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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Falke, Otto von: Wiener Grubenschmelz des XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0213

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323

1906. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

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und zu einer Zeit, als die Grubenschmelz-
technik in ihren alten Sitzen am Rhein und
an der Maas bereits erloschen war, eine Reihe
von Goldschmiedearbeiten, die zwar im Stil der
Zeichnung und ihrem Maßstab den italienisch-
französischen Tiefschnittschmelzen und den
selteneren gotischen Grubenschmelzen dieser
beiden Länder nahe stehen, in ihrer ana-
chronistischen Technik aber unmittelbar an
romanische Vorläufer sich anschließen.

Die Lösung dieses Rätsels liegt in dem
urkundlich überlieferten Zusammenhang, der
zwischen dem Klosterneuburger Emailaltar
des Meisters Nicolaus von Verdun aus dem
Jahr 1181 und dem Hauptstück unserer goti-
schen Gruppe besteht.

Dieses Hauptstück (Abb. 1) ist das durch
mehrfache Veröffentlichungen bekannte Ci-
borium, das sich ebenfalls in Klosterneuburg
bei Wien befindet.6)

Es steht im Mittelpunkt der Gruppe schon
deshalb, weil es die künstlerisch bedeutendste
Leistung der ganzen Gattung ist. Sowohl der
Reichtum an figürlichen Darstellungen — es
sind 1 (i Bilder aus dem Leben Christi und
außerdem noch 8 Figuren von Propheten auf
den in die achtseitige Kuppa und den Deckel
eingelassenen Schmelzplättchen angebracht —
wie der klare, schlanke Aufbau, die vornehme
Farbigkeit und die ganz tadellose Erhaltung
stellen das Ciborium in die erste Reihe unter
den Goldschmiedarbeiten des XIV. Jahrh.
Es ist ferner das einzige Stück, über dessen
Wiener Herkunft und Entstehungszeit uns
eine deutliche Nachricht in der „kleinen
Chronik von Klosterneuburg" G) überliefert ist,
und das eben deshalb die Grundlage unserer
Beweisführung bildet.

Die Chronik berichtet zum Jahr 1322 über
den Brand der Stiftskirche, bei welchem der
Verduner Emailaltar beschädigt und nur mit
knapper Not errettet wurde. Die auf die
Wiederherstellung des Altars und auf das

5) Zuerst beschrieben und abgebildet in den
Mitteilungen der Zentralkommission, VI. T. VII.
u. Fig. 14, 15; ferner ebend. 1873, XVIII. Fig. 12,
13, 14. Danach im Katalog der Ausstellung kirch-
licher Kunstgegenstände im österr. Museum 1887,
S. 30. Abgebildet, ohne im Text erwähnt zu werden,
bei Luthmer, Email», Fig. 21. — Die erste photo-
mechan. Wiedergabe bei L i s t- D r e x 1 e r, »Goldschmiede-
arbeiten im Stift Klosterneuburg«, Wien 1897, Taf. (i.
°) Zeibig, im »Archiv für Kunde österreichischer
Geschichtsquellen«, VII.

Ciborium bezügliche Stelle hat den folgenden
Wortlaut:

„Propst Stephan von Sierndorf7) schuef,
das man die schön Taffei (des Meisters
Nicolaus v. Verdun) gehn Wien füert undter
die Goldtschmit, die verneuerten sie wider
mit Goldt und machten das schöne Zibarn
darauff und unser Frauen Bildt mitten darein
in der Eeren."

Es ist nun die Frage, ob mit dem „schönen
Zibarn" in der Tat das noch heute im Stift
Klosterneuburg bewahrte Grubenschmelz-
ciborium gemeint sein muß und nicht nur
gemeint sein kann. Daß es der ersten Hälfte
des XIV. Jahrh. entstammt, ergibt sich ja
ohne weiteres aus der Form, den frühgotischen
Blattbildungen auf dem Fuß und am Schaft,
und aus dem Stil der Bilder; das würde aber
nicht mehr als die hohe Wahrscheinlichkeit
der Identität erweisen.

Außer von Kondakow und Friedrich
Schneider, die das Klosterneuburger Ciborium
für italienische Arbeit erklärt haben, ist die
Wiener Herkunft kaum bestritten worden.
Aber einer glatten und entschiedenen Be-
jahung der Frage sind bisher die Worte der
Chronik „Unser Frauen Bildt mitten darein
in der Eeren" hinderlich gewesen. Denn die
Wortstellung des Chronisten hat sowohl Drexler
wie Camillo List verführt, diesen Zusatz auf
das Ciborium zu beziehen, das aber eine
Darstellung der Maria in der Ehren nirgends
aufweist.8)

Drexler 9) meint, das Ciborium der Chronik
wäre entweder ein Altarüberbau gewesen, von
dem heute nichts mehr erhalten ist, oder es
müßte ein Marienbild über dem Zinnenkranz
im Deckelknauf des Grubenschmelzciboriums
angebracht gewesen sein. Camillo List da-
gegen hilft sich aus der Verlegenheit, indem
er zwar den Zusammenhang zwischen der
Chronik und dem Grubenschmelzciborium
gelten läßt, das „Bildt unserer Frauen" aber
auf eine silberne Patene mit der Krönung

7) Stephan von Sierndorf verwaltete das Stift
Klosterneuburg von 1317—1335.

9) C. List hat diese Auffassung sich geradezu
unvermeidlich gemacht duich eine falsche Wieder-
gabe des Zitats der Chronik: „Die Goldschmidt
machten das schöne Zibarn, darauff unser Frauenbildt
mitten in der Eeren darin." Vgl. List-Drexler,
Goldschmiedearbeiten in Klosterneuburg«, S. 5.

9) Drexler-Strommer, »Der Verduner Altar«,
Wien, 1903, S. 3.
 
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