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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Firmenich-Richartz, Eduard: Ein Madonnenbild nach Dürers Vorlagen von Marinus van Roymerswale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0015

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1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

ihr Temperament und ihr Charakter soll sich
in den Physiognomien auch bei feierlicher
Repräsentation deutlich ausprägen ; die Fixierung
des spontanen Gefühlsausbruchs gibt den Mienen
bisweilen eine Spannung und Schärfe, welche
die Köpfe der Karikatur nahebringen. Die
eindringliche Beobachtung individueller Züge
kam dann auch dem Bildnis zu statten. Das
Verständnis für die Realität, wo neben dem
Erhabenen oft unbekümmert ein derber Humor
waltet,3) die Freude an Episoden führte zum
pointierten Sittenstück. Bei dieser Richtung
braucht kaum noch darauf hingewiesen zu
werden, mit welcher Lust alles Stoffliche
malerisch erfaßt und im Bilde mit höchster
Subtilität wiedergegeben ist; auch der Farben-
geschmack ändert sich völlig, die Palette wird
durch lichte Schillertöne bereichert, und ein
zarter, grauvioletter Duft legt sich über die
Landschaftsfernen der Gemälde.

Albrecht Dürer besuchte gleich nach seiner
Ankunft in Antwerpen Meister Quinten in
seinem Haus „zum Affen" (den Aap) in der
Huidevetterstraße. Der festliche Empfang und
die Ehrungen im Zunfthaus der Maler am
5. August 1520 lenkten die allgemeine Auf-
merksamkeit auf den hochberühmten Gast.
Dürers Aufzeichnungen enthalten die Namen
mehrerer ausgezeichneter flandrischer Künstler.
Selbst in den Gemälden des Quinten Massys
ist in vereinzelten Fällen der Eindruck der
Schöpfungen Dürers wahrnehmbar.4) Eifriger
nutzten seine Nachfolger, die Urheber jener
bilderreichen Antwerpener Altarschreine, und
die farbenfrohen Landschaftsmaler Erfindungen
des Nürnbergers, dessen stark bewegte Figuren
als Staffage gut zu den zerklüfteten Felsen,

3) Auch W. Bürger (Thore) betont die packenden
Kontraste der Darstellungen des Massys, »die leider
nicht vom Dichter erfunden werden, sondern eine
herbe Erfahrung des wirklichen Lebens sind.« In
dem unbekümmerten Gebahren der Taglöhner auf
Golgatha im Hintergrund der erschütternden Be-
weinung des Leichnams Jesu (Antwerpen) findet er
eine auffallende Analogie mit den burlesken Gesprächen
der Totengräber in »Hamlet«: » . . . ses conceptions
embrassent le haut et le bas de l'humanite, le cöte
tragique et le cöte burlesque . . .« W. Bürger,
»Gazette des Beaux-Arts« (1861) II, S. 34.

4) Der Kopf des Herodes auf dem linken Flügel
des Antwerpener Altares ist z. B. dem turbange-
schmückten Haupte des Kaisers Domitian auf Dürers
Holzschnitt »Das Martyrium des Johannes Ev.«
(Apokalypse 1498 B. 61) nachgebildet.

dem dunklen Wald und den engen Flußtälern
auf ihren Tafeln paßten.6)

Für Ruderigo von Portugal malte Dürer
während seiner Anwesenheit in Antwerpen
1521 auf Leinwand das Bild des Kirchenvaters
St. Hieronymus, der, das Haupt auf die Hand
gestützt, hinter seinem Lesepult vom Studium
heiliger Schriften aufblickt. Er hatte das
Gemälde in seiner Weise durch köstliche, fein
durchgebildete Studien, Einzelaufnahmen auch
des Beiwerkes vorbereitet °) und verwandte
für den Kopf des Heiligen die Portraitzeichnung
eines Greises, den er mit 93 Jahren noch
„gesunt und fermüglich zw antorff" fand. Diese
Charakterschilderung hat in ihrer vertieften
Naturbeobachtung, der Beseelung der schlichten
Wirklichkeit in niederländischen Künstlerkreisen
ein weitreichendes Aufsehen erregt. Der ehr-
würdige Kardinal, der als Endergebnis aller
seiner geistlichen Forschungen auf den Toten-
kopf hinweist, wurde zum Urbild eines oft
wiederholten Memento mori.7) Genau nach
Dürers Werk hat ein Schüler des Massys diese
Halbfigur in einem Gemälde kopiert, welches
sich in der Sammlung des verstorbenen L6on
Goldschmidt in Paris befindet. Das durch-
furchte, müde Antlitz des Asketen mit den
eingesunkenen Augen, den spitzen, vortretenden
Zügen, dem langwallenden Barte und die zittern-
den, verkrümmten Hände zwischen Folianten und

b) Auf einer Landschaft des Herri met de Bles
(Düsseldorfer Ausstellung 1904 Ni. 189), jetzt Samml.
von Kaufmann, Berlin, ist der hl. Christophorus in
flatterndem Mantel, der mit dem Jesusknaben eine
Hafenbucht durchschreitet, genau Dürers Kupferstich
von 1521 (B. 52) entnommen, und ebenso ist bei
dem leuchtenden Eremiten Dürers Vorbild noch er-
kennbar.

e) Lippman n-M eder, »Zeichnungen von A.
Dürer in Nachbildungen der Reichsdruckerei, Albertina
zu Wien«: Der Greisenkopf (L. 568), die weisende
Hand und Halbfigur 1521 (L. 569), Totenkopf 1521
(L. 570), Buch und Pult 1521 (L. 571). Das Ori-
ginalgemälde entdeckte Anton Weber im National-
Museum zu Lissabon »Zeitschrift für bild. Kunst«
N. F. XII (1901) S. 17 ff.

7) Aus der grol.ien Zahl dieser Bilder nenne ich
nur als Beispiele die Tafeln beim Earl of Spencer,
Althorp, in der Pinakothek zu München Nr. 137,
der Accademia di San Luca Rom, der Ermitage in
St. Petersburg Nr. 452, der Sammlung Hoech, Mün-
chen Nr. 122 (Abbildung im Auktionskatalog), beim
Grafen von Mirbach auf Schloß Harff. (P. Clemen,
»Kunstdenkmäler der Rheinprovinz (Kreis Bergheim)«
IV. S. 461 (als Mabuse) und der Sammlung Schnütgen
zu Köln.
 
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