50 Sein Leb
rend er so das Trinken zu einer Tugend machte, war er zu-
gleich nicht minder bewunderungswürdig im Disputiren, und
stets das letzte Wort behaltend, trank er doch nie das letzte
Glas! Es war wirklich außerordentlich, mit welchem Scharf-
sinn der Geist dieses, mit dem klarsten Selbstbewußtsein sehr
groben Wirth's, der weder lesen noch schreiben konnte, in's
Innere der Natur drang", keine Autoritär anerkannte, Alles
wußte, und durch Behauptungen, die für den größten Theil
seiner Zuhörer ebenso neu als interessant waren, sich, wie
irgendje ein Profesior, ein einträgliches Publikum zu erwerben
wußte! Stieß er dadurch auch manchmal Einen vor den Kops,
so lockte er dafür wieder zehn Andere herbei.
Einen andern Kunstgriff, Gäste unter den Vorübergehen-
den zu werben, wenn das Schenkzimmcr leer war, wandte er
vadurch an, daß er an den Haaren einen Wortwechsel mit seiner
Frau, den Köchinnen, oder dem Barkeeper herbeizog, und wie
ein Besesiener einen Höllenspektakel im Hause veranstaltete. So
geschah es kurz nach Beginn meines zweiten Monates. Zum
Entsetzen des Wirthes, der den Kops hängend auf und ab
schlich, schien heute der Durst der ganzen Menschheit in eine
Kehle, in die [einige, verwünscht worden zu sein; Niemand
kam mit einem erfreulichen: „ich nehme etwas Whisky!" oder
einem entzückenden: „haben Sie guten Brandy?" und die ver-
wahrlosten Gläser schienen vor Trauer trüb anzulaufen. Der
Wirth blickte abwechselnd fleißig auf die heute so leere Straße,
und tief in's Glas; da sieht er endlich die Straße herauf eine
Anzahl Matrosen kommen, er lauert, doch sie gehen unter
fröhlichem Geschwätz, Anzeichen daß sic Geld haben, vorüber
und auf das gegenüberliegende Wirthshaus zu. Jetzt, alter
Heinrich , gilts! Mit einer Stimme, die an's andre Ufer des
Ohio drang, brüllte er mich an: „Hörst Du nicht gut, Bar-
keeper? Bist Du taub? Hast Du die Ohren verloren?
Hab' ich denn hundert Lungen im Leibe?"
„Zehntausend!" antwortete ich und hielt die Hände vor
die Ohren.
„Was, Du hältst die Hand vor die Ohren?" brüllte er,
im Zimmer herumtanzend: „Soll ich denn noch lauter reden?"
„Um Gotteswillen nicht!" jammerte ich und verbarg
meinen Kopf unter der Bar.
„Barkeeper!" brüllte er unter dieHausthüre tretend, und
schlug die Hände vcrzweiflungsvoll über'm Kopf zusammen,
„sprich, rede, Hab' ich all' meine Tage je so laut sprechen
müssen? Hollaho! wo bist Du?"
„Baumwolle her, der Kerl sprengt mir die Ohren!"
recitirte ich unter der Bar.
Die Neugierde, zu wißen, welcher entsetzliche Unglücksfall
sich ereignet habe, bewog die Matrosen umzukehren, und als
sie einmal im Wirthshaus waren, verlangten sie auch zu trinken.
Kaum bemerkte der listige Wirth ihre wohlgesüllten Börsen, so
schien er ernstlich darauf bedacht, sie durch eine interessante Vor-
stellung zu fesseln, die ich ihm aber theilweise dadurch verdarb,
daß ich unter seinem fürchterlichsten Gebrüll, ob ich ihn nicht
höre? das Haus verließ und ihm andern Tages aufkündigte.
Ich vollendete meine Studien bei mehreren groben und
e n machen.
sehr groben Wirthen, und versah zuletzt die Stelle eines Bar-
kcepers am Ohioufer, am Landungsplatz der Dampfschiffe, bei
einem feinen, jungen Mann, Namens Johann Rimle, der als
Ausnahme von der Regel der Höflichkeit huldigte.
Der Barroom war anfänglich voll von Gesellen, die Kredit
und Unfug liebten. So wurden einmal einige Matrosen im
Kartenspiel von einem angetrunkenen Amerikaner, den man stets
in guten Kleidern, aber nie arbeiten sah, durch den Vorwurf
von Betrug gereizt, und als sie ihm einen Lügner Zurückgaben,
richtete er eine Taschenpistole auf sie, mit der Versicherung, er
erschieße jeden „Hundesohn" auf Gottes Erdboden, der ihn
Lügner nenne. Als die Matrosen eingeschüchtert schwiegen,
schimpfte er gewaltig, und verließ das Haus, um bald wieder-
zukchren. Jetzt zog er ein Sacktuch hervor und stellte dessen
Inhalt, über hundert Dollar einen Augenblick zur Schau, wobei
er mit Pathos sprach: „Seid verdammt! ich habe so viel Geld,
wie irgend Einer von Euch, und wer zweifelt, daß ich ein
Gentleman bin, deffen Eingeweide ziehe ich aus dem Leib!"
Mit dieser Betheurung brachte er mit einer Hand die Pistole,
und mit der andern ein großes Schlachtnieffer zum Vorschein,
und stellte sich, einem edelen Rinaldini oder „Carlo Moro"
ähnlich, herausfordernd in die Mitte des Barrooms.
Die Matrosen schwiegen, der Wirth vergaß allen höflichen
Anstand und kaute an den Fingernägeln. Ich trat hinter der
Bar hervor, steckte arglos eine Cigarre an, und schleuderte
unbefangen auf die Thüre zu, kaum aber hinter dem Rücken des
Ruhestörers, so preßte ich geschwind seine beiden Arme fest an
seinen Leib an, drehte ihn um und wirbelte ihn zur Thüre
hinaus, die ich hinter ihm verschloß. An dieser ließ er nun
durch Poltern seine Wuth aus, bis mich einer der Matrosen,
der mit dem eisernen Ofenschürer hinter mich getreten war, zu
öffnen aufforderte, und sobald ich dies gethan und der Eisen-
fresser einzudringen versuchte, fuhr ihm der Schürer mit solcher
rend er so das Trinken zu einer Tugend machte, war er zu-
gleich nicht minder bewunderungswürdig im Disputiren, und
stets das letzte Wort behaltend, trank er doch nie das letzte
Glas! Es war wirklich außerordentlich, mit welchem Scharf-
sinn der Geist dieses, mit dem klarsten Selbstbewußtsein sehr
groben Wirth's, der weder lesen noch schreiben konnte, in's
Innere der Natur drang", keine Autoritär anerkannte, Alles
wußte, und durch Behauptungen, die für den größten Theil
seiner Zuhörer ebenso neu als interessant waren, sich, wie
irgendje ein Profesior, ein einträgliches Publikum zu erwerben
wußte! Stieß er dadurch auch manchmal Einen vor den Kops,
so lockte er dafür wieder zehn Andere herbei.
Einen andern Kunstgriff, Gäste unter den Vorübergehen-
den zu werben, wenn das Schenkzimmcr leer war, wandte er
vadurch an, daß er an den Haaren einen Wortwechsel mit seiner
Frau, den Köchinnen, oder dem Barkeeper herbeizog, und wie
ein Besesiener einen Höllenspektakel im Hause veranstaltete. So
geschah es kurz nach Beginn meines zweiten Monates. Zum
Entsetzen des Wirthes, der den Kops hängend auf und ab
schlich, schien heute der Durst der ganzen Menschheit in eine
Kehle, in die [einige, verwünscht worden zu sein; Niemand
kam mit einem erfreulichen: „ich nehme etwas Whisky!" oder
einem entzückenden: „haben Sie guten Brandy?" und die ver-
wahrlosten Gläser schienen vor Trauer trüb anzulaufen. Der
Wirth blickte abwechselnd fleißig auf die heute so leere Straße,
und tief in's Glas; da sieht er endlich die Straße herauf eine
Anzahl Matrosen kommen, er lauert, doch sie gehen unter
fröhlichem Geschwätz, Anzeichen daß sic Geld haben, vorüber
und auf das gegenüberliegende Wirthshaus zu. Jetzt, alter
Heinrich , gilts! Mit einer Stimme, die an's andre Ufer des
Ohio drang, brüllte er mich an: „Hörst Du nicht gut, Bar-
keeper? Bist Du taub? Hast Du die Ohren verloren?
