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1906.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
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verletzender Weise mit plumper Steifheit, stu-
pider Gleichgültigkeit und starrer Eckigkeit der
Figuren. Der phantastische Aufputz, eine Ver-
mengung orientalischer Tracht, mittelalter-
licher Rüstungen und allerhand Modetorheiten,
wirkt fast wie eine Maskerade und erinnert
an die Passionsspiele, wo biderbe Hand-
werker in den Rollen der Magier aus dem
Morgenlande, des Kaisers Augustus, des
Herodes und Pilatus in gleichen Kostümen
mit gespreizten Gebärden auftraten.
Die Vorzüge holländischer Gemälde be-
standen schon im XV. Jahrh. in der Sorgfalt der
Durchführung und dem tiefen, feingestimmten,
klaren Kolorit. Das Verhältnis zur umgeben-
den Natur ist besonders innig, und so wird
die unvergleichliche Landschafts- und Stim-
mungsmalerei der Amsterdamer Meister des
XVII. Jahrh. schon in diesen Anfängen vor-
bereitet.
Haarlem und Leyden, später auch Amster-
dam waren Pflegstätten einer solchen boden-
wüchsigen Kunst. Der Einfluß des Jan van
Eyck konnte holländische Maler auch daheim
erreichen, da dieser vornehmste Vertreter des
vlämischen Realismus in den Jahren 1422—24
bei Johann von Bayern, dem Grafen von
Holland, in Dienst stand und sich im Haag
aufhielt. Neuerdings vermutet man auch eine
Anwesenheit des Hubert van Eyck in Holland.3)
Der Ausbruch mächtiger Affekte in den Kom-
positionen des Roger van der Weyden ent-
sprach weniger dem Phlegma des Nordländers,
seinem unbestechlichen Wirklichkeitssinn. Jede
Absichtlichkeit soll streng vermieden werden;
die Gruppierung ist oft zerstreut, die Hand-
lung mit Nebenzügen überhäuft. Die Vor-
liebe für Beiwerk bekundet sich auch in der
subtilen Erfassung und Wiedergabe alles
Stofflichen. Die Gediegenheit und Sorgfalt
der Mache erschien schon Martin Heemskerck
erstaunlich; er pflegte, indem er sich an einem
solchen Wunderwerk gar nicht satt sehen
konnte, seinen Schüler jedesmal auf die An-
spruchslosigkeit der Alten hinzuweisen : „Soon,
wat moghen dese Menschen gheten hebben ?
meenende, datse eenen grouwsamen grooten
s) Georges Hulin: „L'atelier de Hubrecht van
Eyck et les Heures de Turin". >Annuaire de la
Societe pour le progriis des etudes philologiques et
historiquest (Gand, 1902) und Durand-G reville:
,,Hubert van Eyck, son oeuvre et son intluence",
»Les arts anciens de Flandre« I (1904).
tijdt en vlijdt hebben moeten toebrenghen
sulex te maecken."4)
Es war nun ein glücklicher Gedanke und
ein überaus verdienstliches Unternehmen, die
historische und stilistische Betrachtung der
holländischen Primitiven zu fördern und zu
erleichtern durch eine umfassende Publikation,
welche das weitzerstreute Material in getreuen
Abbildungen vereinigt. Dr. Franz Dül-
berg hat sich die Erforschung der Früh-
holländer zur Lebensaufgabe gemacht und seit
seiner fleißigen Dissertation5) eine Anzahl
wertvoller Einzeluntersuchungen aus diesem
Gebiet verfaßt. Er hat keine Mühe und kein
Opfer gescheut, auf ausgedehnten Reisen solche
Stücke an entlegenen Orten, in verstecktem
Privatbesitz oder verkannt in der Bildermasse
der großen Museen aufzuspüren und mit
einer stilkritischen Analyse seinem Werk ein-
zuverleiben. Bei der Herausgabe seiner
„Frühholländer" erkannte er selbst die
Schwierigkeiten dieser Veröffentlichung. Sie
stellt zunächst an die kritische Schulung, die
Unvoreingenommenheit des Blicks hohe An-
forderungen. Es ist nicht leicht, in fremder
Umgebung zwischen anonymen niederlän-
dischen Werken jedesmal die Arbeit des
Holländers mit Bestimmtheit zu eruieren und
der Entwicklung einzuordnen. Erhebliche
Schwierigkeiten boten sich auch der photo-
graphischen Aufnahme, die, unter ungünstigen
Verhältnissen hergestellt, manchmal nur un-
scharfe Reproduktionen ermöglichte. Mehrere
Eigentümer untersagten prinzipiell die Pu-
blikation ihrer Gemälde. Sollte eine an-
nähernde Vollständigkeit erreicht werden, so
konnte man auch auf künstlerische Qualitäten
der einzelnen Gemälde keine Rücksicht
nehmen; eine Auswahl des Besten aus der
Masse war ausgeschlossen.
Die Serie (Franz Dülberg: Früh-
holländer I. Haarlem, Kleinmann &
Co., 25 Tafeln mit Text) eröffnen Repro-
duktionen der beiden Triptychen des Cornelis
Engelbrechtszoon und des großen Flügel-
altares des Lucas van Leyden, seiner einzigen
beglaubigten Schöpfung in der monumentalen
Malerei, der Hauptschatz des städtischen Mu-
4) Karel van Mander „Schilderboek". Aus-
gabe von H. Floerke I (1906) S. 68.
b) Franz Dülberg: »Die Leydener Malerschule:
I.Gerardus Leydanus, II.CornelisEngebrechtsz.«(Berlin
1899).
1906.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
356
verletzender Weise mit plumper Steifheit, stu-
pider Gleichgültigkeit und starrer Eckigkeit der
Figuren. Der phantastische Aufputz, eine Ver-
mengung orientalischer Tracht, mittelalter-
licher Rüstungen und allerhand Modetorheiten,
wirkt fast wie eine Maskerade und erinnert
an die Passionsspiele, wo biderbe Hand-
werker in den Rollen der Magier aus dem
Morgenlande, des Kaisers Augustus, des
Herodes und Pilatus in gleichen Kostümen
mit gespreizten Gebärden auftraten.
Die Vorzüge holländischer Gemälde be-
standen schon im XV. Jahrh. in der Sorgfalt der
Durchführung und dem tiefen, feingestimmten,
klaren Kolorit. Das Verhältnis zur umgeben-
den Natur ist besonders innig, und so wird
die unvergleichliche Landschafts- und Stim-
mungsmalerei der Amsterdamer Meister des
XVII. Jahrh. schon in diesen Anfängen vor-
bereitet.
Haarlem und Leyden, später auch Amster-
dam waren Pflegstätten einer solchen boden-
wüchsigen Kunst. Der Einfluß des Jan van
Eyck konnte holländische Maler auch daheim
erreichen, da dieser vornehmste Vertreter des
vlämischen Realismus in den Jahren 1422—24
bei Johann von Bayern, dem Grafen von
Holland, in Dienst stand und sich im Haag
aufhielt. Neuerdings vermutet man auch eine
Anwesenheit des Hubert van Eyck in Holland.3)
Der Ausbruch mächtiger Affekte in den Kom-
positionen des Roger van der Weyden ent-
sprach weniger dem Phlegma des Nordländers,
seinem unbestechlichen Wirklichkeitssinn. Jede
Absichtlichkeit soll streng vermieden werden;
die Gruppierung ist oft zerstreut, die Hand-
lung mit Nebenzügen überhäuft. Die Vor-
liebe für Beiwerk bekundet sich auch in der
subtilen Erfassung und Wiedergabe alles
Stofflichen. Die Gediegenheit und Sorgfalt
der Mache erschien schon Martin Heemskerck
erstaunlich; er pflegte, indem er sich an einem
solchen Wunderwerk gar nicht satt sehen
konnte, seinen Schüler jedesmal auf die An-
spruchslosigkeit der Alten hinzuweisen : „Soon,
wat moghen dese Menschen gheten hebben ?
meenende, datse eenen grouwsamen grooten
s) Georges Hulin: „L'atelier de Hubrecht van
Eyck et les Heures de Turin". >Annuaire de la
Societe pour le progriis des etudes philologiques et
historiquest (Gand, 1902) und Durand-G reville:
,,Hubert van Eyck, son oeuvre et son intluence",
»Les arts anciens de Flandre« I (1904).
tijdt en vlijdt hebben moeten toebrenghen
sulex te maecken."4)
Es war nun ein glücklicher Gedanke und
ein überaus verdienstliches Unternehmen, die
historische und stilistische Betrachtung der
holländischen Primitiven zu fördern und zu
erleichtern durch eine umfassende Publikation,
welche das weitzerstreute Material in getreuen
Abbildungen vereinigt. Dr. Franz Dül-
berg hat sich die Erforschung der Früh-
holländer zur Lebensaufgabe gemacht und seit
seiner fleißigen Dissertation5) eine Anzahl
wertvoller Einzeluntersuchungen aus diesem
Gebiet verfaßt. Er hat keine Mühe und kein
Opfer gescheut, auf ausgedehnten Reisen solche
Stücke an entlegenen Orten, in verstecktem
Privatbesitz oder verkannt in der Bildermasse
der großen Museen aufzuspüren und mit
einer stilkritischen Analyse seinem Werk ein-
zuverleiben. Bei der Herausgabe seiner
„Frühholländer" erkannte er selbst die
Schwierigkeiten dieser Veröffentlichung. Sie
stellt zunächst an die kritische Schulung, die
Unvoreingenommenheit des Blicks hohe An-
forderungen. Es ist nicht leicht, in fremder
Umgebung zwischen anonymen niederlän-
dischen Werken jedesmal die Arbeit des
Holländers mit Bestimmtheit zu eruieren und
der Entwicklung einzuordnen. Erhebliche
Schwierigkeiten boten sich auch der photo-
graphischen Aufnahme, die, unter ungünstigen
Verhältnissen hergestellt, manchmal nur un-
scharfe Reproduktionen ermöglichte. Mehrere
Eigentümer untersagten prinzipiell die Pu-
blikation ihrer Gemälde. Sollte eine an-
nähernde Vollständigkeit erreicht werden, so
konnte man auch auf künstlerische Qualitäten
der einzelnen Gemälde keine Rücksicht
nehmen; eine Auswahl des Besten aus der
Masse war ausgeschlossen.
Die Serie (Franz Dülberg: Früh-
holländer I. Haarlem, Kleinmann &
Co., 25 Tafeln mit Text) eröffnen Repro-
duktionen der beiden Triptychen des Cornelis
Engelbrechtszoon und des großen Flügel-
altares des Lucas van Leyden, seiner einzigen
beglaubigten Schöpfung in der monumentalen
Malerei, der Hauptschatz des städtischen Mu-
4) Karel van Mander „Schilderboek". Aus-
gabe von H. Floerke I (1906) S. 68.
b) Franz Dülberg: »Die Leydener Malerschule:
I.Gerardus Leydanus, II.CornelisEngebrechtsz.«(Berlin
1899).