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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Braun, Joseph: Die Paramente im Schatz der Schwestern U. L. Frau zu Namur
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0196

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295

190ö. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUXST — Nr. 10

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schmälern, haben in der unteren Hälfte eine
Königsfigur und darüber eine Frauengestalt
Platz gefunden, vielleicht Darstellungen der
Besteller und Stifter der Mitra; die obere ist
mit Ranken und Halbmündchen bestickt.

Was dieser Mitra ein über das Gewöhn-
liche hinausgehendes Interesse verleiht, ist
abgesehen von ihrer Beschaffenheit und ihrer
Form, welch letztere noch durchaus den
frühesten Typus der über Stirn und Hinter-
haupt aufsteigenden Mitren besitzt, vornehm-
lich der Umstand, daß sie in ihrer eigen-
artigen Ausstattung
nicht vereinzelt da-
steht. Es haben sich
nämlich noch zwei
andere gleichartige
Mitren erhalten, wel-
che so sehr mit ihr
übereinstimmen, daß
sie zweifelsohne der
gleichen Werkstatt zu-
gewiesen werden müs-
sen. Dieeinederselben
findet sich jetzt im K.
Bayerischen National-
museum zu München,
wohin sie aus dem
Kloster Seligenthai bei
Landshut kam. Sie ist
leider nicht mehr voll-
ständig, da nicht nur
der Circulus bei ihr ab-
handen gekommen ist,
sondern auch die Be-
hänge verschwunden
sind. Die zweite birgt
der Schatz der Kathe-
drale von Sens. Sie kam 1884 aus dem
Nachlaß der Grafen A. de Bastard in den-
selben zurück, nachdem sie ihm bereits vor
der Revolution angehört hatte.

Die Seligenthaler Mitra ist bei von Hefner-
Alteneck abgebildet.8) Auf der einen Seite
sehen wir auch hier das Martyrium des hl.
Thomas Becket (Abb. 4a). Es ist im wesent-
lichen die gleiche Darstellung, wie sie uns
bei der Namurer Mitra begegnete: Der Hei-
lige vor dem Altar, drei Ritter, einer mit er-

9) Hefner-Alteneck, J. H., von, »Trachten,
Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittel-
alter bis Ende des XVIII. Jahih.« (Frankfurt 1881,
Taf. 102).

hobenem Schwert, der andere das Schwert in
der linken gesenkt haltend, der dritte im Be-
griff, dem Bischof den Todesstreich zu geben,
die Mitra des Bischofs am Boden, hinter den
Rittern die stilisierten Staude, oben die aus
den Wolken herunterragende Hand Gottes,
die Inschrift, die Kostümierung der Ritter
und des Heiligen, der auf Säulchen ruhende
Altar. Daß es dabei im einzelnen an Ver-
schiedenheiten nicht fehlt, kann keinen be-
fremden, der mit der Weise, wie die mittel-
alterlichen Meister ihre Repliken machten,
etwas näher bekannt
ist. Sklavisch wieder-
holen war nicht deren
Sache. Was sie schufen,
waren freieVariationen
desselben Motivs, der-
selben Darstellung.
So hat es auch der
Sticker gehalten, der
die Namurer und
die Münchener Mitra
mit den Erzeugnissen
seines Kunstfleißes
schmückte.

Der zweite Schild
der Münchener Mitra
(Abb. 4 b) weist statt
des Martyriums des hl.
Laurentius die Steini-
gung des Erzmartyrers
Stephanus auf. Weicht
sie sonach in bezug
auf den Gegenstand
der Darstellung dieser
Abb. 2. Seite von ihrem Na-

murer Gegenstück ab,
so sind jedoch die Weise, der Stil und der
Gharakter der Darstellung hier wie dort völlig
gleich. Die Steiniger sind in Tracht und
Haltung ganz dieselbe Erscheinung wie die
Henker bei dem Martyrium des hl. Laurentius,
aber auch die Hand Gottes, die analoge In-
schrift und das gleiche der Ausfüllung des
leeren Raumes dienende stilisierte Pflanzen-
werk fehlen nicht.

Den Abschluß der Schrägseiten bildet bei
der Münchener Mitra gerade wie bei der
Namurer ein schmales, grätenartiges, aus ab-
gehefteten Goldfäden bestehendes Streifchen.
Ebenso kommt jene mit dieser darin über-
ein, daß die den Deckel bildende Klappe
 
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