62 Cicero im modernen Gerichtssaale.
Cicero (zu einem Gensdarmen): „Nicht wahr, Verchrtester,
cs vcrtheidigt wohl heute ein berühmter Redner in einem gro-
ßen Prozesse wegen Hochverrathes, weil der Saal gar so ent-
setzlich mit Bürgern gefüllt ist?"— Gensdarm: „Nein, wis-
' sen's, ein großer politischer Prozeß ist's eigentlich nicht; der
| Rechtspraktikant Stritzelberger vcrtheidigt halt den Brauer Bier-
i Huber aus der Schmiedgassen wegen Malzdefraudation und nach-
her wegen Amtsehrcnbeleidigung an einem Lotteriecollekteur." —
Cicero: „So, so, Ltritrolberggrus pro Lisrliudero Schmied-
gasselino wegen Malzdcfraudation und Amtsehrcnbeleidigung
an einem Lottocollektcur . . . solche Fälle sind mir meines
Wissens nie vorgekommen ... ja, ja, Praxis est multiplex
. . . oder sollte cs diese crimina etwa zu meiner Zeit noch
gar nicht gegeben haben?"
Poesie und Prosa.
(Schluß.)
„Verzeihen Sic mir — aber ich kann wirklich nicht da-
für," stammelte er in seiner peinvollen Bedrängniß.
„Es thut nichts und Sic sind entschuldigt," sagte Emme-
linc und strich sich die Thränen aus dem Antlitz. „Damit
Sie aber genau erfahren, um was cs sich hier gehandelt hat,
mag Ihnen die Dame hier eine Geschichte erzählen, wie man
wieder Kammerjungfer wird. — Schonen Sie auch mich nicht,"
setzte sie zu Christinen gewendet, hinzu, „denn eS ist ja doch
nun alt’ Eins!"
Und rasch verschwand die Herrin des Eulenhorst im an-
stoßenden Zimmer und ließ ihren verblüfften Inspektor bei dem
weinenden Mädchen zurück.
Christine beichtete hinter dem Tuche, das sie vor's Gesicht
hielt, dem Inspektor reumüthig ihre leichtsinnigen Verirrungen,
ohne indessen mit einer Sylbc der Liebe Emmclinens zum
„Baron" zu gedenken. Die Zerknirschung des Mädchens stumpfte
Poesie und Prosa. ,
den Stachel des Spottes ab, mit dem sonst wohl der Ver- !
waltcr die Aermste zu überschütten geneigt gewesen sein mochte, 1
und sie kam mit einigen leichten Seitenhieben weg, die ihr \
der wiederholt von ihr Gekränkte denn doch nicht erlassen konnte.
Schließlich sprach Christine den Entschluß aus, eine neue Stelle
als Jungfer vor der Hand nicht zu suchen, sondern bei einer
in der Stadt in tiefer Zurückgezogenheit lebenden älteren Ver-
wandten einstweilen ein Asyl sich zu erbitten, das ihr, wie
sie hoffe, nicht werde versagt werden. Zur Bekräftigung der
Wahrheit des Gesagten nannte sie dem Inspektor Straße und
Hausnummer der Muhme und dieser machte sich eine Notiz
davon in seinem Taschenbuche.
Fünf Minuten darauf schlich Christine gesenkten Kopfes
durch die Straßen der Stadt, ein Lohndicner aber trabte auf
das Geheiß des Inspektors zur Post, um Pferde für Emmcline
zu bestellen, die cs keinen Augenblick mehr im Hotel auShal-
ten zu können glaubte. Zwei Stunden später hatte sie die
-Residenz bereits im Rücken.
