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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 3.1909/​10

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Muchau, Hermann; Costenoble, Ludwig Wilhelm Heinrich Hermann: Pfahlhausbau und Griechentempel: von Hermann Muchau, Hermann Costenoble
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https://doi.org/10.11588/diglit.22223#0230

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214 Dr. Hermann Muchau.

durch die Römer eingeführten Fremdwort venster
(fenestra) deutlich erkennen.1

Wie in der deutschen Baukunst, hat noch
viel mehr in der griechischen Architektur, beson-
ders seitdem auch die Bauwerke des homerischen
Zeitalters (mykenische Zeit) in den Kreis der Be-
trachtungen gezogen sind, diese innige Verbindung
der Sprachwissenschaft und Litteraturkenntnis
mit dem Studium der architektonischen Einzel-
teile und ihrer Entwicklung große Erfolge er-
zielt.2 Besonders in dem übersichtlich geordneten
Werk von Joseph über die «Homerischen Paläste»3,
worin alle einzelnen Teile eines achäischen
Fürstenhauses eingehend unter Heranziehung
sämtlicher Homerstelleu besprochen werden, ist
der Einfluß der philologischen Studien auf die
Gewinnung eines unanfechtbaren Ergebnisses un-
verkennbar, gleichwohl laufen auch hier noch
einzelne Ungenauigkeiten mit unter, so hat Joseph
bei Besprechung des Begriffes «Türpfosten» gr.
ffraO|uö; auch diejenigen Belegstellen zitiert, wo
das Wort diese Bedeutung gar nicht hat, sondern
so viel heißt als «Gehöft». Freilich können bei
denjenigen Teilen dieser vorgeschichtlichen Bau-
ten, die der Zerstörungswut der Menschen oder
des Feuers u. dergl. anheimgefallen sind, beson-
ders bei den Dächern auch die sorgfältig heran-
gezogenen Literaturnachweise zu einem sicheren
Ergebnis nicht führen, so ist auch von Joseph
die Frage, ob die homerischen Paläste flache oder
geneigte Dächer4 gehabt haben, noch nicht ge-
löst worden, auch Dörpfeld, der gegen Fr. von
Rebers Bekonstruktion des Megarons von Tiryns
mit steilein Dach Einspruch erhebt, spricht auf
S. 40, 41 seines letzten großen Werkes «Troja
und Ilion» davon, daß die Neigung der Dächer

1 Ebemlaselbt S. 14 und Henning, «Das deutsche
Haus».

2 Während Schlienianns Altertumskenntnisse wohl
noch mehrfach lückenhaft waren, hat Dörpfeld als
tüchtiger Hoinerkenner in der wissenschaftlichen
Deutung seiner Funde Glänzendes geleistet, ihm ver-
danke ich eine Reihe wertvoller Erkenntnisse; vergl.
mein «Hilfsbuch zu Homer» (Velhagen & Kinsing 1907)
und die Übersetzung von Fr. A. Wolf, «Prolegomena
zu Homer» (Reclam 1908).

3 Die Paläste des Homerischen Epos, Berlin 1895.

4 Ebendaselbst Abschnitt öpoqpoi; Dach. — Die
Odyssee erwähnt nur flache Dächer, die llias an einer
Stelle auch schräge Dachsparren.

nur eine geringe war (die Mitte befand sich 30 cm
über dem Rande), gibt aber auch die Möglich-
keit zu, daß steile Dächer — wie in Lykien und
Phrygien — vorhanden gewesen seien. Was nun
die Bedeutung einzelner Rauten in dem von
Joseph behandelten Fürstenhof des Odysseus be-
trifft, so haben wir wohl von dem Sö\o? (tholos)
als «Rundbau» eine ungefähre Vorstellung von
seiner Gestalt, über seine Verwendung aber sind
die Gelehrten noch durchaus uneinig, und so
führt denn Joseph nicht weniger als vier verschie-
dene Zwecke auf, die nach der Ansicht der
Forscher dieser rätselhafte Rundbau zu erfüllen
hatte; denn der Reihe nach erklärt man ihn
1. für einen Regräbnisraum (poXoc, des Atreus); 2. für
einen Aufbewahrungsraum von Geräten, welche
von den Knechten für die Hauswirtschaft ge-
braucht wurden; dies ist die verbreitetste Auf-
fassung1 3. für eine Küche, da (im Gegensatz zu
einfachen Gehöften wie dem des Eumäos) in den
Fürstenhäusern nicht ausschließlich auf dem Herd
des Megaron gekocht wurde; 4. für einen ver-
fluchten Ort nahe beim Düngerhaufen (Gewölbe
des Augiasstalles); dort wurde der Verräter
Melantheus2 zerstückt. Während so die von den
Schriftquellen ausgehende Betrachtung der my-
kenischen Baukunst durch den Seitenblick auf die
mitteleuropäischen Bauten der vorchristlichen
Zeit manche Förderung erhält, ist eine andere
Vergleichung höchst fraglicher Art, ich meine
die Bezugnahme auf die primitive Zimmermanns-
kunst der wilden Völker Afrikas und Australiens.
Dieses eigentümliche Hilfsmittel hat kürzlich ein
um die Förderung der Völkerkunde sonst sehr
verdienter Forscher Paul Sarasin eingewendet,
indem er in seinem Vortrage «Uber die Ent-
wicklung des griechischen Tempels aus dem
Pfahlhause»3 zu Erklärung der Gesamtkonstruktion
des Griechentempels sowie verschiedener Einzel-
heiten (Triglyphen) den Grundtypus der Pfahl-
häuser von Zentral-Celebes heranzieht. Diese

1 Vergl. mein Hilfsbuch zu Homer, S. 185 und
Henke, Hilfsheft zu Homers Odyssee, S. 131.

2 Odyssee 458—477; von diesem tholos geht auch
das Seil aus, an welchem die ungetreuen und ver-
worfenen Mägde aufgeknüpft werden.

a Gehalten in der Sitzung der Berliner Gesellschaft
für Anthropologie u. s. w. am 20. Oktober 1906.
Zeitschr. für Ethnologie 1907, H. I u. II, S. 57—79. Mif
photographischen Aufnahmen von Fritz Sarasin.
 
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