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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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Klaiber, Hans: Über die Anfänge der Hallenkirche in Schwaben
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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0278
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264 Hans Klaiber.

möchten wir als terminus post quem den (im Württ. Denkmälerinventar unter den Gmün-
der Regesten aufgeführten) Ablaß vom Jahr 1317 anerkennen, dessen Wortlaut schließen
läßt, daß die Kirche damals in unbehindertem Gebrauch, also das Schiff noch nicht ab-
gebrochen war; den spätesten Abschlußtermin gibt das Jahr 1351, in dem mit dem Chor-
bau angehoben wurde. Rücken wir demnach den Baubeginn in das dritte bis vierte
Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts — frühestens zu Beginn der zwanziger Jahre mit Rück-
sicht auf den Ablaß, spätestens im Lauf der dreißiger Jahre wegen des Baudatums des
Chores —, so führte der Langhausmeister — der Streit um die Namen soll hier ganz
beiseite bleiben — mit dem Hallensystem keinen neuen Gedanken im schwäbischen Lande
ein, folgte vielmehr einem Typus, der in Herrenberg bereits zu sehen, in Eßlingen gleich-
zeitig geplant war. Überhaupt steht es nicht so, daß in Gmünd ein neuer Stil der Phan-
tasie des Baumeisters gerüstet und gewappnet wie Minerva dem Haupte Jupiters ent-
stiegen wäre. Gleich zu Beginn künden sich in der schwäbischen Hochgotik Züge an,
die man als dem spätgotischen Wesen eigen zu betrachten pflegt. Formale Willkürlich-
keiten, die dem konstruktiven Sinn zuwiderlaufen, treten schon im Reutlinger Langhaus
auf, vermutlich unter dem direkten oder indirekt durch das nahe Zisterzienserkloster Beben-
hausen vermittelten Einfluß von Salem. Zwischen Salmansweiler und Bebenhausen haben
sich im Verlauf des 14. Jahrhunderts lebhafte baukünstlerische Beziehungen angesponnen,
aber auch abgesehen davon konnte diese bedeutendste Bauunternehmung Südschwabens
im Norden ihren Eindruck nicht verfehlen. Wie die Erbauer der Salemer Klosterkirche
in souveräner Umbildung der überlieferten tektonischen Formen spätgotische Prinzipien
vorausnahmen, hat Dehio in seiner Analyse des Bauwerkes klargelegt, und Secker hat
die Spuren dieser «barocken» Zisterziensergotik in Schwaben näher verfolgt. Für die Ent-
stehungsgeschichte der Spätgotik in Schwaben möchten wir diesen zisterziensischen Ein-
schlag nicht gering anschlagen und es auch für keinen Zufall halten, daß der erste wahr-
haft spätgotisch empfundene Turmbau im Lande der künstlich erdachte, vieldurchbrochene,
gerüstartig aufgebaute Bebenhausener Glockenturm vom Laienbruder Georg von Salmans-
weiler ist. Die Gleichgültigkeit gegen den Ausdruck der tektonischen Funktionen
führte schon bald zum Abwerfen der Kapitelle: die Eßlinger Frauenkirche bietet
ein frühes Beispiel der kunstreichen Entwicklung der Scheidbögen und Rippen aus dem
Arkadenpfeiler. In verschiedenen Schichten übereinander lösen sie sich allmählich aus
den Gewölbeanfängern los, um dann als selbständige Quer- und Diagonalrippen ins
Mittel- und Seitenschiff bzw. als Scheidbogen abzuzweigen. Die schlichtere, aber
auch konstruktiv klarere Bedeutung des Kapitells als Auflager der Gewölberippen hat
ihren Reiz verloren gegenüber der Freude an der komplizierten Steinmetzenkunst, die das
auf viele Quaderschichten je nach der Krümmung der einzelnen Bogen verteilte unmittel-
bare Ableiten der Last aus der Stütze erforderte. In der Zahl dieser Merkmale, die zur
Spätgotik überleiten und uns hier allerdings besonders früh begegnen, ist als eines unter
anderen nun auch der Hallenbau zu nennen, den der spätgotische Stil bekanntlich mit
besonderer Vorliebe aufgenommen und seinen spezifischen Zwecken dienstbar gemacht
hat. Und zwar tritt er zunächst lediglich als konstruktive Neuerung, nicht als ein neuer
ästhetischer Raumtypus auf. Wäre wirklich das Bedürfnis nach einer neuen räumlichen
Form das treibende Element der Umbildung gewesen, so müßte man erwarten, daß das
neue Konstruktionsprinzip sich in der Gesamtgestaltung des Raumes, die doch nicht nur
durch die Decke bestimmt wird, geltend machte. In Wirklichkeit nützte man es aber bei
 
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