Ein sonderbares ßoncert.
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stimmte Stunde. Ter Saal war schon längst überfüllt und
an den Tischen kein Plätzchen mehr zu finden. Eine Ouver-
türe (die zu Wilhelm Tell) eröffnete das Concert, ging aber
für die aufmerksamen Zuhörer und Musikfreunde ganz ver-
loren, indem die Beharrlichkeit derer, welche in Ermangelung
eines gefundenen Stuhles sich wie eine dichte Mauer um den
Ballon zunächst aufgestellt hatten, nicht im Geringsten den
Bitten, Zureden, Schimpfworten, Rippenstößen und anderen
gesteigerten Hilfsniitteln der Conversation derjenigen wich,
die schon zwei Stunden vor Anfang des Concerts gekommen
waren, um die Tische und Stühle in möglichster Nähe des
Ballons einzunehmen. Diese Vorsichtigen hatten freilich nicht
darauf gerechnet, daß sich die Wißbegierigsten und Neugierigsten
ganz natürlicher Weise um jeden Preis des Raumes bemäch-
tigen würden, der zwischen jenen Tischen um den Ballon
noch leer geblieben war. Die schmetternden Trompetentöne
des Finalgallops der Tell-Ouvertüre waren kaum im Stande,
jenen Streit der Berechtigten und Eindringlinge zu überrau-
scheu und als der letzte Ton von Rossinis Meisterwerke ver-
klungen , wüthete noch ungeschwächt das Toben jener beiden ,
Kreise. Alle herausfordernden Redensarten und dergleichen,
was von den sitzenden Nichtserblickenkönncnden den stehenden
Erblickern zugeschleudert wurde, fand entweder im Schweigen
der unveränderten Stellung, oder in spitzfindigen Antworten
eine halb laute, halb stumme Berichtigung. Noch zwei Mu-
sikstücke folgten, aber weder ein schmelzendes Adagio, noch
ein drohendes Presto, weder das beherrschende Dur, noch
das rührende Moll war im Stande gewesen, die streitenden >
Parteien zu beruhigen.
Coxwell hatte inzwischen genug zu thnn gehabt, um die
immer mehr andrängenden nächsten Zuschauer in gehöriger
Entfernung von seinem Ballon zu halten. Wem sollte es da-
her wohl auch bei einer so vielfach beanspruchten Thätigkeit
auffallen, wenn die unzulängliche Kenntniß der schwererlern-
baren deutschen Sprache, sich zuweilen durch Pantomimen zu
vervollständigen suchte, die einige Mal fast bis an die Nasen
der also Angeredeten hinaufreichten. Die Neugier jedoch,
welche alle Pulse dem kommenden „noch nie Dagewesenen"
stürmisch entgegenschlagen ließ, übersah heute gern so manchen
Fingerzeig, der von verschiedenen Seiten mit geballter Faust
gegeben wurde.
Alle bisherigen Feindseligkeiten und was sonst noch im
Bereich des Lärmmachens gelegen batte, verstummten jedoch
augenblicklich, als sich der elastische Engländer wieder um einige
Fuß in die Höhe dehnte und mit mächtigen Winken die Musiker
vom Orchester drüben bedeutete, sich jetzt in den gefeiten Kreis
seines dickbauchigen Ungeheuers zu gegeben.
Langsam, ernst, fast feierlich, gehorchten die Musiker den
Winken und nahten. Der vorhin noch so dichte Kreis, welcher
den Ballon zunächst umstand, öffnete sich rasch, wenn auch
nicht übermäßig weit, um die Tönespender mit ihren Instru-
menten hindurch schlüpfen zu lassen. Der letzte war noch nicht
völlig seinen vor ihm herschrcitenden Kameraden gefolgt, als
sich die Phalanx dichter als je in Windeseile wieder herge-
stellt fand. Kaum waren aber jetzt die Musiker dem Gesichts-
kreis der Sitzenden entschwunden, als sich die kanipflustigen
Wortführer von vorhin plötzlich eines ausreichenden Hülfs-
mittels bedienten, um sich das Interessante, das jetzt zu er-
warten stand, nicht entgehen zu lassen. Wie auf ein Kommando,
stellten sich nämlich diese auf die Stühle, auf deren biegsamen
Rohrgcflechten sie mit zuweilen großer Geschicklichkeit ein
schwieriges Equiliber zu bewahren wußten, Mancher fuhr
freilich wegen seines übergroßen Körpergewichtes plötzlich
rasselnd durch den Rohrsitz und fand sich nun von den Poly-
penarmen des spanischen Holzgeflechtes so festgehalten, daß
er sich nicht wieder aus dem engen Rahmen ohne fremde
Hilfe hcrausarbeiten konnte. Und wo war, trotz aller Bitten,
auf nachbarliche Samariterhülfe in diesem entscheidenden
Augenblicke zu rechnen? Wir wollen das Durcheinander,
die Versuche Anderer, den Sitz ebenfalls zur Tribüne zu
machen, die Ausrufungen: „Hut ab!" „Sitzen bleiben!"
„Hinaus!" u, s. w, jetzt unberücksichtigt lassen und zu unserm
Luftschiffer und den Söhnen Apollos zurückkehren.
