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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Firmenich-Richartz, Eduard: Ein Madonnenbild nach Dürers Vorlagen von Marinus van Roymerswale
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0017

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1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

furchten Charakterköpfen und krallenartigen
Händen gieriger Geldmenschen, ausgedorrter,
müder Asketen und Gelehrten zwischen tausend-
fachem Tand in engem Gehäuse. Die Aus-
führung des Madonnenbildes ist so eingehend
und gediegen in vielen Einzeldingen, z. B. der
Traube, Buch und Apfel auf dem Steintischchen
vorn, daß dies neuentdeckte Stück eine bevor-
zugte Stelle in dem Lebenswerk des Zeeländers
beansprucht.

Marinus besaß wohl überhaupt keine ur-
sprüngliche schöpferische Begabung, denn seine
fleißig durchgebildeten Stücke gehen in der
Erfindung häufig auf beliebte Werke anderer
Meister zurück. Die nämlichen Gegenstände
werden mit Gleichmut stets wiederholt. Im
Anschluß an das Genrestück „Der goldwägende
Bankier mit seiner Frau, die in einem illustrierten
Andachtsbuch blättert", ein koloristisches Mei-
sterwerk des Quinten Massys von 1514 (Louvre
Nr. 276), hat er zahlreiche Male das Paar in
modischer Kleidung, in Pelzrobe und Zaddel-
mütze hinter dem Tisch dargestellt, auf dem
Gold- und Silbermünzen aufgehäuft liegen.9)
Ebenso boten die beiden Steuereinnehmer,10)
deren Urbild G. F. Waagen, gestützt auf eine

9) Gute Exemplare dieser Darstellung besitzt die
Kgl. Gemälde-Galerie zu Dresden Nr. 812, bez. mit
dem Namen und 1541, die Prado-Galerie zu Madrid
No. 1422 mit Signatur und Datum 1558, die Pina-
kothek zu München Nr. 138 von 1538, außerdem
das Museum zu Antwerpen Nr. 567, der Fürst von
Hohenzollern zu Sigmaringen Nr. 58.

10) G. F. Waagen, »Handbuch« 1 S. 305. Das
Original von der Hand des Q. Mass3's soll sich nach
Fr. v. Reber und A. Bayersdorfer in der Galleria Zam-
beccari zu Bologna befinden. Wiederholungen be-
sitzt die Galerie zu Windsor Castle »the misers«)
die Pinakothek zu München Nr. 136, die Galerie zu
Antwerpen (Coli. Erlborn) Nr 244, das Kaiser Friedrich-
Museum zu Berlin Nr. 671, die Ermitage zu St. Peters-
burg Nr. 450 und 451, die Sammlungen des Frei-
herrn A. von Oppenheim zu Köln, des Fürsten
Naryschkine in Petersburg, des Marquis of Lansdowne,
London, und die Galerie zu Valenciennes. Außerdem
wird diese Darstellung auch im Inventar der Kunst-
sammlungen des Erzherzogs Leopold Wilhelm von
Österreich (Adolf Berger im »Jahrbuch der kunsth.
Sammlung des A. H. Kaiserhauses« (Wien I. 1883)
Fol. 227 Nr. 378) aufgeführt. Der Anonymo des Morelli
kannte ein Gemälde dieses Gegenstandes in Mailand
im Hause des Camillo Lampognano oder seines
Vaters (Th. Frimmel, »Quellenschriften für Kunst-
geschichte« N. F. I. (Wien 1888) S. 55). Carel
van M ander erwähnt einen „Tollenaar in zijn
Kantoor zitende" beim .Heer Wijntgesu zu Middel-
burg.

Stelle bei Carel van Mander, dem Jan Massys
zuwies, die Anregung zu jenen Szenen in
Wechslerstuben, bei Wucherern und Advokaten,
deren kalte Gelassenheit seltsam mit dem
komischen Entsetzen ihrer Opfer kontrastiert.11)
Die Berufung des Zöllner Matthaeus zum
Apostelamte führt Gestalten dieser Sphäre auf
geistliches Gebiet.12) Auch wurde Marinus
nicht müde, den abgezehrten heiligen Bibel-
übersetzer zwischen seinen Folianten vorzu-
führen. 13) Wenn ich noch das Bild einer
säugenden Madonna in der Prado-Galerie zu
Madrid Nr. 1011 erwähne und ein einziges
dem Maler vermutungsweise zugesprochenes
Männerbildnis,H) so ist wohl der enge Kreis
seiner emsigen Tätigkeit umgrenzt.

Der Blick des Marinus haftet immer mit
großer Schärfe an Einzeldingen, die er auf
seinen Gemälden auftürmt, ohne doch die
malerischen Reize vollendeter Stilleben damit
zu erzielen. Die Farbengebung bleibt hart
und kalt; die Gegenstände sind zwar alle plastisch

n) Vorzügliche Arbeiten dieser Art von Marinus
sind die „Steuereinnehmer" in der Londoner National-
Gallery Nr. 944, „Sachwalter und Klienten" in der
Pinakothek zu München Nr. 139, datiert 1542, „der
ungerechte Haushalter" im K. K. Hofmuseum zu
Wien Nr. 697 (nach L.Scheibler von einem Nachahmer).

12) Das Original des Marinus befindet sich in der
Galerie Northbrook in London. Ausstellung der
New-Gallery zu London Nr. 55 (1900). M. J. Fried-
länder im »Repertorium für Kunstwissenschaft«
XXIU (1900) S. 252. — Brügger Ausstellung (1902)
Nr. 295 (M. J. Friedländer im »Repertorium«
XXVI (1903) S. 159). — Schulkopien in den Mu-
seen zu Gent Nr. 86, Antwerpen Nr. 425 (soll die
Signatur „Jan van Hemeß" tragen), und der 1885 ver-
kauften Sammlung Lerius zu Antwerpen.

13) Das Bild des hl. Hieronymus am Studiertisch,
auf dem ein Foliant mit Miniaturdarstellung des
jüngsten Gerichtes aufgeschlagen liegt, findet sich
zweimal in Madrid, Prado-Galerie Nr. 1421, mit
Namen und Datum 1521, und in der Akademie von
1535, ebenso im Hofmuseum zu Wien Nr. 698
mit dem gefälschten Monogramm Dürers, in der
Sammlung E. de Becker zu Loewen, mit Signatur
und 1541 (Brügger Ausstellung 1902 Nr. 296), in
der Galerie zu Douai von 1521, in Nantes und der
Galerie Mansi zu Lucca. — Nach J. Burckhardt-
Bode (»Cicerone« 755h) rührt von ihm »wohl auch
das unerfreuliche „Ecce homo" im Dogenpalast
(Chiesetta) her, das früher als Dürer bewundert
wurde". Kopien in Museo Correr Nr. 67, Christus-
kopf in der Münchener Pinakothek Nr. 135.

14) Im Besitz des Herrn Jules Porges, Paris
(Brügger Ausstellung 1902 Nr. 242). Die Bestimmung
auf Marinus wurde von Georges Hulin (»Catalogue
critique«) bezweifelt.
 
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