361
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
362
köstlichen Flügel im Museum zu Antwerpen Nr.
179/80 erreicht. Auch die beiden Paradieses-
szenen in der Akademie zu Venedig Nr. 182,
184 (Tafel 8 u. 9) wird man mit dem Cicerone
ruhig dem Hieronymus Bosch lassen können.
Die Tafeln im Palazzo reale zu Genua, welche
in enger Folge von Gruppen beredt und an-
ziehend die Legenden der hl. Katharina und
Agnes berichten, sind tüchtige Arbeiten nieder-
rheinischer Volkskunst; sie gehören nur zur
Peripherie der holländischen Schule, während
die kleine „Beweinung" in der Pinakothek zu
Turin Nr. 321 (Tafel 16) mit ihren erregten,
feingliederigen Figürchen in lichten, auf-
bauschenden Gewändern einem Antwerpener
Maler, dem Meister des Dormagenschen Al-
tärchens, zuzuteilen ist. Originelle Leistungen
aus der Werkstatt des Cornelis Engebrechtsz.
sind hingegen die beiden Rundschildchen mit
„dem Gebet Gideons" und der „Abigail vor
David" im Bargello zu Florenz, Collection
Carrand Nr. 22, 23 (Tafeln 19 u. 20).
Eine weitere hervorragende Schöpfung von
holländischer Eigenart, den Passionsaltar in der
Pinakothek zu Turin Nr. 306 (Tafeln 26, 27),
bringt Dülberg mit Hughe Jacobszoon, dem
Vater des Lucas van Leyden in Beziehung und
ordnet mit dieser Vermutung die Gemälde
glücklich der Entwicklung ein. Dieser energische
Zeichner, der in seinen dichtgedrängten Kom-
positionen Köpfe von scharfprononzierten Zügen
und herbem Gesichtsausdruck aneinanderreiht,
wurzelt noch in den alten Traditionen des
XV. Jahrhunderts. Seine Gruppen sind ziem-
lich mühselig stets aus ähnlichen Bestandteilen
zusammengefügt, kräftige Konturlinien wieder-
holen sich, die Farbenstimmung ist diskret,
verblaßt, die Modellierung eindringlich. Der-
selben Hand gehört bestimmt nur das Kreuzi-
gungsbild im Städel-Institut zu Frankfurt Nr.
106 und ein verwandtes Gemälde in Lille an.
Das Mittelstück eines großen Triptychons aus
Richterich (Brüssel, Musee royal Nr. 126) ist
jedoch eine unzweifelhafte Arbeit des Kölner
Meisters der hl. Sippe.13)
Von Lucas van Leyden selbst werden
einige Zeichnungen vor uns ausgebreitet.14) Nur
ein Studienblatt in Silberstift, eine zurückgelehnte
") Der aufblickende Männerkopf (Tafel 21) wurde
als Melozzo da Forli schon in der Publ. der kunsth.
Ges. VI 1900, Tafel 20 abgebildet.
Gestalt mit ausgestreckten nackten Beinen
(Florenz, Uffizien Nr. 8705 D. Tafel 33), dürfte
unter ihnen rückhaltlose Anerkennung als
Studie zu dem Stich „Adam und Eva" (B. 10)
finden. In dem flüchtigen Gemälde „Der
Kalvarienberg", Verona, Museo civico Nr. 352
(Tafel 36), erkennt man Typen seiner Erfindung.
Alle jene Reize der holländischen Schilder-
kunst, ihre naive Weltfreude und Unerschöpf-
lichkeit, der Fleiß und die Frische scheinen
dann in dem köstlichen Weihnachtsbild des
Meister Jakob Cornelisz. van Oostzanen von
1512 im Museo nazionale zu Neapel (Tafeln
37—40) vereinigt. Die weite Halle reicht
kaum, den Schwärm mannigfacher Gestalten, die
biblischen Personen an der Krippe, die Stifter-
scharen unter Führung ihrer Patrone St. An-
dreas und Margareta und den lustigen Tumult
übermütiger Engelputti, aufzunehmen. Die
starken Bewegungen einzelner sind zwar outriert,
die Figuren stehen unter sich und zur Um-
gebung nicht recht im Verhältnis, auch die
perspektivische Raumdarstellung ist noch nicht
gelungen, eine zerstreuende Vielheit drängt
sich dem Auge auf. Das Wollen und Vor-
stellen überwiegt noch das Können und Zu-
sammenfassen. Mit einer Reihe Probleme,
die noch keineswegs befriedigend gelöst, aber
tatkräftig in Angriff genommen sind, tritt die
Amsterdamer Malerschule, ihrer Zukunft sicher,
in die Renaissance-Epoche ein.15)
Bonn.
E. Firmenich-Ric hartz.
16) Der „Meister der Magdalenenlegende", von
welchem Dülberg ein Marienaltärchen im Palazzo
Durazzo-Pallavicini zu Genua Tafel 41 aufnimmt,
Wiederholungen mit andern Flügelbildern befinden sich
in der Sammlung Mayer van den Bergh in Antwerpen,
Exposition des primitifs, Bruges 1902 Nr. 174 und
im Wallace-Museum (Hertford-House zu London),
gehört meines Erachtens nicht zur holländischen
Schule. Dagegen sind nachzutragen: 1. Art des Jan
Mostaert: „Christus als Schmerzensmann und Engel."
Verona, Museo civico Nr. 382, Max Friedländer im
»Repertorium« XXVIII. (1005) S. 518. 2/3. Jan Joest:
.Bildnispaar." Rom, Palazzo Corsini, Nr. 749 u. 753.
4. Jan van Scorel, Frühzeit: .Damenbildnis", Florenz,
Uffizien Nr. 839. 5. Jan van Scorel: „Bildnis eines
Mannes mit einem Brief in der Hand." Turin, Pina-
coteca Nr. 319 L. Scheibler im »Jahrbuch der Kgl.
Preuss. Kunstsammlungen II. (1881; S 213. — J. M.
Friedländers Anzeige (Ztschr. f. b. K. XVIII S. 79)
erschien nach der Korrektur und konnte leider nicht
mehr berücksichtigt werden.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
362
köstlichen Flügel im Museum zu Antwerpen Nr.
179/80 erreicht. Auch die beiden Paradieses-
szenen in der Akademie zu Venedig Nr. 182,
184 (Tafel 8 u. 9) wird man mit dem Cicerone
ruhig dem Hieronymus Bosch lassen können.
Die Tafeln im Palazzo reale zu Genua, welche
in enger Folge von Gruppen beredt und an-
ziehend die Legenden der hl. Katharina und
Agnes berichten, sind tüchtige Arbeiten nieder-
rheinischer Volkskunst; sie gehören nur zur
Peripherie der holländischen Schule, während
die kleine „Beweinung" in der Pinakothek zu
Turin Nr. 321 (Tafel 16) mit ihren erregten,
feingliederigen Figürchen in lichten, auf-
bauschenden Gewändern einem Antwerpener
Maler, dem Meister des Dormagenschen Al-
tärchens, zuzuteilen ist. Originelle Leistungen
aus der Werkstatt des Cornelis Engebrechtsz.
sind hingegen die beiden Rundschildchen mit
„dem Gebet Gideons" und der „Abigail vor
David" im Bargello zu Florenz, Collection
Carrand Nr. 22, 23 (Tafeln 19 u. 20).
Eine weitere hervorragende Schöpfung von
holländischer Eigenart, den Passionsaltar in der
Pinakothek zu Turin Nr. 306 (Tafeln 26, 27),
bringt Dülberg mit Hughe Jacobszoon, dem
Vater des Lucas van Leyden in Beziehung und
ordnet mit dieser Vermutung die Gemälde
glücklich der Entwicklung ein. Dieser energische
Zeichner, der in seinen dichtgedrängten Kom-
positionen Köpfe von scharfprononzierten Zügen
und herbem Gesichtsausdruck aneinanderreiht,
wurzelt noch in den alten Traditionen des
XV. Jahrhunderts. Seine Gruppen sind ziem-
lich mühselig stets aus ähnlichen Bestandteilen
zusammengefügt, kräftige Konturlinien wieder-
holen sich, die Farbenstimmung ist diskret,
verblaßt, die Modellierung eindringlich. Der-
selben Hand gehört bestimmt nur das Kreuzi-
gungsbild im Städel-Institut zu Frankfurt Nr.
106 und ein verwandtes Gemälde in Lille an.
Das Mittelstück eines großen Triptychons aus
Richterich (Brüssel, Musee royal Nr. 126) ist
jedoch eine unzweifelhafte Arbeit des Kölner
Meisters der hl. Sippe.13)
Von Lucas van Leyden selbst werden
einige Zeichnungen vor uns ausgebreitet.14) Nur
ein Studienblatt in Silberstift, eine zurückgelehnte
") Der aufblickende Männerkopf (Tafel 21) wurde
als Melozzo da Forli schon in der Publ. der kunsth.
Ges. VI 1900, Tafel 20 abgebildet.
Gestalt mit ausgestreckten nackten Beinen
(Florenz, Uffizien Nr. 8705 D. Tafel 33), dürfte
unter ihnen rückhaltlose Anerkennung als
Studie zu dem Stich „Adam und Eva" (B. 10)
finden. In dem flüchtigen Gemälde „Der
Kalvarienberg", Verona, Museo civico Nr. 352
(Tafel 36), erkennt man Typen seiner Erfindung.
Alle jene Reize der holländischen Schilder-
kunst, ihre naive Weltfreude und Unerschöpf-
lichkeit, der Fleiß und die Frische scheinen
dann in dem köstlichen Weihnachtsbild des
Meister Jakob Cornelisz. van Oostzanen von
1512 im Museo nazionale zu Neapel (Tafeln
37—40) vereinigt. Die weite Halle reicht
kaum, den Schwärm mannigfacher Gestalten, die
biblischen Personen an der Krippe, die Stifter-
scharen unter Führung ihrer Patrone St. An-
dreas und Margareta und den lustigen Tumult
übermütiger Engelputti, aufzunehmen. Die
starken Bewegungen einzelner sind zwar outriert,
die Figuren stehen unter sich und zur Um-
gebung nicht recht im Verhältnis, auch die
perspektivische Raumdarstellung ist noch nicht
gelungen, eine zerstreuende Vielheit drängt
sich dem Auge auf. Das Wollen und Vor-
stellen überwiegt noch das Können und Zu-
sammenfassen. Mit einer Reihe Probleme,
die noch keineswegs befriedigend gelöst, aber
tatkräftig in Angriff genommen sind, tritt die
Amsterdamer Malerschule, ihrer Zukunft sicher,
in die Renaissance-Epoche ein.15)
Bonn.
E. Firmenich-Ric hartz.
16) Der „Meister der Magdalenenlegende", von
welchem Dülberg ein Marienaltärchen im Palazzo
Durazzo-Pallavicini zu Genua Tafel 41 aufnimmt,
Wiederholungen mit andern Flügelbildern befinden sich
in der Sammlung Mayer van den Bergh in Antwerpen,
Exposition des primitifs, Bruges 1902 Nr. 174 und
im Wallace-Museum (Hertford-House zu London),
gehört meines Erachtens nicht zur holländischen
Schule. Dagegen sind nachzutragen: 1. Art des Jan
Mostaert: „Christus als Schmerzensmann und Engel."
Verona, Museo civico Nr. 382, Max Friedländer im
»Repertorium« XXVIII. (1005) S. 518. 2/3. Jan Joest:
.Bildnispaar." Rom, Palazzo Corsini, Nr. 749 u. 753.
4. Jan van Scorel, Frühzeit: .Damenbildnis", Florenz,
Uffizien Nr. 839. 5. Jan van Scorel: „Bildnis eines
Mannes mit einem Brief in der Hand." Turin, Pina-
coteca Nr. 319 L. Scheibler im »Jahrbuch der Kgl.
Preuss. Kunstsammlungen II. (1881; S 213. — J. M.
Friedländers Anzeige (Ztschr. f. b. K. XVIII S. 79)
erschien nach der Korrektur und konnte leider nicht
mehr berücksichtigt werden.