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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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Klaiber, Hans: Über die Anfänge der Hallenkirche in Schwaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0274
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Hans Klaiber.

unter dem ersten Gurtgesims um die Südseite und ihre beiden Strebepfeiler läuft und dann
unvermittelt abbricht; ferner der erkerartige Ausbau zwischen der Westwand und dem nord-
westlichen Strebepfeiler, der vermutlich als Basis eines projektierten Treppentürmchens

— es wurde dann auf die Nordostecke verlegt — zu erklären ist. Bekanntlich zeigt die
Herrenberger Kirche zumal in ihren Zierformen — Spitzbogenfries, Blattmasken, Fialen

— enge Schulverwandtschaft mit der Marienkirche in Reutlingen; sie beginnt schon am
Westbau und wird gelegentlich so frappant, daß man an einen Austausch der Steinmetzen
denken möchte. Nun dürfte aber das Reutlinger Langhaus am Ende des 13. Jahrhunderts
begonnen sein, wenn sich auch die Vollendung gewiß ins 14. hinein erstreckt hat. In-
dessen auch unabhängig von der Beziehung zu Reutlingen lassen sich Formen wie der
erwähnte Blätterfries oder die figurierten Tragsteine, wie sie im Elsaß seit dem Ende
des dreizehnten Jahrhunderts vorkommen, an der Südseite mit der Nachricht des alten
Chronisten, der am Eingang in den Westbau (oder aus diesem in die Kirche) die
Jahreszahl 1280 (vielleicht das Jahr des Baubeginns) las, wohl vereinigen und der
Ablaß von 1284 darf dann in der Tat mit dem Kirchenbau in Verbindung gebracht
werden. Der Bau des Langhauses aber dürfte sich im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts
vollzogen und im Jahr 1328 seinen Abschluß gefunden haben. Nun erst ging man daran,
den bisher zur gottesdienstlichen Übung beibehaltenen Chor der (vorauszusetzenden) älteren
Pfarrkirche abzubrechen, und es scheint uns nicht unmöglich, daß sich die wohl auf einer
urkundlichen bzw. chronikalischen Notiz beruhende Angabe Sattlers, die Pfarrkirche sei
133G von Grund aus zum andernmal erbaut worden, in der Weise erklärt, daß damals
mit dem Abbruch des alten Chores begonnen wurde. Eine diesbezügliche Notiz könnte
Sattler iigendwo gefunden und irrig ausgelegt haben. Der Chor mit der Sakristei ist
jedenfalls der jüngste Teil aus der Bauperiode des 14. Jahrhunderts, wie auch die Bezie-
hungen zu den jüngsten Reutlinger Partien aus dem zweiten Viertel und der Mitte des
14. Jahrhunderts kundtun. Gegenüber der als Schauseite gedachten Südfront von West-
bau und Schiff ist er gegen außen schlichter gehalten, im Innern, wo seine Abweichung
von der Achse des Langhauses stark ins Auge fällt, tragen gebündelte, auf dem Fenster-
banksims aufsitzende Wanddienste ohne Kapitell sein Gewölbe. Wenn wir Chor und
Sakristei im Hinblick auf die Westteile der Reutlinger Marienkirche und die dortige Niko-
lauskapelle (1358) um die Mitte des Jahrhunderts datieren, so stimmt dazu auch die
Nachricht, daß im Jahr 1356 Graf Rudolf der Scherer im Chor der Herrenberger Kirche
beigesetzt wurde.1

Die Herrenberger Pfarrkirche steht in der Ausbildung des Westwerkes im Lande

1 Secker, Die frühen Bauformen der Gotik in Schwaben (Straßburg 1911), setzt der Tradition folgend
den Baubeginn ins Jahr 1336 und kommt deshalb nicht zu einer richtigen Deutung des Verhältnisses von
Reutlingen-Herrenberg-Gmünd. Da Herrenberg, gleichzeitig mit Reutlingen, zeitlich vor Gmünd voraus ist,
kann letzteres nicht die gebende Rolle gespielt haben, auch läßt sich aus der Herrenberger Kirche kein An-
haltspunkt für den Gmünder Baubeginn gewinnen. Die in Anbetracht der mäßigen Dimensionen auffällig
lange Bauzeit von Westwerk und Schiff (1280—1328) könnte sich aus einer längeren Bauunterbrechung er-
klären. Hierfür sprechen die obengenannten Unstimmigkeiten sowie die von technischer Seite aus der Unter-
suchung des Westbaues gezogene Vermutung, daß sich schon bei der Errichtung des Erdgeschosses infolge
üblen Baugrundes Schwierigkeiten eingestellt hätten; endlich scheinen, nach dem Ablaß von 1317 zu schließen,
auch die finanziellen Hilfsquellen spärlich geflossen zu sein. So würde verständlich, warum sich die Hoch-
führung des Westbaues und die Erstellung des Schiffes ins vierzehnte Jahrhundert hineinzog. Im übrigen
ist die von Secker aufgezeigte enge Berührung der schwäbischen Hochgotik mit der Straßburger Bauhütte
durchaus anzuerkennen und auch für unsere Untersuchung von Bedeutung.

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