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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Oidtmann, Heinrich: Über die Instandsetzung alter Glasmalereien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0177

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265

1906.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.

266

recht alt sein. Eine mehrstündige Reinigungs-
arbeit förderte eine glänzende Goldffäche mit
wunderbarer spätgotischer Verzierung zutage,
unvergleichlich schönes Rankenwerk, Minuskel-
schrift und Wappen. Was ist schöner? Hat
die Kugel vielleicht an Altertumswert ver-
loren? — Das Kellermoos der Flasche ist es
nicht, was die Güte, das Alter und den Ge-
schmack des Rotweins bedingt!

Wenn bei einem alten Glasgemälde die
Tafeln kümmerlich mit weißen Scherben ge-
flickt sind, anderer-
seits die schwarz ge-
wordenen Glasstücke
sich unliebsam an-
gehäuft haben, sodaß
von einer geschmack-
vollen Farbenwahl
herzlich wenig mehr
zu erkennen ist, soll
ein solch zweifelhaf-
ter Zustand ,,erhal-
ten" bleiben? Ich
habe Fenster ange-
troffen, welche in
ihrer jammervollen
Verfassung geradezu
verletzend wirkten.
Ihr lückenhaftesAus-
sehen macht auf das
empfängliche Auge
den nämlichen uner-
freulichen Eindruck,
wie auf das feinfüh-
lige Gehör die „Ak-
korde" einer mächti-
gen Orgel, deren
Töne zur Hälfte oder
gar zu zwei Drittel
aussetzen bzw. falsch
und schrill klingen.

Soll sinnlose Unordnung, die Unverstand an-
gerichtet, bestehen bleiben ? Konnte man an
dem prächtigen Fenster zu Limburg ein ein-
zelnes Fach leer stehen lassen, als gähnende
Lücke in dem wohltuenden Farbenspiel? Soll
man ferner die üblen „Restaurationen" der
Neuzeit bis in die 1890 er Jahre mit ihren
mangelhaften schreienden Farbengläsern un-
berührt lassen? — Keineswegs. Stets soll
unkünstlerische Zutat unfähiger Glaser ent-
fernt werden. Warum? — Weil man es zur-
zeit versteht, gut instandzusetzen. Diese

Abb. 2.
Erschaffung der Tiere; rote und gelbe Quadern ; Hintergrund
hellblau. Der Nimbus Gott Vaters gelb, das Untergewand
blauviolett, das Obergewand rot. Die Wolke in der Spitze
rot, nach unten aufhellend ; das Spruchband weifj ; der Baum
grün mit gelbem Stamme; der Fußboden warm olivgrün;
Vögel gelb bezw. grün; der Storch hat rote Beine, das
Schwarz des Körpers aufgetragenes Schwarzlot; der Schwan
weiß, das Löwenpaar gelb ; das Kaninehen weig; der Ochse rot.

Behauptung wird durch eine Reihe ausge-
zeichnet gelungener Wiederherstellungen ein-
wandfrei bestätigt. Ob man diese Kunst nach
50 Jahren mit gleichem Verständnis handhaben
wird? — Ein Rückblick in die Vergangenheit
der Glasmalerei gestattet mit nichten eine
rückhaltlose Bejahung dieser Frage.

Umgekehrt möchte ich mich mit aller Ent-
schiedenheit gegen die irrige Auffassung ver-
wahren, daß man urteilslos alle alten Glas-
malereien ergänzen und „stilgerecht" von

fremder Beigabe
säubern müsse. Ich
kenne nicht wenige
Kirchen, in welchen
sich im Laufe der
Jahrhunderte zu den
alten Tafeln der
Gotik Erzeugnisse
der nachmittelalter-
lichen Zeit gesellt
haben, meistWappen
der Rennaissance;
solch zufällige Zu-
sammenstellungen
bilden häufig einen so
reizend malerischen
Fensterschmuck, daß
es grundverkehrt
wäre, dort „reini-
gend" und „ver-
bessernd" einzugrei-
fen. Gleich günstigen
Eindruck machen
vereinzelte, in den
Fenstern übrig ge-
bliebene farbige Fel-
der. Gar leicht könnte
hier unverständige
Ergänzung die Ge-
samtstimmung ver-
derben. Ich kenne ferner Glasgemälde des
XIII. und XIV. Jahrh., welche eben durch
eine leichte Patina farbenprächtig wirken und
daher durchaus nicht angetastet werden dürfen.
Vorstehende Äußerungen sind der Ausfluß
einer aufrichtigen, ehrlichen Überzeugung,
welche sich nach vorurteilsfreier, gewissen-
hafter Prüfung entgegengesetzter Ansicht auf
der gründlichen Besichtigung, auf der genauen
Kenntnis ungemein vieler Denkmäler und
nicht zuletzt auf der Liebe zur Sache selbst
aufbaut. Desgleichen sind die nachfolgenden
 
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