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stimmte Stunde. Ter Saal war schon längst überfüllt und
an den Tischen kein Plätzchen mehr zu finden. Eine Ouver-
türe (die zu Wilhelm Tell) eröffnete das Concert, ging aber
für die aufmerksamen Zuhörer und Musikfreunde ganz ver-
loren, indem die Beharrlichkeit derer, welche in Ermangelung
eines gefundenen Stuhles sich wie eine dichte Mauer um den
Ballon zunächst aufgestellt hatten, nicht im Geringsten den
Bitten, Zureden, Schimpfworten, Rippenstößen und anderen
gesteigerten Hilfsniitteln der Conversation derjenigen wich,
die schon zwei Stunden vor Anfang des Concerts gekommen
waren, um die Tische und Stühle in möglichster Nähe des
Ballons einzunehmen. Diese Vorsichtigen hatten freilich nicht
darauf gerechnet, daß sich die Wißbegierigsten und Neugierigsten
ganz natürlicher Weise um jeden Preis des Raumes bemäch-
tigen würden, der zwischen jenen Tischen um den Ballon
noch leer geblieben war. Die schmetternden Trompetentöne
des Finalgallops der Tell-Ouvertüre waren kaum im Stande,
jenen Streit der Berechtigten und Eindringlinge zu überrau-
scheu und als der letzte Ton von Rossinis Meisterwerke ver-
klungen , wüthete noch ungeschwächt das Toben jener beiden ,
Kreise. Alle herausfordernden Redensarten und dergleichen,
was von den sitzenden Nichtserblickenkönncnden den stehenden
Erblickern zugeschleudert wurde, fand entweder im Schweigen
der unveränderten Stellung, oder in spitzfindigen Antworten
eine halb laute, halb stumme Berichtigung. Noch zwei Mu-
sikstücke folgten, aber weder ein schmelzendes Adagio, noch
ein drohendes Presto, weder das beherrschende Dur, noch
das rührende Moll war im Stande gewesen, die streitenden >
Parteien zu beruhigen.
Coxwell hatte inzwischen genug zu thnn gehabt, um die
immer mehr andrängenden nächsten Zuschauer in gehöriger
Entfernung von seinem Ballon zu halten. Wem sollte es da-
her wohl auch bei einer so vielfach beanspruchten Thätigkeit
auffallen, wenn die unzulängliche Kenntniß der schwererlern-
baren deutschen Sprache, sich zuweilen durch Pantomimen zu
vervollständigen suchte, die einige Mal fast bis an die Nasen
der also Angeredeten hinaufreichten. Die Neugier jedoch,
welche alle Pulse dem kommenden „noch nie Dagewesenen"
stürmisch entgegenschlagen ließ, übersah heute gern so manchen
Fingerzeig, der von verschiedenen Seiten mit geballter Faust
gegeben wurde.
Alle bisherigen Feindseligkeiten und was sonst noch im
Bereich des Lärmmachens gelegen batte, verstummten jedoch
augenblicklich, als sich der elastische Engländer wieder um einige
Fuß in die Höhe dehnte und mit mächtigen Winken die Musiker
vom Orchester drüben bedeutete, sich jetzt in den gefeiten Kreis
seines dickbauchigen Ungeheuers zu gegeben.
Langsam, ernst, fast feierlich, gehorchten die Musiker den
Winken und nahten. Der vorhin noch so dichte Kreis, welcher
den Ballon zunächst umstand, öffnete sich rasch, wenn auch
nicht übermäßig weit, um die Tönespender mit ihren Instru-
menten hindurch schlüpfen zu lassen. Der letzte war noch nicht
völlig seinen vor ihm herschrcitenden Kameraden gefolgt, als
sich die Phalanx dichter als je in Windeseile wieder herge-
stellt fand. Kaum waren aber jetzt die Musiker dem Gesichts-
kreis der Sitzenden entschwunden, als sich die kanipflustigen
Wortführer von vorhin plötzlich eines ausreichenden Hülfs-
mittels bedienten, um sich das Interessante, das jetzt zu er-
warten stand, nicht entgehen zu lassen. Wie auf ein Kommando,
stellten sich nämlich diese auf die Stühle, auf deren biegsamen
Rohrgcflechten sie mit zuweilen großer Geschicklichkeit ein
schwieriges Equiliber zu bewahren wußten, Mancher fuhr
freilich wegen seines übergroßen Körpergewichtes plötzlich
rasselnd durch den Rohrsitz und fand sich nun von den Poly-
penarmen des spanischen Holzgeflechtes so festgehalten, daß
er sich nicht wieder aus dem engen Rahmen ohne fremde
Hilfe hcrausarbeiten konnte. Und wo war, trotz aller Bitten,
auf nachbarliche Samariterhülfe in diesem entscheidenden
Augenblicke zu rechnen? Wir wollen das Durcheinander,
die Versuche Anderer, den Sitz ebenfalls zur Tribüne zu
machen, die Ausrufungen: „Hut ab!" „Sitzen bleiben!"
„Hinaus!" u, s. w, jetzt unberücksichtigt lassen und zu unserm
Luftschiffer und den Söhnen Apollos zurückkehren.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein sonderbares Concert"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 19.1854, Nr. 444, S. 91
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg