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Die Mooskuh.
kam, schon gerade so alt gewesen sei, wie fünfzig Jahre
spater."
„Ja, aber wie alt ist er denn," rief der Fuhrknecht.
„Hundert gewiß," sagte ein Dritter.
„Eher d'rüber," meinte ein Anderer, „denn."
„Es mag so lang sein, als es will," fiel Gells ein,
„so gab es doch einmal eine Zeit, wo dieses Haar so braun
war, wie eine glänzende Kastanie, und wo es keinen schnei-
digern, kleinen kecken Kerl gab als mich, keinen der besser
tanzte, und lustigere Schnaderhüpfel machte und sang, den
die Mädel hätten besser leiden können und die jungen Bur-
schen mehr gefürchtet. Denn ich kann mich nicht erinnern,
daß mich jemals Einer auf den Tanzboden hingelegt hat,
so viele es auch versuchten. Es gab nur einen Punkt, in
dem ich schwach war, der war — das Geld. Zwar verdiente
ich als Zimmermann ein hübsches Stück, aber es hielt nicht
aus bei mir. Es schlüpfte mir nur so durch die Finger
und rollte stets dem Wirthshause und den Musikanten zu.
Was aber das Schlimmste dabei gewesen, war, daß ich stets,
wenn ich es am nothwendigsten brauchte, so leer war, wie ein
ausgedroschener Halm. So kam denn auch einmal die
Kirchweihe. Alle meine Kameraden hatten das ganze Jahr
für diesen einen Tag gespart, nur ich nicht. Ich war ratten-
kahl, nicht ein Groscken in allen meinen Taschen. Das war
schlimm und um so schlimmer, als ich verliebt war."
„Du verliebt!" Es war der Fuhrmann, dem dieser
AuSruf entfahren, aber er suchte sogleich das Beleidigende
darin dadurch zu verbessern, daß er dem Erzähler den
Krug zuschob.
' Aber der war nicht beleidigt, sondern fuhr, nach-
dem er getrunken, ganz gleichmüthig fort:
„Es war damals eben in Bruckberg eine Bauers-
tochter, die hatte allen jungen Burschen den Kopf ver-
rückt, warum also nicht auch mir. Sie war von allen
Dirnen weit auS die schönste, und Alles stand ihr fein
unb nett. Wenn sie tanzte, waren ihre Bewegungen
so leicht und zierlich, daß man kaum glauben konnte,
sie sei eines Bauern Kind, und ihre Reden waren so mun-
ter und so schelmisch, wie die Grübchen in ihren rothen
Bäcklein, wenn sie lachte. Ich war vernarrt in sie bis
über die Ohren und lief noch manchmal Abends nach
dein Feierabend hinauf, blos um nach ihrem Haus zu
schauen, und wenn dann der Mond auf ihrem Kammer-
fensterlein glänzte, so glaubte ich, eS gab keinen schönern
Stern am Himmel.
Da kam die Kirchweih. Ich hatte meine ganze
Hoffnung auf diesen Tag gesetzt. Geld mußte her. Da
nahm ich denn, ich war kein Neuling mehr im Wildern,
meinen Stutzen, fest entschlossen, daß der beste Hirsch
die Kirchweihkosten zahlen müsse.
Es war ein feiner Abend, als ich mich hinauS-
schlich in die Auen, wo die Hirsche den Tag über stan-
den und von wo aus sie am Abend hinauszogen auf die Felder
zur Aesung. Die Luft war klar, nur am fernen Himmel
hatte sich ein düsterer Nebel gebildet, hinter welchem eben die
Sonne blutigroth verschwand, und deutete auf einen Umschlag
des Wetters während der Nacht. Ich hatte gehofft bald zu
schießen, aber ich sah und hörte nichts, nur hie und da
raschelte eine erschreckte Maus im dürren Laube. Je weiter
ich pürschte, desto mehr schwoll mein Unmuth, und zuletzt
stieß ich in grimmer Wuth manch schweren gotteslästerlichen
Fluch aus. Mit einem solchen auf den Lippen trat ich an
eine kleine Blöße, die der Mond so hell beschien, daß die
Schatten am Rande des Waldes unheimlich tief und schwarz
waren, lieber den Boden hin zog sich einer dünner, leichter
Nebel, aus dem die schlanke Gestalt eines Kapitalhirscheu
hervorragte, ein stattlicher Kerl mit mächtig stolzem Geweih,
der langsam, fast geisterhaft geräuschlos, der Aesung nach-
zog und nur bisweilen den Grind emporhob, sich gegen
allenfallsige Gefahr sichernd. Wenn der nicht dein wird, dann
darf dich der Teufel in der Luft reiten, so lang er kann,
fluchte ich und knieete nieder. Ich zielte scharf und wollte
eben losdrücken, — da sagte eine tiefe grollende Stimme hart
neben mir: „Heh Bursche, was treibst denn Du da?" Ent-
setzt fuhr ich vom Boden auf, der Schuß donnerte ziellos
über die kleine Blöße hin, ich glaubte nicht anders, als eö
fei der Förster oder seine Leute. Aber die waren es nicht,
sondern ein wildfremder, großer, starker Kerl, mit pech-
schwarzem Haar und Bart und sonderbar stechenden Augen.
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Die Mooskuh.
kam, schon gerade so alt gewesen sei, wie fünfzig Jahre
spater."
„Ja, aber wie alt ist er denn," rief der Fuhrknecht.
„Hundert gewiß," sagte ein Dritter.
„Eher d'rüber," meinte ein Anderer, „denn."
„Es mag so lang sein, als es will," fiel Gells ein,
„so gab es doch einmal eine Zeit, wo dieses Haar so braun
war, wie eine glänzende Kastanie, und wo es keinen schnei-
digern, kleinen kecken Kerl gab als mich, keinen der besser
tanzte, und lustigere Schnaderhüpfel machte und sang, den
die Mädel hätten besser leiden können und die jungen Bur-
schen mehr gefürchtet. Denn ich kann mich nicht erinnern,
daß mich jemals Einer auf den Tanzboden hingelegt hat,
so viele es auch versuchten. Es gab nur einen Punkt, in
dem ich schwach war, der war — das Geld. Zwar verdiente
ich als Zimmermann ein hübsches Stück, aber es hielt nicht
aus bei mir. Es schlüpfte mir nur so durch die Finger
und rollte stets dem Wirthshause und den Musikanten zu.
Was aber das Schlimmste dabei gewesen, war, daß ich stets,
wenn ich es am nothwendigsten brauchte, so leer war, wie ein
ausgedroschener Halm. So kam denn auch einmal die
Kirchweihe. Alle meine Kameraden hatten das ganze Jahr
für diesen einen Tag gespart, nur ich nicht. Ich war ratten-
kahl, nicht ein Groscken in allen meinen Taschen. Das war
schlimm und um so schlimmer, als ich verliebt war."
„Du verliebt!" Es war der Fuhrmann, dem dieser
AuSruf entfahren, aber er suchte sogleich das Beleidigende
darin dadurch zu verbessern, daß er dem Erzähler den
Krug zuschob.
' Aber der war nicht beleidigt, sondern fuhr, nach-
dem er getrunken, ganz gleichmüthig fort:
„Es war damals eben in Bruckberg eine Bauers-
tochter, die hatte allen jungen Burschen den Kopf ver-
rückt, warum also nicht auch mir. Sie war von allen
Dirnen weit auS die schönste, und Alles stand ihr fein
unb nett. Wenn sie tanzte, waren ihre Bewegungen
so leicht und zierlich, daß man kaum glauben konnte,
sie sei eines Bauern Kind, und ihre Reden waren so mun-
ter und so schelmisch, wie die Grübchen in ihren rothen
Bäcklein, wenn sie lachte. Ich war vernarrt in sie bis
über die Ohren und lief noch manchmal Abends nach
dein Feierabend hinauf, blos um nach ihrem Haus zu
schauen, und wenn dann der Mond auf ihrem Kammer-
fensterlein glänzte, so glaubte ich, eS gab keinen schönern
Stern am Himmel.
Da kam die Kirchweih. Ich hatte meine ganze
Hoffnung auf diesen Tag gesetzt. Geld mußte her. Da
nahm ich denn, ich war kein Neuling mehr im Wildern,
meinen Stutzen, fest entschlossen, daß der beste Hirsch
die Kirchweihkosten zahlen müsse.
Es war ein feiner Abend, als ich mich hinauS-
schlich in die Auen, wo die Hirsche den Tag über stan-
den und von wo aus sie am Abend hinauszogen auf die Felder
zur Aesung. Die Luft war klar, nur am fernen Himmel
hatte sich ein düsterer Nebel gebildet, hinter welchem eben die
Sonne blutigroth verschwand, und deutete auf einen Umschlag
des Wetters während der Nacht. Ich hatte gehofft bald zu
schießen, aber ich sah und hörte nichts, nur hie und da
raschelte eine erschreckte Maus im dürren Laube. Je weiter
ich pürschte, desto mehr schwoll mein Unmuth, und zuletzt
stieß ich in grimmer Wuth manch schweren gotteslästerlichen
Fluch aus. Mit einem solchen auf den Lippen trat ich an
eine kleine Blöße, die der Mond so hell beschien, daß die
Schatten am Rande des Waldes unheimlich tief und schwarz
waren, lieber den Boden hin zog sich einer dünner, leichter
Nebel, aus dem die schlanke Gestalt eines Kapitalhirscheu
hervorragte, ein stattlicher Kerl mit mächtig stolzem Geweih,
der langsam, fast geisterhaft geräuschlos, der Aesung nach-
zog und nur bisweilen den Grind emporhob, sich gegen
allenfallsige Gefahr sichernd. Wenn der nicht dein wird, dann
darf dich der Teufel in der Luft reiten, so lang er kann,
fluchte ich und knieete nieder. Ich zielte scharf und wollte
eben losdrücken, — da sagte eine tiefe grollende Stimme hart
neben mir: „Heh Bursche, was treibst denn Du da?" Ent-
setzt fuhr ich vom Boden auf, der Schuß donnerte ziellos
über die kleine Blöße hin, ich glaubte nicht anders, als eö
fei der Förster oder seine Leute. Aber die waren es nicht,
sondern ein wildfremder, großer, starker Kerl, mit pech-
schwarzem Haar und Bart und sonderbar stechenden Augen.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Mooskuh"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 45.1866, Nr. 1104, S. 75
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg