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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Cremer, Franz Gerhard: Unsere Künstler und das öffentliche Leben, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0166

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249

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

250

ebenhier, ungeachtet der brutalsten Aus-
raubungen, bei denen sich gemeine Plünde-
rungssucht, Indolenz und sträfliche Unwissen-
heit29) gleich schuldig gemacht haben, noch
verhältnismäßig viele jener unschätzbaren
kunst-kalligraphischen Schätze finden, die uns
nun in Bestimmung der so vielseitig erfolgten
Übertragungen wegweisend werden. — Hu-
mann80) verweist in seinem unten genannten
Werke auf eine Evangelienhandschrift des
VIII. bis IX. Jahrh., die für die wechselseitig
erfolgten Beeinflussungen31) außerordentlich
lehrreich ist, und ihr Wert möchte um so höher
anzuschlagen sein, weil sie uns gerade durch
die deutlich erkennbare Richtung der so viel-
seitig sich kreuzenden Wege31) in der Be-
stimmung der zur Anwendung gebrachten
Mittel zur Ausführung nicht unwesentlich
unterstützt. So sicher aber dieses ist, so sicher
ist es auch, daß, wir wollen es nochmals
wiederholen: nur einer weitumfassenden und
in die entlegensten Tiefen dringenden For-
schung die Aufhellung des sich über die mal-
technischen Verfahren der Alten lagernden
Dunkels möglich und dadurch eine erneute Be-
nutzung derselben zu erhoffen ist. — Das erwähnte
Evangeliar in der Schatzkammer zu Essen —
wozu man der weiteren Evangelienhandschrift
gedenken mag, deren Seite 241 u. w. gedacht
wird — gibt Humann zu folgender Erklärung
Anlaß: „In den Miniaturen und Ornamenten
der Handschrift findet man merowingische,
irisch-angelsächsiche, römisch- und byzanti-
nisch-alt-christliche und orientalische Elemente.
Im allgemeinen kann man behaupten, daß
die künstlerische Ausstattung, von der soge-
nannten karolingischen Renaissance noch voll-
ständig unbeeinflußt, den Stilcharakter erkennen
läßt, welcher den fränkischen Handschriften
der Merowingerzeit eigen ist." Diese Worte
finden eine weitere Bestätigung durch einen
Hinweis auf die Fischvogel-Initialen durch
Joseph Strzygowski,32) welche die merowingi-

s9) Unter der auch die Düsseldorfer Landesbiblio-
thek vor Zeiten schwer gelitten hat, worüber die
Akten im dortigen Staatsarchiv: den Verkauf der
Codices und die Verwendung der erlösten Gelder
betreffend, merkwürdige Dinge berichten.

30) Die Kunstwerke der Münsterkirche zu Essen usw.,
herausgegeben von Georg Humann, Düsseldorf, Ver-
lag von L. Schwann. 1904.

M) M. s. besonders was S. 37—39 gesagt ist.

32) Der Dom zu Aachen und sein Entstellung usw.
(Leipzig, 1904.) — S. 53 u. w.

sehen Miniaturmaler wie auch der Verfertiger
der Essener Evangelienhandschrift33) anwen-
deten, die sich, zwar später, auch bei den
Kopten und Armeniern finden, aber auf
eine allen gemeinsame, uralte, orientalische
Überlieferung zurückführen lassen; daß sich
in alt-slavisch (russischen) handschriftlichen
Denkmalen verwandte Elemente zeigen, wird
kaum einer eingehenderen Begründung be-
dürfen. — Dies möge hier für die Verbindungen
und Übertragungen genügen.

Mit dem durch die Jahrhunderte hin sich
weiter entwickelnden Verkehr wuchsen fort-
gesetzt auch die geistigen Interessen, welchen
die Kreuzüge mächtige Impulse gaben. Dies
beweist der Aufschwung der Städte mit
ihren Domen und Rathäusern, dafür spricht
die Prachtentfaltung und die Kunstliebe an
den Fürstenhöfen wie nicht minder die Kühn-
heit und Größe der literarischen Denkmäler
den hohen Zug dieser Periode kennzeichnet.
In Erinnerung dieser mächtigen Bewegung,
welche die ganze damalige Welt in ihren
tiefsten Grundlagen erregte und bewegte, er-
scheint dem genaueren Beobachter dieser
Zeit die Tat eines van Eyck — bei aller
Kühnheit und Genialität — dennoch als die
einfache Folge natürlich sich vollziehender
Vorgänge. Denn was in jedem einzelnen
Zeitpunkte des Völkerlebens einen wichtigen
Fortschritt der Intelligenz bezeichnet, sagt Ale-
xander von Humboldt, hat seine tiefen Wurzeln
in der Reihe vorhergehender Jahrhunderte.
Dies ist aber eben so tröstlich wie lehrreich,
da also auch wir unter Beobachtung gleicher
Bedingungen Gleiches zu erreichen hoffen
dürfen; denn kein blind-waltend Geschick
führt zu solchen Erfolgen.

Demnach bleibt auch uns die Pflicht,
zu tun, was van Eyck tat und was der
Anonymus Bernensis, die Väter von St. Gallen
und die liebenswürdigen Töchter des heiligen
Benedikt zu Gandersheim zu tun beobachteten,

83) Humann sagt S. 30: „Die Handschrift ist
vor ungefähr zwanzig Jahren im Pfarrarchive der
Münsterkirche (zu Essen) aufgefunden.....wor-
den. Zunächst sind von mir in der Zeitschrift des
Bergischen Geschichtsvereins (herausgegeben von
Prof. Crecelius und Geh. Archivrat Dr. Harleß)
Bd. 17, 1881, S. 121 ff. Farbenaufnahmen in ver-
kleinertem Maßstabe auf vier Tafeln .... nebst
kurzer Beschreibung veröffentlicht worden." Von diesen
enthalten Taf. 2, Nr. 3, 4; Taf. 3, 7; Taf. 4, 16
treffende Beispiele.
 
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