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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Schönermark, Gustav: Der Kruzifixus und die ersten Kreuzigungsdarstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0075

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99

1906. — Zeitschrift für christliche kunst — Nr. 4.

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nicht nur durch Wort, Schrift und Zeichen,
sondern auch mehr oder minder monumental
in der bildenden Kunst kund tun mußte. Und
das ist geschehen auf die nämliche Art wie im
Schrifttume. Typologie und Exegese der
Kirchenväter sind voll von Beziehungen auf
das Kreuz, enthalten gleichsam versteckte
Kreuze; ebenso die ältesten christlichen Kunst-
denkmaler und Inschriften. Es waren jene
cruces dissimulatae, zu denen auch die ver-
schiedenen Formen des Monogramms Christi
gehören, jenes nächstliegenden Zeichens oder
Bildes, durch das sich die Person Christi und
zugleich das Erlösungswerk dauernd ver-
gegenwärtigen ließ. Hatte sich in den Zeiten,
wo die christliche Lehre noch verachtet, unter-
drückt und verfolgt wurde,
keine deutlichere Darstellung
machen lassen, so konnte, als
Constantin der Große das Be-
kenntnis der christlichen Lehre
freigab, wenigstens die un-
versteckte Darstellung des
Kreuzes geschehen. Es wurde
an ausgezeichneten Stellen des
Gotteshauses, wie Altar, Apsis
und Triumphbogen angebracht,
aber nicht ausgebildet als ein
Richtkreuz, sondern als crux
gemmata, d. h. mit Edelsteinen
und ähnlichem Schmucke reich
versehen. So war denn wohl
mit unzweifelhafter Deutlichkeit
auf die Erlösung hingewiesen,
der eigentliche Hinrichtur.gsakt jedoch nicht
gezeigt, sondern nur symbolisch angedeutet.

Mehr erinnerte an den Opfertod Christi
das Opferlamm, das sich erst allein, dann
mit der Siegesfahne, dann sogar auf dem
Altare und zuletzt einen Blutstrahl aus seiner
Brust in einen Kelch ergießend dargestellt
findet. Man sah also nicht mehr so sehr im
Erscheinen und Handeln als im Leiden und
in der Aufopferung die Bedeutung des Heilandes.
Das besagen auch die Bilder, die ihn nun
endlich in Person zeigen. Freilich ist er
nicht ans Kreuz geschlagen, sondern er hält
es und ist entsprechend der immer noch nicht
überwundenen Auffassung heidnischer Göttlich-
keit ein junger, blühender, kraftvoller Mann.

Nun war der Schritt zum eigentlichen
Kruzifixus, wie ihn das beschriebene Brustkreuz
der Theodolinde zeigt, nicht mehr weit, aber

Abb. 1.

er war doch noch unmöglich. Man ersieht
das an einem Fläschchen, welches Gregor
der Große einige Jahre früher als das Brust-
kreuz an die longobardische Fürstin gesandt
hatte und welches Öl der zu Rom vor den
Leibern der Heiligen brennenden Lampen ent-
hielt. (Abb. 2.) Auf dem aus einer Zinnmasse
bestehenden Fläschchen ist einerseits oben
die Kreuzigung — unten die Auferstehung
Christi — unverkennbar, aber noch ganz sym-
bolisierend in feinem Relief wiedergegeben.
Ein Kreuz, aber keineswegs ein Richtkreuz,
wird auf jeder Seite von einer knieenden
Puttenfigur (?) gehalten und als das Christi
gekennzeichnet durch das in einem Kreuz-
nimbus über ihm angebrachte Antlitz des Herrn
sowie durch die Schacher, die
in geschichtlich treuer Weise
dargestellt sind. Die Neben-
figuren sowie die Zufügung
von Sonne und Mond, die das
Himmlische andeuten sollen,
sind zu unserem Zwecke
weniger von Belang.

Der Schritt zum Kruzifixus,
d. h. Christus selber am Kreuze
darzustellen, ist indessen auf
einem anderen Monzeser Öl-
fläschchen ähnlicher Art bereits
wirklich geschehen. Wie auf
dem Brustkreuze hat der Ge-
kreuzigte einen Kreuznimbus
und ist bekleidet. Diese Dar-
stellung ist dem Brustkreuze
nicht vorangestellt, weil sie später sein kann,
sich zeitlich jedenfalls nicht so sicher be-
stimmen läßt.

Die Reihe der Darstellungen bis zum ersten
Kruzifixus, der auf dem Monzeser Brustkreuz
eingraviert ist, läßt den Fortschritt erkennen,
den die Wiedergabe der Erlösungslehre in der
bildenden Kunst bis etwa 600 gemacht hat,
nämlich von dem symbolischen Kreuzeszeichen
bis zur Wiedergabe des realen Vorganges der
Kreuzigung. Auf den Nachweis dieses Fort-
schrittes kam es uns an. Der noch stark
symbolische Charakter des ersten Kruzifixus
und die Entwickelung in immer mehr realisti-
scher Weise der späteren Kruzifize können
hier übergangen werden.

Gegen das alles würde nichts einzuwenden
sein, wenn sich nicht einige Kreuzigungen
Christi erhalten hätten, die älter als das

Hrustkreuz im Domschatze
zu Monza.
 
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