Hab' ich denn hundert Lungen im Leibe?"
„Zehntausend!" antwortete ich und hielt die Hände vor
die Ohren.
„Was, Du hältst die Hand vor die Ohren?" brüllte er,
im Zimmer herumtanzend: „Soll ich denn noch lauter reden?"
„Um Gotteswillen nicht!" jammerte ich und verbarg
meinen Kopf unter der Bar.
„Barkeeper!" brüllte er unter dieHausthüre tretend, und
schlug die Hände vcrzweiflungsvoll über'm Kopf zusammen,
„sprich, rede, Hab' ich all' meine Tage je so laut sprechen
müssen? Hollaho! wo bist Du?"
„Baumwolle her, der Kerl sprengt mir die Ohren!"
recitirte ich unter der Bar.
Die Neugierde, zu wißen, welcher entsetzliche Unglücksfall
sich ereignet habe, bewog die Matrosen umzukehren, und als
sie einmal im Wirthshaus waren, verlangten sie auch zu trinken.
Kaum bemerkte der listige Wirth ihre wohlgesüllten Börsen, so
schien er ernstlich darauf bedacht, sie durch eine interessante Vor-
stellung zu fesseln, die ich ihm aber theilweise dadurch verdarb,
daß ich unter seinem fürchterlichsten Gebrüll, ob ich ihn nicht
höre? das Haus verließ und ihm andern Tages aufkündigte.
Ich vollendete meine Studien bei mehreren groben und
e n machen.
sehr groben Wirthen, und versah zuletzt die Stelle eines Bar-
kcepers am Ohioufer, am Landungsplatz der Dampfschiffe, bei
einem feinen, jungen Mann, Namens Johann Rimle, der als
Ausnahme von der Regel der Höflichkeit huldigte.
Der Barroom war anfänglich voll von Gesellen, die Kredit
und Unfug liebten. So wurden einmal einige Matrosen im
Kartenspiel von einem angetrunkenen Amerikaner, den man stets
in guten Kleidern, aber nie arbeiten sah, durch den Vorwurf
von Betrug gereizt, und als sie ihm einen Lügner Zurückgaben,
richtete er eine Taschenpistole auf sie, mit der Versicherung, er
erschieße jeden „Hundesohn" auf Gottes Erdboden, der ihn
Lügner nenne. Als die Matrosen eingeschüchtert schwiegen,
schimpfte er gewaltig, und verließ das Haus, um bald wieder-
zukchren. Jetzt zog er ein Sacktuch hervor und stellte dessen
Inhalt, über hundert Dollar einen Augenblick zur Schau, wobei
er mit Pathos sprach: „Seid verdammt! ich habe so viel Geld,
wie irgend Einer von Euch, und wer zweifelt, daß ich ein
Gentleman bin, deffen Eingeweide ziehe ich aus dem Leib!"
Mit dieser Betheurung brachte er mit einer Hand die Pistole,
und mit der andern ein großes Schlachtnieffer zum Vorschein,
und stellte sich, einem edelen Rinaldini oder „Carlo Moro"
ähnlich, herausfordernd in die Mitte des Barrooms.
Die Matrosen schwiegen, der Wirth vergaß allen höflichen
Anstand und kaute an den Fingernägeln. Ich trat hinter der
Bar hervor, steckte arglos eine Cigarre an, und schleuderte
unbefangen auf die Thüre zu, kaum aber hinter dem Rücken des
Ruhestörers, so preßte ich geschwind seine beiden Arme fest an
seinen Leib an, drehte ihn um und wirbelte ihn zur Thüre
hinaus, die ich hinter ihm verschloß. An dieser ließ er nun
durch Poltern seine Wuth aus, bis mich einer der Matrosen,
der mit dem eisernen Ofenschürer hinter mich getreten war, zu
öffnen aufforderte, und sobald ich dies gethan und der Eisen-
fresser einzudringen versuchte, fuhr ihm der Schürer mit solcher
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Sein Leben machen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 19.1854, Nr. 439, S. 50
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg