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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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Klaiber, Hans: Über die Anfänge der Hallenkirche in Schwaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0277
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erbaut wurde, die erste Hallenkirche in Schwaben ist. Selbst wenn man schon
dem ersten Baumeister der Reutlinger Marienkirche Kenntnis des Hallensystems zu-
schreibt, so wäre sein Nachfolger, mit dem die führende hochgotiscbe Bauschule einsetzt,
davon abgegangen, und jedenfalls bliebe dem Erbauer des Herrenberger Schiffes der
Ruhm, zum erstenmal das neue System an einem stattlichen Kirchenbau wirklich vor-
geführt zu haben.

Chronologisch an zweiter Stelle reihen wir die Frauenkirche in Eßlingen ein,
deren Chor im Jahr 1321 begonnen wurde. Obgleich sich die Vollendung der Kirche
fast zwei Jahrhunderte hingezogen hat, wahrt sie, trotz der z. T. weit auseinanderliegen-
den Bauzeiten einen so einheitlichen Charakter, daß man vermutet hat, es habe von
Anfang an ein Plan vorgelegen, den auch die Späteren respektierten. Doch läßt sich
darüber nichts Bestimmtes behaupten; aus der Gestalt des Chores an sich läßt sich noch
nicht entscheiden, ob man vom ersten Anfang an eine Hallenkirche plante. Höchstens könnten
sich aus der Art und Weise, wie Chor und Langhaus sich zusammenfügen, Anhaltspunkte
ergeben, ob man bei der Vollendung des Chores, also etwa 10—15 Jahre später, beab-
sichtigte, an ihn ein Hallenhaus anzuschließen. Bei der Restauration der Kirche durch
Egle ergaben sich sichere, z. T. jetzt noch sichtbare Merkmale dafür, daß man sich
zunächst mit der Fertigstellung des Chores begnügte und die Anfügung der drei östlichen
Joche erst nach einer Unterbrechung erfolgte. Die Errichtung des Chores endigte damit,
daß man den Triumphbogen schloß, an den sich beiderseits die Wandpleiler für die zwei
ersten östlichen Scheidbögen anschlössen, ferner fügte man gegen Norden und Süden
daran die Ansätze der östlichen Seitenschiffmauern. (Vergl. Egle, Die Frauenkirche in
Eßlingen, Taf. 21, Fig. 2.) Noch heute erkennt man an der östlichen Abschlußwand des
südlichen Nebenschiffes die Fuge deutlich, in der jene Ansätze mit den später daran-
gebauten Teilen zusammenstoßen: sie läuft vom Boden bis über den Kämpferpunkt des
AVandpfeilers empor. Man ließ also bei der Errichtung der anstoßenden Joche die vom
Erbauer des Chores gefertigten Partien an der Westfront des Chores stehen und baute
unmittelbar an sie weiter. Da nun diese Ansätze der Seitenschiffwände, wie die angeführte
Zeichnung in Egles Monographie zeigt, bis zu dem Punkte, wo die Gewölbentwicklung
beginnt, hinaufreichen, da ferner am Verlauf der Wandpfeiler sich keinerlei Vorbereitungen
zur Abzweigung eines tieferliegenden Nebenschiffgewölbes oder Spuren ihrer Entfernung
erkennen lassen (im Stehenlassen und Weghauen unbenützter Rippen, Dienste u. dgl.
waren die allen Baumeister bekanntlich sorglos), so läßt sich wenigstens in negativer
Formulierung konstatieren: es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß der Chor-
erbauer etwas anderes als ein Hallenschiff plante, wofern man nämlich mit Egle,
der gerade der technischen Entstehungsgeschichte der Kirche sich besonders gewidmet
hat, die Mauerteile mit den Wandpfeilern bis zu den Fugen mit dem Chor gleichzeitig
erbaut sein läßt. Erkennt man diese Schlußfolgerung an, so wird man auch unserer
chronologischen Einreihung der Frauenkirche innerhalb der Reihenfolge der schwäbischen
Hallenkirchen beistimmen müssen, wenn auch die talsächliche Ausführung der drei östlichen
Joche erst später erfolgt ist.

An dritter Stelle nennen wir schließlich die Heiligkreuzkirche in Gmünd, die
den Schulzusammenhang Reutlingen—Herrenberg—Eßlingen (um von den dörflichen
Abzweigungen, die für unsere spezielle Frage nicht in Betracht kommen, zu schweigen)
schließt. Urkundliche Nachrichten über den Beginn des Langhauses existieren nicht; doch

Zeitschrift für Geschichte der Architektur. IV. 36
 
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