutig sind, sollen wenigstens die Elemente eindeutig sein.
Für das Beispiel von dem Blau wird man einen naheliegenden
Einwand machen können. Unsere Netzhaut ist nicht in allen ihren
Teilen gleich farbenempfindlich, sondern in der Mitte viel stärker als
an den Seiten. Wenn ich das Blau peripher betrachte, so sieht es
schon gar nicht mehr blau aus, sondern grau. Doch das wird man
abweisen und zwar mit Recht, da ja die äußeren Bedingungen des