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Die deutsche Dame

machen. „John", sagte die Damp zum metamorphosirten
Feldmochinger, „in das Magazin der Madame Z***!" und
die Karosse rollte zum Thore hinaus. Der gute Ton hat
so vielseitige Nüancen und Kleinigkeiten, welche sogar auf die Art
und Weise, wie eine Priesterin desselben im Wagen zu sitzen
habe, sich erstrecken. Sie muß in demselben mehr liegen als
sitzen, darf die Komplimente der vorübergehenden Bekannten
nur mit einem kalten, geringschätzigen Kopfnicken erwidern,
mit einem Worte, sie muß sich so benehmen, daß man,
würde es eine sogenannte Plebejerin so machen, in gerechtem
Unmuth ausrufen würde: „Seht nur dieses unbedeutende
Geschöpf von bedeutender Grobheit!" Diese schroffen Manieren
sind nichts Anderes, als die verunglückte Nachahmung fran-
zösischer Nonchalence, die von unfern deutschen Modedamen
in grober Uebersetzung als Reutlinger Nachdruck wieder erscheint.

Tie Kalesche hielt vor dem bewußten Magazin, unsere
Dame stieg aus und hüpfte ä In Llsler in den Laden. Hier ;
j wimmelte es schon von ebenbürtigen Freundinnen und Be-
kannten. „Ich bin noch so fatiguirt vom gestrigen Balle",
klagte die Eine und suchte sich durch vorgebliche Nervenschwäche
interessant zu machen. „Ich leide schon wieder an Migräne",
l seufzte eine Andere, und „ich spüre Halsweh", jammerte die
j Dritte und fingirte einen plötzlichen Fieberfrost. Wie natürlich
wurden diese Leidensgeschichten alle in deutsch-französischem
Dialekte vorgetragcn. Nun ging es über die Stoffe her.

. Die Madame nebst ihren Dienerinnen hatten vollauf zu thun.

. Alles mußte herab genommen werden, wurde durchstöbert,
gekauft. Unsere Heldin hatte endlich die beiden gewünschten
Kleider gefunden. Nachdem sie noch Einiges besichtigt, verließ
sie das Magazin. Ter Wagen mußte halten bleiben; sie
! wollte zu Fuße gehen. Nur der Bediente folgte. Auch das
Gehwerk der jetzigen Damen hat sich geändert. Durch die
langen, den Staub aufrührenden Kleider, haben sie sich einen
schleichenden Gang angewöhnt, der an ihre orientalischen
Geschlechts-Verwandten erinnert, die gleichfalls in ihren langen
Gewändern und schlotternden Pantoffeln mehr schleifen als
gehen. Ucber das schleppartige Kleid hängt der dicke Shawl
herab, in den sie sich fest eiuwickeln. Wie gut, daß in Frank-
reich die kurzen Röcke abgekommen sind, dem Vaterlande der
kleinen Füße.

Es schlug halb vier Uhr. Gräfin Ernestine bestieg
wieder den Wagen und fuhr mit einem kleinem Umwege nnch
Hause. Nun begann ein wichtiger Moment, es galt die
Toilette zur Tafel beim ***schen Gesandten, welche um halb
sechs Uhr stattfinden sollte. Die ganze Schatzkammer der
Gräfin wurde ausgekramt. Ein schwerer, seidener Stoff,
erst kürzlich direkt aus Paris angelangt, sollte die zarten
Glieder umhüllen. Der Kopfputz bestand aus einem sammet-
nen Barett mit weißer Feder. Das kleinste Fleckchen wurde
benützt, um es mit Schmuck auszufüllen. Zur bestimmten
Stunde fuhr sie zum Diner, welches bis halb acht Uhr
währte. Alsdann wurde wieder nach Hause gefahren, aber-
mals Toilette gemacht, um gegen halb zehn Uhr den Ball
bei dem Grafen M*** zu besuchen. Das Benehmen der

von gutem Ton.

Damen vom guten Ton auf einem Balle besteht eines Theils
in süßkoketten Blicken mit den bevorzugten Lion's, theils in
kaltgnädigem Kopfnicken gegen die Gleichgültigen. Die Art
des Eitzens im Lehnstuhle oder auf dem Sopha ist die näm-
liche, mehr liegend als sitzend und die Arme übereinander
gekreuzt. Stoff der Unterhaltung sind Theater, Witterung,
Beschaffenheit des Parkettes in Hinsicht des Tanzes, der aber
meistens getadelt wird, und liebevolle Kritiken über die an-
wesenden Damen, nebst Ausbrüchen der Eifersucht, wenn ein
zahmer Lion einer der Kolleginnen etwas länger den Hof
macht, oder das Kleid einer Andern mehr Beifall findet,
als das eigne. Dazwischen wird mit einer Art von Raserei
getanzt, welche den Ausdruck der Selbstbetäubung verräth.
Wehe den Männern, die keinen Geschmack an diesen forcirten
Freuden haben, die nicht tanzen und nicht spielen. Sie
theilen das ttaurige Loos indischer Parias. Dieser unend- :
liche Luxus, diese Diamanten, diese Blumen und Schleifen, !
sie vermögen es nicht, die Bewunderung und Ehrfurcht des j
Sonderlings, oder wie man ihn lieber zu bezeichnen pflegt,
dieses Mannes von schlechtem Ton zu erwecken. Der Ge- j
fühllose zieht geistreiche Männerzirkel vor. Welcher Frevel!
Welche Mißachtung des Anstands und guter Sitte!

Es war zwei Uhr Morgens, als unsere Gräfin nach
Hause zurückkehrte. Ermattet sank sie in den Lehnsessel vor-
der Toilette, und schon während des Aufdrehens der Locken
fielen ihr die müden Augenlider zu. Im halben Taumel
wantte sie in das Bett und schlummerte sanft hinüber in
das Reich der Träume.
Bildbeschreibung

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"Die deutsche Dame von gutem Ton."
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Dienstmädchen <Motiv>
Toilette <Körperpflege, Motiv>
Dame <Motiv>
Karikatur
Kopfbedeckung <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Turban <Motiv>

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 37, S. 99

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