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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 3.1909/​10

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Stützenwechsel und Vorhalle sprechen deutlich
für den Osten.

Nicht minder in dem alten Vorurteil befangen
ist F. in seinen Ansichten über den Dom Karls
d. Gr. selbst. Die Abhängigkeit von S. Vitale ist
ihm Dogma. Aber der egregius magister Odo,
der an der Spitze der de Omnibus cismarinis
regionibus herbeigerufenen Meister und Arbeiter
stand, entwickelt sich beim Vergleich des Aachener
Baues mit seinem angeblichen Vorbilde zu einem
wahren Ausbunde von Tüchtigkeit, obwohl er dem
Namen nach ein Franke war. Woher nahmen
denn die Franken die Schulung, um S. Vitale
beim Nachahmen in konsequenter Durchbildung
so sehr zu übertreffen, wie es F. beim Verglei-
chen der Details deutlich macht? Es wirkt drollig,
wenn der Leser gerade das Gegenteil von dem er-
fährt, was ihm angekündigt wurde. Statt der
Konstatierung des Einflusses von S. Vitale schliefst
der Abschnitt damit, die Pfalzkapelle erscheine
in der technischen Konstruktion völlig unabhängig
von S. Vitale. So bleibt eine ganz allgemeine
Verwandtschaft hinsichtlich des Grundrisses und
der Konzeption. F. hätte besser getan, meinem
Fingerzeig nach dem Osten, insbesondere nach
Kleinasien zu folgen, der fein durchdachte Karo-
lingerbau in Aachen würde ihm dann weniger als
fränkische Originalschöpfung erschienen sein denn
als Schlufiglied einer langen Entwicklungskette,
deren einzelne Teile auf dem Wege von Aachen
nach dem Südwesten, d. h. einmal über Mailand,
Ravenna, das andere Mal zur See über Marseille
direkt im Osten zu suchen sind. Rom und Ra-
venna als unmittelbare Vorbilder bleiben besser
ganz aus dem Spiele.

Solche Fragen sind nicht die Hauptsache an
dem neuen Buche. Im Gegenteil, sie sind flüchtig
als Nebendinge behandelt, so auch Haupts Ein-
fall, die Gitter des Aachener Domes könnten
vom Theoderichsgrabe in Ravenna stammen. Da-
rüber freilich kündigt F. eine eigene Gegenschrift
an. In der Hauptssache ist F.'s Buch eine genaue
Zusammenstellung alles dessen, was wir vom
Aachener Dom wissen, bezw. aus den noch erhal-
tenen Bauresten der schriftlichen Überlieferung
und den Nachbildungen feststellen können. So-
weit ich die Dinge nachprüfen kann, ist hier sehr
genau gearbeitet, doch muß freilich nach dieser
Richtung das entscheidende Wort von den lokalen

Forschern in Aachen abgewartet werden. Die
Anordnung ist eine chronologische, sie fällt zum
Teil mit der nach der Bedeutung der einzelnen
Teile zusammen. Dem eigentlichen Kuppelbau
folgt das Atrium, der Verbindungsgang zur Pfalz,
dann die einzelnen Um- und Anbauten bis herun-
ter zu den jetzigen Restaurationsarbeiten. In
jedem einzelnen Abschnitte wird getrennt die ge-
schichtliche Einleitung von der Beschreibung und
der kunstgeschichtlichen Würdigung. F. hat das
Ganze im Auge, verliert sich nie in monogra-
phische Längen. Eine Zeittafel und ein (etwas
mageres) Register schließen den stattlichen, von
zahlreichen, auch guten Abbildungen begleiteten
Band ab. Mir sind manche entwicklungsgescbicht-
lich wichtige Fragen zu flüchtig abgemacht; so
hat F. kein Wort für die Elfenbeinreliefs der
Kanzel; offenbar ist er mehr Historiker, die bil-
dende Kunst an sich liegt ihm nicht sonderlich
am Herzen. Sein Buch schöpft daher die eigent-
lich kunstgeschichtlichen Probleme keineswegs
aus, es bietet vielmehr mit seinen reichen histo-
rischen Nachweisen eine unentbehrliche und wert-
volle Grundlage für jede weiterausblickende den
Aachener Dom in Betracht ziehende kunst-
bistorische Arbeit.

In den Schlußkapiteln über die Geschichte der
Restauration des Münsters seit Erlaß der Bulle
«De salutate animarum», durch die das Münster
statt zum Nationaldenkmal erklärt zu werden,
leider dem Stiftskapitel überlassen wurde, zieht
F. Handschuhe an. Der 1847 gegründete Karls-
verein erfährt aus der Behandlung, die ihm zuteil
wird, nicht, daß er zusammen mit den andern
Restauratoren, die in Aachen am Werk sind,
als guter Beleg für das Unterbinden der Ent-
wicklung des historischen Denkens in Deutsch-
land gelten kann. Wir sind nicht vorwärts ge-
kommen, sondern gelangen allmählich durch das
massenhafte Publizieren von Quellen und das
Vordrängen der Hilfswissenschaften zu einer Un-
kultur, die sich am besten charakterisiert in dem
Mangel an Achtung und Scheu vor der Würde
des Denkmals. Ich kann den Aachnern nur raten,
sie mögen heute noch den Neubau eines Domes
beginnen und das alte Denkmal nicht länger in
den Händen eines Kultes lassen, der mit seinen
Ansprüchen alten deutschen Adel vernichtet.

Graz, August 1909. Josef Strzygowski.
 
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