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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0117

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165

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.

166

haus durch die berühmtesten Künstler seiner
Zeit ausschmücken ließ, sind wir etwas besser
bestellt. Es haben sich wenigstens zwei be-
zügliche Urkunden erhalten. Am 27. Oktober
1481 überträgt der vermutliche Erbauer der
Kapelle, der Florentiner Architekt Giovannino
de' Dolci, als „commissarius fabricae palacii
apostolici" den Malern Rosselli, Botticelli,
Ghirlandajo und Perugino die Ausführung von
10 Historienbildern, und am 17. Januar 1482
setzt eine Schätzungskommission das Honorar
für 4 fertige Historien fest. — Es will hier der
Versuch gemacht werden, aus den beiden
Urkunden in Verbindung mit vorsichtigen
Kombinationen die Entstehungsgeschichte der
Sixtinischen Wandfresken in ihren Hauptzügen
festzustellen.

Die einschlägigen Sätze des Vertrags vom
27. Oktober 1481, der zuerst von seinem Ent-
decker Gnoli im Archivio stör. dell'Arte VI
(p. 128—129) und neuerdings mit mehreren
Berichtigungen von Dr. Pogatscher im Anhang
der Steinmannschen Monographie (Sixtinische
Kapelle I, 633) ediert wurde, lauten:

. . . conducit sive locat (nämlich Dolci den ge-
nannten 4 Malern) picturam capelle magne novae
dicti palacii apostolici a capite altaris inferius videlicet
decem istorias testamenti antiqui et novi cum cortinis
inferius ad depingendum bene diligenter et fideliter
melius quo poterunt per ipsos et eorum quemlibet
et familiäres suos prout inceptum est. Et convenerunt
ac promiserunt ipsi depictores . . . dictas decem
storias cum eaium cortinis ut predicitur depingere,
et finire hinc ad quintam decimam diem mensis
marcii proxime fuluri cum precio solutionis] et
extimation[is], ad quam seu quod extimabuntur istorie
iam facte in dicta capella per eosdem depictores,
sub pena quinquaginta ducatorum auri de camera
pro quolibet eorum contrafaciente, quam penam
sponte sibi imposuerunt etc. Et pro praedictis Omni-
bus et singulis ipsi depictores obligarunt se et omnia
eorum et cuiuslibet ipsorum bona praesentia et futura
et quilibet eorum tenetur pro alio contrafaciente et
praedicta non observante sive observantibus etc.

(Muratori, Scriptores XXIII, 188 C), von einer feier-
lichen Weihe kein Wort. Dagegen hebt er ausdrück-
lich hervor, daß der am 15. August in Anwesenheit
des Papstes von den Klerikern der Kapelle gefeierte
Gottesdienst der erste war, welcher in der neuen
Kapelle gehalten wurde. Daß schon am i). August
1483 in der Kapelle ein Gottesdienst gehalten wor-
den sei (Pastor, Päpste II, 3. u. 4. Aufl. 1904, S. 689 f.),
beruht auf einem Mißverständnis. Der Gottesdienst
am 9. August fand „in Aula Pontificiae consueta"
statt (Jacob von Volterra a. a. O. 188 B), d. h. wie
in den früheren Jahren in der Aula (a. a. O. 177 E,
9. August 1482), womit das Diarium immer den
während des Baues im Vatikan eingerichteten gottes-
dienstlichen Raum bezeichnet.

In der Schätzungsurkunde vom 17. Januar
1482 (Steinmann, Sixtinische Kapelle I, 634,
veröffentlicht von Dr. Pogatscher) heißt es von
den beiden anwesenden Parteien, dem Kardinal-
presbyter Domenico (della Rovere) von S.
Clemente als Vertreter des Papstes einer- und
den 4 Malern Rosselli, Botticelli, Ghirlandajo
und Perugino anderseits, sie hätten sich ge-
einigt auf den Franziskanerminister Antonius
aus Pinerolo, den Kanonikus Bartholomäus
de Bolus an St. Peter, die Maler Lauras de
S. Johanne aus Padua, Johannes Aloysius aus
Mantua und Ladislaus aus Padua und den
Meister Giovanni de'Dolci aus Florenz „ad
taxandam et judicandam picturam factam in
quattuor primis istoriis finitis cum cortinis
cornicibus et pontificibus, quae cortine post-
quam fuerint finite debent iudicari per dictos
arbitros ibidem presentes et acceptantes etc.
Dann heißt es weiter: Et dicti domini arbitri
et arbitratores ac iudices declararunt arbitrarunt
et iudicarunt dictos magistros depictores debere
habere a sanctitate domini nostri papae pro
dictis quattuor istoriis cum dictis cortinis cor-
nicibus et pontificibus videlicet pro qualibet
istoria eartindem ducatos de camera ducentos

quinquaginta . . . pro qualibet istoria......"

Die Folgerungen, welche Steinmann (Six-
tinische Kapelle I, 187 ff. und durch den
ganzen Band) für die Entstehungsgeschichte der
Malereien aus den beiden Urkunden zieht,
fassen wir in folgende 2 Punkte zusammen:

In den 10 Historien, welche am 27. Ok-
tober 1481 den 4 Malern übertragen werden,
haben wir sofort die Summe alles dessen zu
erkennen, was es damals in der Kapelle an
Freskomalereien überhaupt noch zu leisten gab.
Würde es der Papst sonst so eilig gehabt haben
mit der Vollendung der 10 Fresken, wenn mit
ihnen nicht überhaupt das ganze Heiligtum
vollendet gewesen wäre? Würde er jedem
kontraktbrüchigen Maler mit der ungeheuren
Strafe von 50 Dukaten gedroht haben, wenn
er nicht vorgehabt hätte, schon die Fasten-
gottesdienste im Frühjahr 1482 und alle
Feiern der Stillen Woche in seiner neuen
Kapelle zu begehen? Am 27. Oktober 1481
waren also 6 Historien fertig, ebenso aber
auch die dekorativen Malereien an der
Decke und zwischen den Fenstern; denn es
ist ein Gesetz der Freskotechnik, daß sie
ihre Aufgaben oben an der Wand beginnt
und unten vollendet.
 
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