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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Groner, Anton: Zur Entstehungsgeschichte der Sixtinischen Wandfresken, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0159

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235

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

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Komposition in den Hauptzügen schon mit den
ersten entworfen haben. Für die Ausführung
der 4 letzten Fresken hatten sie von 140 Tagen
noch 58 zur Verfügung, was nach dem Vertrag
und den seitherigen Verlauf der Arbeit vollauf
genügte. Nun trat aber offenbar bei Ghirlandajo
ein unerwartetes Hindernis ein, so daß er in
Gefahr kam, zum Termin nicht fertig zu worden.
In diesem Falle wäre nach dem Vertrag die
Garantie von 50 Golddukaten fällig geworden,
und es wären dafür auch die 3 anderen Künstler
(nicht bloß Ghirlandajo) haftbar gewesen. Was
war da natürlicher, als daß Rosselli, der mit
seiner Arbeit schon weiter voran sein mochte,
dem Landsmann Ghirlandajo seinen Schüler
Piero di Cosimo als Gehilfen abtrat?

So erklärt sich die auffällige Beteiligung
Pieros am Auszugsbild sehr einfach und un-
gezwungen. Und sie liefert zugleich den klaren
Beweis dafür, daß die Künstler den Vertrag
vom 27. Oktober 1481 auch eingehalten haben.
Am 15. März 1482 waren somit noch sechs
Historienbilder zu malen übrig. Ungefähr
gleichzeitig dürfte auch Fra Diamante mit seinen
5 Papstfiguren zu Ende gekommen sein.

Über den weiteren Verlauf, den die Aus-
malung zunächst nahm, gibt wiederum ein Blick
auf unser obiges Schema Aufschluß: von den
4 Künstlern übernahm noch einmal jeder eine
Historie. Hätten sie in ihrem seitherigen Tempo
weitergearbeitet, dann müßten sie damit im
Juni sicher fertig gewesen sein. Indes haben
anscheinend die im Sommer 1482 hochgehenden
politischen Wogen auch auf die friedliche Arbeit
in der stillen Kapelle störend eingewirkt. Seit Mitte
. April bedrohten die neapolitanischen Truppen
die Stadt. Und an Maria Himmelfahrt (15. August),
dem wohl ursprüglich für die Einweihung der
Kapelle in Aussicht genommenen Tag, segnete
Sixtus IV. von einem Fenster des Vatikans aus
die verbündeten venezianischen Truppen, die
dann am 21. August mit den Päpstlichen den
Sieg von Campo Morto erfochten und dadurch
Rom vor der drohenden Plünderung bewahrten.
Es ist begreiflich, wenn bei dem Papst in
dieser Zeit das Interesse für die Kapelle in den
Hintergrund trat. Ganz der gleiche Fall trat
ja später auch während der Ausmalung der
Decke beim anderen Rovere (Julius II.) ein.
Die 4 Künstler scheinen nach Vollendung ihrer
Mitte März begonnenen 4 Fresken im Sommer
die Stadt verlassen zu haben, und der Papst
mußte nach Rückkehr der Ordnung für die

2 letzten Historien einen neuen Künstler (Si-
gnorelli) berufen. Ghirlandajo hat am 5. Oktober
1482 die Ausmalung einer Wand des Palazzo
Vecchio in Florenz übernommen, wobei er
persönlich in seiner Vaterstadt anwesend war,
und Botticelli und Perugino erhielten gleich-
zeitig ähnliche Arbeiten in Auftrag (Steinmann,
Sixtinische Kapelle I, 363). Rosselli hat noch
im Jahr 1482 das Altarbild von S. Spirito in
Florenz vollendet (ebd. I, 432).

Als der Papst nach Wiederherstellung der
Ordnung seine Sorge wieder der Kapelle zu-
wenden konnte, scheint er, nachdem nun der
15. August 1482 verstrichen war, die Weihe
der Kapelle, als deren Patronin ja die in den
Himmel aufgenommene Gottesmutter erkoren
war, zum Dank für den Sieg sofort auf das
Himmelfahrtsfest 1483 verschoben zu haben.
Denn die seit dem Spätsommer 1482 noch zu
leistende Arbeit, die Ausführung von 2 Historien,
Aufstellung der Cancellata und der Cantoria
und das Legen des Opus Alexandrinum hätte
die Weihe unmöglich bis 15. August 1483
verzögern können.

Mit dieser Entstehungsgeschichte der Six-
tinischen Wandfresken, die durch die Urkunden
vom 27. Oktober 1481 und 17. Januar 1482
gesichert und allein mit ihnen vereinbar ist,
ist der urkundliche Beweis dafür erbracht,
daß die in das Auszugsbild und den Unter-
gang Kores hineingedeuteten zeitgeschicht-
lichen Anspielungen allein schon aus chrono-
logischen Gründen unmöglich sind. Denn
Ghirlandajos Auszugsbild, das als eine Ver-
herrlichung des Sieges von Campo Morto
(21. August 1482) in den Bilderkreis eingefügt
worden sein soll, war bereits am 15. März 1482
fertig, und die Berufung Aarons zum Hohen-
priestertum (Untergang der Rotte Köre), die
ein Denkmal des päpstlichen Sieges über Za-
mometic darstellen soll, hat Botticelli wohl
bald nach dem 15. März 1482 in Angriff ge-
nommen und im Sommer 1482 vollendet, wäh-
rend die für den Papst günstige Wendung in
der Konzilsfrage erst Ende 1482 eintrat. Eben-
sowenig ist die Opferszene im Wüstenaufenthalt
Christi ein störendes Einschiebsel, sondern ein
notwendiges Glied des Ganzen. Der Bilder-
kreis ist nicht durch spätere Eingriffe des
Papstes vollständig zerstört, sondern nach dem
von Anfang an feststehenden, genial entworfenen
Plan auch wirklich ausgeführt worden.

Freiburg i. B. AntonGroner.
 
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