Genau vier Wochen waren vergangen, da trat der Brief-
träger in das Zimmer des Werkmeisters Müller, der just mit
Zuschneiden eines Kleides beschäftigt war, und übergab diesem
einen Brief. Der Schneider betrachtete, nachdem jener sich wieder
entfernt hatte, das feine duftende Couvert, sowie die von zarter
Frauenhand geschriebene Adresse und das zierliche Siegel, das
ein adeliges Wappen führte. Kopfschüttelnd löste er es und,
entfaltete das Schreiben. Sein Blick glitt abwärts zum Schluffe
des Briefes und ein leises Frösteln durchlief seinen Körper,
als er die Worte „Emmcline von Birkcnduft" entzifferte. Sein
Erstaune» sollte aber den höchsten Grad erreichen, als er
Folgendes las:
„Diese Zeilen haben zunächst den Zweck, Ihnen für einen
Dienst, denn Sie mir freilich sehr unwissentlich geleistet haben,
nicinen Dank zu sagen. Ihre Entpuppung vom Baron zum
ehrsamen Schneidcrgcscllcn hat nämlich eine so drastische Ein-
wirkung auf mich ausgeübt, daß ich von meiner Manie, Alles
im Gewände der Poesie zu erblicken, um später durch die
nüchternste Prosa einer grausamen Enttäuschung zu verfallen,
vollständig und hoffentlich für immer geheilt worden bin. Ich
fühle mich jetzt wie neu geboren und ein zweiter, sicher nutz-
reicherer Lebensabschnitt hat für mich begonnen. Ich verdanke
dies, wenigstens zum Theil, Ihrem tollen Einfall, sich bei
mir als Baron einzuführen, welche Rolle Sic, unter uns ge-
sagt, vortrefflich durchgcspiclt haben. Es ist aber auch noch eine
zweite Persönlichkeit in diesem lustigen Drama actio gewesen,
die Ihnen allerdings die Palme des Sieges streitig macht,
und Sie errathen wohl schon, daß ich Clothildc von Lilicn-
thal dabei im Sinne habe. Während Sie als Baron auf dem
Eulenhorst mit vielem Glücke gastirtcn, versuchte sich dicKam-
mcrjungfcr Christine Wunderwald ebendaselbst in der Rolle der
Clothildc von Lilienthal, und da Sic selbst thcils auf der
Bühne, thcils von der Coulissc aus ihr Spiel zu beobachten
Gelegenheit gehabt, werden Sic sich über deren Leistungen
wohl ein eigenes Urtheil gebildet haben, so daß ich der Kritik
übcrhobcn bin. Sic werden zugestehen müssen, daß wohl kaum
Cicero (zu einem Gensdarmen): „Nicht wahr, Verchrtester,
cs vcrtheidigt wohl heute ein berühmter Redner in einem gro-
ßen Prozesse wegen Hochverrathes, weil der Saal gar so ent-
setzlich mit Bürgern gefüllt ist?"— Gensdarm: „Nein, wis-
' sen's, ein großer politischer Prozeß ist's eigentlich nicht; der
| Rechtspraktikant Stritzelberger vcrtheidigt halt den Brauer Bier-
i Huber aus der Schmiedgassen wegen Malzdefraudation und nach-
her wegen Amtsehrcnbeleidigung an einem Lotteriecollekteur." —
Cicero: „So, so, Ltritrolberggrus pro Lisrliudero Schmied-
gasselino wegen Malzdcfraudation und Amtsehrcnbeleidigung
an einem Lottocollektcur . . . solche Fälle sind mir meines
Wissens nie vorgekommen ... ja, ja, Praxis est multiplex
. . . oder sollte cs diese crimina etwa zu meiner Zeit noch
gar nicht gegeben haben?"
Poesie und Prosa.
(Schluß.)
„Verzeihen Sic mir — aber ich kann wirklich nicht da-
für," stammelte er in seiner peinvollen Bedrängniß.
„Es thut nichts und Sic sind entschuldigt," sagte Emme-
linc und strich sich die Thränen aus dem Antlitz. „Damit
Sie aber genau erfahren, um was cs sich hier gehandelt hat,
mag Ihnen die Dame hier eine Geschichte erzählen, wie man
wieder Kammerjungfer wird. — Schonen Sie auch mich nicht,"
setzte sie zu Christinen gewendet, hinzu, „denn eS ist ja doch
nun alt’ Eins!"
Und rasch verschwand die Herrin des Eulenhorst im an-
stoßenden Zimmer und ließ ihren verblüfften Inspektor bei dem
weinenden Mädchen zurück.
