Cod.Pal. germ. 149: Martinus Oppaviensis, 'Chronicon pontificum et imperatorum', deutsch und 'Historia septem sapientum', deutsch

Zwei in eins

P-Initiale mit nacktem Mann (Cpg 149, fol. 5r)

Der Cod. Pal. germ. 149 enthält zwei Werke: das "Chronicon pontificum et imperatorum" des Martinus Oppaviensis und die "Historia septem sapientum", jeweils in deutscher Übersetzung. Beide Abschriften entstanden um 1450 in der Werkstatt des Diebold Lauber zu Hagenau. Sie weisen eine einheitliche Ausstattung auf und wurden zudem von ein- und derselben Hand geschrieben. Der Einband der Handschrift wurde jedoch mehrfach gelöst und das Manuskript neu gebunden. Irgendwann (vielleicht nach 1623 in Rom) ist die Handschrift bei diesem Vorgehen auch in Unordnung geraten. Im ersten Teil mit der "Historia septem sapientum" stimmen Blattfolge und damit Erzählverlauf von Text und Illustrationen nicht mehr. Dank der Digitalisierung der Handschrift ist nun jedoch eine virtuelle Rekonstruktion der ursprünglichen und korrekten Blattfolge möglich.

Das "Chronicon pontificum et imperatorum"

Der Selbstmord des Judas (Cpg 137, fol. 135v)

Das „Chronicon pontificum et imperatorum” ist ein Werk des Dominikaners Martinus Oppaviensis. Die Chronik, deren Thema Päpste und Kaiser sind, wird noch in einem zweiten Heidelberger Manuskript aus der Werkstatt des Diebold Lauber, dem Cod. Pal. germ. 137, überliefert.

Der Cod. Pal. germ. 149 ist rund zehn Jahre älter als letzterer. Zum "Chronicon" enthält er 54 Illustrationen. Wie in seiner Schwesterhandschrift handelt es sich um kolorierte Federzeichnungen. Im Unterschied zum Cod. Pal. germ. 137 besitzen die Darstelllungen jedoch keine roten Rahmen und sind größer. In der Regel nehmen sie eine ganze Seite ein. Wie im Cod. Pal. germ 137 finden sich auch hier nur selten szenische Illustrationen. Meist handelt es sich erneut um Dialogszenen von einander gegenüberstehenden Personen oder Personengruppen. Ansonsten lassen sich jedoch nur wenige Übereinstimmungen zwischen den Federzeichnungen der beiden Codices finden.

Der Selbstmord des Judas (Cpg 149, fol. 236v)

Selbst in Fällen, in denen in beiden Handschriften die gleichen Kapitel für Illustrationen ausgewählt wurden, scheinen die Darstellungen nur wenig gemeinsam zu haben. Als Beispiel seien die Federzeichnungen mit dem Selbstmord des Judas genannt. In beiden Illustrationen wird der an einem Baum vor den Mauern Jerusalems hängende Verräter Christi dargestellt. Die Illustration im Cod. Pal. germ. 137 (fol. 135v) konzentriert sich dabei auf das Wesentliche: Judas ist bereits tot. Er trägt den Geldbeutel mit den Silberlingen noch um den Hals. Von dem historischen Ort vor den Mauern Jerusalems, der von dem illustrierten Kapitel behandelt wird, ist nur das Stadttor zu sehen. Und auch bei dem Baum unterbleibt jegliche Umgebungsschilderung.

Die Darstellung im Cod. Pal. germ. 149 dagegen zeigt viel mehr Details. Jerusalem wird – wenn auch perspektivisch inkorrekt – als richtige Stadt und nicht bloß als Stadttor wiedergegeben. Der am Baum hängende Judas ist erst im Sterben begriffen. Aus den Augenwinkeln sieht er noch einen kleinen Teufel, der bereits auf die Seele des Verräters wartet. Die Silberlinge, die ihm nun doch nichts genutzt haben, fallen aus seiner Hand zu Boden.

Nackte, Wilde und Monster

Initialzierseite mit nackter Frau und Fabelwesen (Cpg 149, fol. 116r)

Die Handschrift unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich der Illustrationen vom Cod. Pal. germ. 137. Ein weiterer Gegensatz bildet die Ausstattung mit Initialen und deren Ornamentik, denn in beiden Teilen des Cod. Pal. germ. 149 finden sich zu Beginn jedes neuen Textteils Initialzierseiten. Insgesamt sind vier dieser Schmuckseiten vorhanden.

A-Initiale mit Aussparungs- und Fleuronnéeornamentik (Cpg 149, fol. 101ra)

Wie auf fol. 116r ist der jeweilige Textanfang stets in roter Textura geschrieben. Von dem Initialfeld der daneben befindlichen Initiale gehen als Besatz Blatt- und Blütenranken aus, die sich nahezu über die ganze Seite erstrecken und Initiale, Textbeginn und Überschriften rahmen. Binnengrund und Initialkörper der Zierbuchstaben weisen phantasievolle figürliche Motive auf. Meist sind es nackte Menschen wie auf fol. 5r, 116r oder 230r, aber auch wilde Männer (fol. 251r) und Hundsköpfige (Cynocephale). Oder es treten Menschen mit Vogelköpfen oder Vogelleibern auf. Vergleichbare Initialzierseiten finden sich unter den Heidelberger Handschriften aus der Werkstatt des Diebold Lauber nur noch im Cod. Pal. germ. 300. Vermutlich waren in beiden Handschriften Illustratoren der gleichen Malergruppe (Gruppe F) tätig.

Aber selbst dort existieren nur Initialzierseiten, die den Beginn der unterschiedlichen Textteile markieren. Im Cod. Pal. germ. 149 kommen jedoch innerhalb der einzelnen Textteile noch zahlreiche weitere Zierbuchstaben hinzu. Meist handelt es sich ornamentale Lombarden mit Punktverdickungen oder Aussparungs- und Fleuronnéeornamentik. In der Regel wurden sie mit einfacher roter Tinte gezeichnet, in einige Fällen aber auch in den Komplementärfarben Rot und Grün gestaltet. Eine solche Initialornamentik ist für die Werkstatt des Diebold Lauber ungewöhnlich und auch in den Heidelberger Lauber-Handschriften einzigartig.

"Historia septem sapientum" – Geschichte von sieben weisen Meistern

Die falsche Ehefrau tötet den Hund ihres Mannes (Cpg 149, fol. 40v)

Das zweite im Cod. Pal. germ. 149 enthaltene Werk ist orientalischer Herkunft. Dort ist es unter dem Titel "Sindbad-Buch" bekannt. Vermutlich entstand es um 900 n. Chr. in Persien. Aber bereits im 12. Jahrhundert entwickelte sich eine westliche Fassung. Im Laufe der Zeit kamen zahlreiche lateinische und volkssprachige Versionen hinzu, darunter alleine acht deutsche Prosafassungen. Die im Cod. Pal. germ. 149 vorliegende Übersetzung stammt aus dem 15. Jahrhundert und war vor allem im südwestdeutschen Raum verbreitet. Sie wird insgesamt von acht Handschriften überliefert. Der Werktitel "Historia septem sapientum" bzw. "Geschichte von sieben weisen Meistern" ist irreführend. Eigentlich handelt es sich um insgesamt 15 Erzählungen. Die weisen Meister gehören zu deren Erzählern und spielen nur in der Rahmenhandlung, in welche die Geschichten eingebettet sind, eine Rolle.

Die falsche Ehefrau erzürnt ihren Mann (Cpg 149, fol. 43v)

Die Hauptfigur der Rahmenhandlung ist Prinz Diocletian. Er wird sieben weisen Meistern zur Erziehung übergeben. Als sein Vater, Kaiser Pontianus, nach einigen Jahren erneut heiratet, wird Diocletian an den Hof zurückbefohlen. Die Sterne kündigen jedoch Unheil an. Diocletianus erfährt, daß er sterben müsse, wenn er bei seiner Rückkehr nicht in der Lage sei, sieben Tage zu schweigen. Tatsächlich versucht seine Stiefmutter, Kaisern Castelle, ihn zu verführen. Nachdem ihr Vorhaben jedoch scheitert, denunziert sie ihn als Vergewaltiger. Daraufhin verurteilt Pontianus seinen Sohn zum Tode. Nur durch das Erzählen von Geschichten gelingt es den sieben weisen Meistern, die Hinrichtung immer wieder aufzuschieben. Aber auch Castelle, die falsche Stiefmutter, weiß durch ihre Erzählungen den wankelmütigen Kaiser sieben Mal umzustimmen. Schließlich sind die sieben Tage um, und Diocletianus darf wieder sprechen. Er erzählt selbst eine Geschichte, offenbahrt seine Unschuld, entlarvt Castelles Verleumdungen und wird so gerettet.

An die in die Rahmenhandlung eingeflochtenen Erzählungen Castelles und der weisen Meister schließen sich oft moralisierende Auslegungen an. Die Geschichten erhalten dadurch den Charakter von Exempeln. Dennoch handelt es sich um spannende Erzählungen, in denen es häufig auch recht drastisch zugeht. Ihr zentrales Thema ist stets der Gegensatz zwischen Liebe, Treue und Freundschaft einerseits und Untreue, Ehebruch, Betrug und Falschheit andererseits. Um die Intrige Castelles zu verdeutlichen, geht es dabei insbesondere um die Untreue und die Falschheit der Frauen. Aufbau und Inhalt der "Historia septem sapientum" erinnern an die Märchensammlung "1001 Nacht". In beiden geht es um die besondere Wirkung von gut erzählten Geschichten, wie diese in das Geschick der Menschen eingreifen und über Leben und Tod entscheiden können.

Die Bestrafung der falschen Ehefrau (Cpg 149, fol. 45r)

Der Cod. Pal. germ. 149 trägt der Zweiteilung des Werks Rechnung, indem er sowohl die Rahmenhandlung als auch die darin integrierten Erzählungen illustriert. Der Schwerpunkt der Illustrationen liegt aber ganz eindeutig auf letzteren. Von den 64 Darstellungen bebildern nur 20 die Rahmenhandlung um den Kaisersohn Diocletianus. Meist zeigen sie lediglich Castelle oder einen der Meister beim Erzählen einer Geschichte vor Kaiser Pontianus. Zweidrittel der Federzeichnungen dagegen sind den Exempeln gewidmet. Die Zahl der Illustrationen mit der die 15 Geschichten bebildert werden, nimmt dabei stetig zu. Am Anfang genügen oft nur eine oder zwei Darstellungen. Die abschließende Erzählung, mit der sich Diocletianus rechtfertigt, wurde dagegen mit 14 (!) Federzeichnungen versehen. Außerdem fällt auf, daß Erzählungen über untreue, betrügerische Ehefrauen, wie die vom alten Ritter und seiner jungen Frau (Tentamina), in der Regel die meisten Illustrationen erhalten.

Die reumütige Ehefrau (Cpg 149, fol. 46r)

In dieser Geschichte geht es um eine Ehefrau, die, mit einem weitaus älteren Mann verheiratet, sich den jungen Pfarrer zum Liebhaber nehmen will. Ihre Mutter rät ihr jedoch, zunächst einmal die Toleranz ihres Mannes auf die Probe zu stellen. So läßt die junge Frau als erstes dessen Lieblingsbaum fällen. Danach tötet sie seinen Schoßhund. Der Ritter wird zwar über ihre Untaten zornig, verzeiht ihr aber jedes Mal. Schließlich blamiert sie ihn vor seinen Gästen, indem sie Tischtuch und Geschirr vom Tisch reißt. Ihre Entschuldigung, sie habe Kopfweh, quittiert der ihr nun endgültig zürnende Ehemann damit, daß er zu ihrer Genesung den Babier ruft. Dieser muß sie so lange zur Ader lassen, bis sie vom Blutverlust krank wird. Knapp dem Tode entronnen, schwört sie ihrer herbeigeeilten Mutter, von nun an ihrem Mann immer treu zu sein. Der Cod. Pal. germ. 149 widmet dieser spannenden und doch auch komischen Geschichte mit ihrem moralisierenden und belehrenden Ende alleine fünf Illustrationen. Die Erzählung macht ferner den lehrhaften Charakter der „Historia“, der für die Protagonisten des Werks ebenso wie für seine Leser gilt, noch einmal deutlich. Immer wieder betonen die Exempel die Bedeutung von Bildung und Erziehung, welche Grundvoraussetzungen seien für gerechtes Handeln und Urteilen. Eine Fähigkeit, über die vor allem die Regierenden verfügen müssen. Bedenkt man, daß auch das im zweiten Teil der Handschrift überlieferte „Chronicon“ im Mittelalter häufig als Unterrichtswerk Verwendung fand, so könnte dies ein Hinweis auf einen möglichen Auftraggeber darstellen.

Der Papst und seine Fürsten (Cpg 149, fol. 115v)

Über diesen ist bislang nichts bekannt. Aber die reichhaltige Bebilderung und Ausstattung lassen den Schluß zu, daß er nicht nur über einige finanzielle Mittel verfügt haben muß, sondern auch ein besonderes Interesse an lehrreicher Literatur hatte. Wegener (S. VII) vermutetet Pfalzgraf Ruprecht von Simmern-Zweibrücken (1420-1478), der seit 1439 Bischof von Straßburg war, als Käufer. Ein geistlicher Auftraggeber scheint angesichts der nebenstehenden Illustration von Papst und Kaiser durchaus vorstellbar zu sein. Hier treten die beiden Autoritäten nicht mehr wie im Cod. Pal. germ. 137 gleichberechtig nebeneinander auf, sondern der segnende Papst thront im Zentrum und ist von je zwei geistlichen und weltlichen Fürsten umgeben, unter denen sich auch der Kaiser befindet. Der Papst ist somit in dieser Darstellung die höchste irdische Autorität überhaupt, der Kaiser dagegen nur einer von vielen, ihm untergeordneten weltlichen wie geistlichen Fürsten. Bedenkt man die Konkurrenzsituation die zwischen Papst- und Kaisertum seit dem Investiturstreit bestand, so ist dieser Vergleich gerade auch in historischer Hinsicht besonders aussagekräftig. Spätestens 1581 befand sich die Handschrift in der von der Universität genutzten Bibliothek der Heiliggeistkirche.

Literatur

Für Literaturangaben zu Martinus Oppaviensis, Chronicon pontificum et imperatorum, deutsch s. Cod. Pal. germ. 137

© Ulrike Spyra, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 09/2008