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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0101
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net sie als den Ausgangspunkt des „russisch-romanischen" Malstils. 1197 nennt die
Nowgoroder Chronik für lange zum letztenmal einen eingewanderten griechischen
Meister; zwanzig Jahre später tritt ein russischer in ihr auf.

Doch ganz Rußland zerfällt in einzelne, sich gegenseitig isolierende Teilfürsten-
tümer mit versiegenden geistigen und materiellen Kräften. Eine bodenständige, aber
auf kleine Werke sich beschränkende Kunstentwicklung begleitet diese politische Zer-
stückelung. Auch die Meisterschaft sinkt. Aber der Verf. betont im Gegensatz zu
einer stark verbreiteten wissenschaftlichen Anschauung, die alles von einer Aufnahme
des überreifen byzantinischen Stils ableiten möchte, die schon damals auftretende
Kunst der russischen Primitive und ihre große Wirkung auf die späteren Phasen. In
grellen, gesättigten Lokalfarben werden klotzige Gestalten dargestellt: eine Reaktion
gegen die „repräsentative Ausdrücklichkeit und den Illusionismus der byzantini-
schen Malerei".

Im 13. und 14. Jahrhundert bildet sich der russische Stil aus. Mit dem Kampf
um die Linie verbindet sich das Ringen um die Vergeistigung des Körperlichen. In
der sog. Deisis (Christus zwischen dem Täufer und Maria) und der Hervorhebung
des Fürbitte-Motivs erblickt diese Forschung den Ursprung der kirchlichen Bilder-
wand, des Ikonostas, wobei im Gegensatz zu Byzanz selbst wieder die kleinasiatischen
Höhlenkirchen entscheidenden Einfluß übten, wenn auch viele Einzelfragen für die
erste Entwicklung des Ikonostas noch im Dunkeln bleiben.

Mit dem Beginn der Paläologendynastie im Jahr 1261 aber erfuhr auch die bil-
dende Kunst von Byzanz einen neuen Anstoß, und etwa ein Jahrhundert später macht
sich dieser in bedeutungsvollen Neuerungen auch für Rußland geltend. Sie gruppieren
sich um die große Gestalt des Malers und Philosophen Theophanes. In Rußland ist
freilich nur ein einziges Werk von ihm mit voller Sicherheit erhalten: die Freske der
Nowgoroder Verkündigungskathedrale von 1378 mit ihren höchst monumentalen Fi-
guren. Noch mehrere andere Zyklen in Nowgorod und seiner Umgebung gehören
dieser neuen byzantinischen Kunst an und sind wohl ebenfalls eingewanderten Grie-
chen zu verdanken.

Dennoch ist nach der Überzeugung des Verf. nicht Nowgorod, wie noch die mo-
derne Forschung meinte, sondern Moskau, zu dem auch auf diesem Kunstgebiet
Wladimir-Susdal die Brücke schlug, als der Ausgangspunkt der russischen Malerei
des 15. Jahrhunderts zu betrachten. Daß die Hauptstadt und Mittelrußland überhaupt
fast kein größeres Denkmal aus damaliger Zeit heute mehr aufweisen, erklärt sich
aus den immer wiederholten Tatareneinfällen dieser Epoche, die alles in Feuer auf-
gehen ließen. Nach den Chronistennachrichten aber hat Theophanes in Nowgorod nur
eine, in Moskau dagegen drei Kirchen ausgemalt. Andrej Rublew, den man früher
zuweilen als einen Schüler dieses Griechen ausgab, kündigte offensichtlich dem zwar
vermenschlichten, aber düster gestimmten neuen Byzantinismus die Gefolgschaft und
begründete so die Moskauer Schule mit ihrer tiefen Gefühlswärme. Seine Dreieinig-
keits-Ikone, diese „sacra conversazione" der Abraham und Sarah besuchenden drei
Engel, die wir vor einigen Jahren hier in Berlin bewundern durften, gehört auch mit
der Freudigkeit der Farbengebung zu den schönsten Werken der altrussischen Ikonen-
malerei. Zugleich nähert man sich in der endgültigen Ausgestaltung der Bilderwand
mit ausgereiften selbständigen Kompositionsgruppen einer visuellen Einheit, die auch
in der echt malerischen Darbietung der Heiligenlegenden und nicht minder in Mos-
kauer Stickereien und Skulpturen unter gleichzeitiger Verwertung gewisser letzter
Errungenschaften der Paläologen-Malerei zum Ausdruck kommt. Der in der Rublew-
schule wurzelnde Dionysius, den man eine Zeitlang fälschlich wiederum Nowgorod
 
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