Christine beichtete hinter dem Tuche, das sie vor's Gesicht
hielt, dem Inspektor reumüthig ihre leichtsinnigen Verirrungen,
ohne indessen mit einer Sylbc der Liebe Emmclinens zum
„Baron" zu gedenken. Die Zerknirschung des Mädchens stumpfte
Poesie und Prosa. ,
den Stachel des Spottes ab, mit dem sonst wohl der Ver- !
waltcr die Aermste zu überschütten geneigt gewesen sein mochte, 1
und sie kam mit einigen leichten Seitenhieben weg, die ihr \
der wiederholt von ihr Gekränkte denn doch nicht erlassen konnte.
Schließlich sprach Christine den Entschluß aus, eine neue Stelle
als Jungfer vor der Hand nicht zu suchen, sondern bei einer
in der Stadt in tiefer Zurückgezogenheit lebenden älteren Ver-
wandten einstweilen ein Asyl sich zu erbitten, das ihr, wie
sie hoffe, nicht werde versagt werden. Zur Bekräftigung der
Wahrheit des Gesagten nannte sie dem Inspektor Straße und
Hausnummer der Muhme und dieser machte sich eine Notiz
davon in seinem Taschenbuche.
Fünf Minuten darauf schlich Christine gesenkten Kopfes
durch die Straßen der Stadt, ein Lohndicner aber trabte auf
das Geheiß des Inspektors zur Post, um Pferde für Emmcline
zu bestellen, die cs keinen Augenblick mehr im Hotel auShal-
ten zu können glaubte. Zwei Stunden später hatte sie die
-Residenz bereits im Rücken.
Genau vier Wochen waren vergangen, da trat der Brief-
träger in das Zimmer des Werkmeisters Müller, der just mit
Zuschneiden eines Kleides beschäftigt war, und übergab diesem
einen Brief. Der Schneider betrachtete, nachdem jener sich wieder
entfernt hatte, das feine duftende Couvert, sowie die von zarter
Frauenhand geschriebene Adresse und das zierliche Siegel, das
ein adeliges Wappen führte. Kopfschüttelnd löste er es und,
entfaltete das Schreiben. Sein Blick glitt abwärts zum Schluffe
des Briefes und ein leises Frösteln durchlief seinen Körper,
als er die Worte „Emmcline von Birkcnduft" entzifferte. Sein
Erstaune» sollte aber den höchsten Grad erreichen, als er
Folgendes las:
„Diese Zeilen haben zunächst den Zweck, Ihnen für einen
Dienst, denn Sie mir freilich sehr unwissentlich geleistet haben,
nicinen Dank zu sagen. Ihre Entpuppung vom Baron zum
ehrsamen Schneidcrgcscllcn hat nämlich eine so drastische Ein-
wirkung auf mich ausgeübt, daß ich von meiner Manie, Alles
im Gewände der Poesie zu erblicken, um später durch die
nüchternste Prosa einer grausamen Enttäuschung zu verfallen,
vollständig und hoffentlich für immer geheilt worden bin. Ich
fühle mich jetzt wie neu geboren und ein zweiter, sicher nutz-
reicherer Lebensabschnitt hat für mich begonnen. Ich verdanke
dies, wenigstens zum Theil, Ihrem tollen Einfall, sich bei
mir als Baron einzuführen, welche Rolle Sic, unter uns ge-
sagt, vortrefflich durchgcspiclt haben. Es ist aber auch noch eine
zweite Persönlichkeit in diesem lustigen Drama actio gewesen,
die Ihnen allerdings die Palme des Sieges streitig macht,
und Sie errathen wohl schon, daß ich Clothildc von Lilicn-
thal dabei im Sinne habe. Während Sie als Baron auf dem
Eulenhorst mit vielem Glücke gastirtcn, versuchte sich dicKam-
mcrjungfcr Christine Wunderwald ebendaselbst in der Rolle der
Clothildc von Lilienthal, und da Sic selbst thcils auf der
Bühne, thcils von der Coulissc aus ihr Spiel zu beobachten
Gelegenheit gehabt, werden Sic sich über deren Leistungen
wohl ein eigenes Urtheil gebildet haben, so daß ich der Kritik
übcrhobcn bin. Sic werden zugestehen müssen, daß wohl kaum
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Cicero im modernen Gerichtssaale"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 31.1859, Nr. 738, S. 62
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg