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Der Burgunder.
Nach altem Brauch.
Die Eltern haben's natürlich nicht gern, aber die jungen Leute
lassen sich das Recht nicht nehmen; und 's ist eigentlich un-
recht von den Eltern, daß sie dagegen sind. Denn der Brauch
ist allgemein, und nie kommt hierorts eine Heirath zu Stande,
ohne daß man sich vorher längere Zeit so gesehen hat. Da
wir beide noch sehr jung sind, so mögen wir mit unseren Ab-
sichten noch nicht offen hcrvortrctcn, sind aber gewiß, daß,
wenn wir's thun, man von keiner Seite etwas dagegen wird
einzuwendcn haben. Jetzt wissen Sic alles, Herr Professor, und
ich bitte Sie nochmals: stören Sic unser Glück nicht!" „Gott
bewahre," sagte der Gelehrte, „meine Hand darauf. Das ist
ja recht romantisch, zumal wenn sich's zufällig trifft, daß der
Liebende statt der Geliebten so einen ledernen Professor beim
Kopfe nimmt." Therese lachte auf's neue. „Aber sagen Sie mir,
! Therese," fuhr er fort, „was thuc ich jetzt mit dem Kusse?"
i „Nun, ich denke, Sic legen ihn mit den andern Seltenheiten,
\ die Sie gestern gefunden haben, in Ihr Kabinet, so wird er
I bald genug versteinern," entgegnete sic lächelnd und erröthcnd
zugleich. „Nein," antwortete er, „das geht nicht. Denn, sehen
! Sie, meine Steine, das sind alles ganz stille, ruhige Wesen,
ein Kuß aber ist etwas Aufgeregtes und Aufregendes. Der
würde mir einen solchen Rumor in meiner Sammlung
machen und die anderen Dinge so mit seiner Lebendigkeit an-
steckcn, daß mir alles in Unordnung käme, und ich jeden Tag
j vollauf zu thun hätte, bis ich die Sachen wieder in Ordnung
brächte." — „Gut," erwicdcrtc sie, „dann dächte ich, Sie be-
hielten ihn in Gottes Namen für sich." — „Nein," sagte er,
„auch das will mir nicht gefallen. Ich weiß etwas Besseres.
Der Kuß gehört mir ja gar nicht. Er hat, wie Sic selbst
sagten, nicht mir gegolten, er ist also gleichsam nur ein Brief,
der mir zur Beförderung übergeben ist, und da gehts nicht
anders, als daß ich ihn an seine Adresse abgcbe. Zudem müssen
Sie wissen, Therese, daß, wenn man für sich das Recht alten
Brauchs in Anspruch nimmt, man es auch für andere gelten
lassen muß. So, dächte ich, wäre es nicht unbillig, wenn Sie
jetzt nachholten, was Sie gestern versäumt haben, und mir
damit zugleich Gelegenheit geben, mich des Auftrags zu ent-
ledigen, den mir Ihr Freund gestern Abend gegeben hat." —
„Ja," sagte sie lächelnd, „und Schmcrzcngcld bin ich Ihnen
auch noch schuldig," und bot ihm den Mund hin. — „Das
wäre abgemacht und zwar zu beiderseitiger Zufriedenheit, sollte
ich meinen", sprach der Gelehrte bei sich, als er in's Haus
zurückging, während Therese sich umschaute, ob cs niemand
gesehen habe, und dann als der Gelehrte ihr den Rücken zu-
gckehrt hatte, sich mit der Schürze sauber den Mund abwischte.
Als der Professor Abschied nahm, sagte er zu seinem
Wirth: „Freund Pächter, Ihr dürft Euch heute bei mir schon
bedanken. Ich habe mit der Therese wegen des gestrigen Vor-
falls gesprochen, und es ist mir gelungen, sic zu überzeugen,
[ daß man alte Bräuche nie vernachläßigen darf. Sie'wird küns- ^
tig alle wieder aus das pünktlichste beobachten!"
Es klingen die Gläser zum frohen Gesang,
Es klinget den Deutschen ein Vivat ihr Klang,
Er klinget ein ?6reat Frankreich.
Vom Politisiren verdickt sich die Lust,
Ein Jeder den Franzen verflucht und verpufft;
Der Wirth sitzt ruhig im Winkel.
„Halt!" wettert jetzt einer, „ihr Freunde bedenkt —
Ich glaub', der Verstand war uns allen verrenkt —
Bedenkt doch, wir trinken Burgunder.
AuS Deutschland die Kehlen, aus Frankreich der Wein!
O Schimpf uns und Schande! so darf cs nicht sei»;
Zerschlagt die französischen Flaschen!"
„Ich nicht — ich nehme den Franzen wohl her!
Doch sicher französische Weine noch mehr.
So Hab' ich cs immer gehalten."
„Ei seht mir den unpatriotischen Tropf!
Auf Brüder an seinem französischen Kopf
Zerschlaget die französischen Flaschen."
Schon schwellt ihm die Adern das siedende Blut,
Schon schwingt er die Flasche mit schäumender Wuth,
Schon rüstet sich jener zur Abwehr.
Da stellt sich das Wirthlein dazwischen und spricht:
„O, gebt Euch zufrieden, ereifert Euch nicht!
Der Wein wächst draußen im Garten."
Der Burgunder.
Nach altem Brauch.
Die Eltern haben's natürlich nicht gern, aber die jungen Leute
lassen sich das Recht nicht nehmen; und 's ist eigentlich un-
recht von den Eltern, daß sie dagegen sind. Denn der Brauch
ist allgemein, und nie kommt hierorts eine Heirath zu Stande,
ohne daß man sich vorher längere Zeit so gesehen hat. Da
wir beide noch sehr jung sind, so mögen wir mit unseren Ab-
sichten noch nicht offen hcrvortrctcn, sind aber gewiß, daß,
wenn wir's thun, man von keiner Seite etwas dagegen wird
einzuwendcn haben. Jetzt wissen Sic alles, Herr Professor, und
ich bitte Sie nochmals: stören Sic unser Glück nicht!" „Gott
bewahre," sagte der Gelehrte, „meine Hand darauf. Das ist
ja recht romantisch, zumal wenn sich's zufällig trifft, daß der
Liebende statt der Geliebten so einen ledernen Professor beim
Kopfe nimmt." Therese lachte auf's neue. „Aber sagen Sie mir,
! Therese," fuhr er fort, „was thuc ich jetzt mit dem Kusse?"
i „Nun, ich denke, Sic legen ihn mit den andern Seltenheiten,
\ die Sie gestern gefunden haben, in Ihr Kabinet, so wird er
I bald genug versteinern," entgegnete sic lächelnd und erröthcnd
zugleich. „Nein," antwortete er, „das geht nicht. Denn, sehen
! Sie, meine Steine, das sind alles ganz stille, ruhige Wesen,
ein Kuß aber ist etwas Aufgeregtes und Aufregendes. Der
würde mir einen solchen Rumor in meiner Sammlung
machen und die anderen Dinge so mit seiner Lebendigkeit an-
steckcn, daß mir alles in Unordnung käme, und ich jeden Tag
j vollauf zu thun hätte, bis ich die Sachen wieder in Ordnung
brächte." — „Gut," erwicdcrtc sie, „dann dächte ich, Sie be-
hielten ihn in Gottes Namen für sich." — „Nein," sagte er,
„auch das will mir nicht gefallen. Ich weiß etwas Besseres.
Der Kuß gehört mir ja gar nicht. Er hat, wie Sic selbst
sagten, nicht mir gegolten, er ist also gleichsam nur ein Brief,
der mir zur Beförderung übergeben ist, und da gehts nicht
anders, als daß ich ihn an seine Adresse abgcbe. Zudem müssen
Sie wissen, Therese, daß, wenn man für sich das Recht alten
Brauchs in Anspruch nimmt, man es auch für andere gelten
lassen muß. So, dächte ich, wäre es nicht unbillig, wenn Sie
jetzt nachholten, was Sie gestern versäumt haben, und mir
damit zugleich Gelegenheit geben, mich des Auftrags zu ent-
ledigen, den mir Ihr Freund gestern Abend gegeben hat." —
„Ja," sagte sie lächelnd, „und Schmcrzcngcld bin ich Ihnen
auch noch schuldig," und bot ihm den Mund hin. — „Das
wäre abgemacht und zwar zu beiderseitiger Zufriedenheit, sollte
ich meinen", sprach der Gelehrte bei sich, als er in's Haus
zurückging, während Therese sich umschaute, ob cs niemand
gesehen habe, und dann als der Gelehrte ihr den Rücken zu-
gckehrt hatte, sich mit der Schürze sauber den Mund abwischte.
Als der Professor Abschied nahm, sagte er zu seinem
Wirth: „Freund Pächter, Ihr dürft Euch heute bei mir schon
bedanken. Ich habe mit der Therese wegen des gestrigen Vor-
falls gesprochen, und es ist mir gelungen, sic zu überzeugen,
[ daß man alte Bräuche nie vernachläßigen darf. Sie'wird küns- ^
tig alle wieder aus das pünktlichste beobachten!"
Es klingen die Gläser zum frohen Gesang,
Es klinget den Deutschen ein Vivat ihr Klang,
Er klinget ein ?6reat Frankreich.
Vom Politisiren verdickt sich die Lust,
Ein Jeder den Franzen verflucht und verpufft;
Der Wirth sitzt ruhig im Winkel.
„Halt!" wettert jetzt einer, „ihr Freunde bedenkt —
Ich glaub', der Verstand war uns allen verrenkt —
Bedenkt doch, wir trinken Burgunder.
AuS Deutschland die Kehlen, aus Frankreich der Wein!
O Schimpf uns und Schande! so darf cs nicht sei»;
Zerschlagt die französischen Flaschen!"
„Ich nicht — ich nehme den Franzen wohl her!
Doch sicher französische Weine noch mehr.
So Hab' ich cs immer gehalten."
„Ei seht mir den unpatriotischen Tropf!
Auf Brüder an seinem französischen Kopf
Zerschlaget die französischen Flaschen."
Schon schwellt ihm die Adern das siedende Blut,
Schon schwingt er die Flasche mit schäumender Wuth,
Schon rüstet sich jener zur Abwehr.
Da stellt sich das Wirthlein dazwischen und spricht:
„O, gebt Euch zufrieden, ereifert Euch nicht!
Der Wein wächst draußen im Garten."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Burgunder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 31.1859, Nr. 742, S. 92
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg