Zwei Bilder.
Ich stieg empor in reine Bergeslüfte,
lind wieder flieg ich zu der Tiefe Schauern
Durchwandert Hab' ich's Leben und die Grüfte;
Ich sah die Freiheit und die Kerkerniauern —
Und aus dem fluchbelad'neu Kerkerloch
Erfüllen noch zwei Bilder mich mit Trauern.
Der Erste saß am Fenster, kräftig, hoch
War die Gestalt, und sonnenbraun die Wangen,
Und seine dunklen Augen blitzten noch,
Und hingen mit unendlichem Verlangen
Am wildgezackten blauen Bergessaum,
Um den sich flüchtig weiße Wolken schwangen;
Als tvie ein wilder Vogel, welcher kaum
Jn's enge Gitterhäuschen ward gegeben,
So trotzig späht' er in der Lüfte Raum.
Der Zweite saß in dunkler Ecke neben,
Das Haupt gebeugt, die Augen blickten starr
Zu Boden ohne Glanz und ohne Leben;
Und seine Stirne war der Locken bar,
Und seine Hände zitterten, und griffen,
Als wie aus Goldesgier, ins Leere gar.
Ich fragte Beide, welche Schicksalstiefen
Sie hergebracht an diesen düstern Ort,
Und diese Worte sie zur Antwort riefen:
Der Erste sprach: „Ich war ein Wildschütz dort
Auf jener Berge lustigem Reviere,
Und fröhlich streift' ich durch die Felsen fort,
Und meine Kleidung war das Fell der Thicre.
Mein Wohnhaus ivar der dunkelgrüne Wald,
Und meine Freude meiner Gemsen ihre;
107
Und kam der Winter, mörderisch und kalt,
folgte ich des schlauen Wildes Schritten,
Und stieg herunter zu den Almen bald,
Und lebte still in den verlass'nen Hütten,
Bis mich der laute Frühling wieder rief
Zum Jagen aufwärts, in der Felsen Mitten,
Doch lang in mir schon das Verlangen schlief,
Zn beten wieder einmal in den Hallen
Des Kirchleins unten in dem Thale tief,
Und einmal zu der Eltern Grab zn wallen;
Und nieder stieg ich einst mit keckem Mnth,
Da bin ich in der Jäger Hand gefallen."
Der Zweite sprach: „Ich war ein junges Blut,
Als mich als Waise nieine Eltern ließen
Bei vielen Kästen, voll von Geld und Gut;
Ich wollte leben, und ich wollt' genießen,
Mir schien so eng das kleine Vaterstädtchen,
So kalt mein Gold, ich könnt' es ja nicht küssen;
D'rum sind sic fortgerollt, die gold'nen Rädchen,
Ans meinen Taschen und aus meinen Schränken,
Zn alten Juden, und zu schönen Mädchen;
Und meine Sorg' war Lieben nur, und Schenken,
Ich schöpfte all' mein Gut in dieses Sieb,
Da kam das Ende, eh' ichs mochte denken,
Und Alles floh mich, Gold und Glück und Lieb',
Sogar mein guter Engel floh behende,
Ich wurde ein Betrüger und ein Dieb —
Und dieser Kerker ist des Liedes Ende."
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Ich stieg empor in reine Bergeslüfte,
lind wieder flieg ich zu der Tiefe Schauern
Durchwandert Hab' ich's Leben und die Grüfte;
Ich sah die Freiheit und die Kerkerniauern —
Und aus dem fluchbelad'neu Kerkerloch
Erfüllen noch zwei Bilder mich mit Trauern.
Der Erste saß am Fenster, kräftig, hoch
War die Gestalt, und sonnenbraun die Wangen,
Und seine dunklen Augen blitzten noch,
Und hingen mit unendlichem Verlangen
Am wildgezackten blauen Bergessaum,
Um den sich flüchtig weiße Wolken schwangen;
Als tvie ein wilder Vogel, welcher kaum
Jn's enge Gitterhäuschen ward gegeben,
So trotzig späht' er in der Lüfte Raum.
Der Zweite saß in dunkler Ecke neben,
Das Haupt gebeugt, die Augen blickten starr
Zu Boden ohne Glanz und ohne Leben;
Und seine Stirne war der Locken bar,
Und seine Hände zitterten, und griffen,
Als wie aus Goldesgier, ins Leere gar.
Ich fragte Beide, welche Schicksalstiefen
Sie hergebracht an diesen düstern Ort,
Und diese Worte sie zur Antwort riefen:
Der Erste sprach: „Ich war ein Wildschütz dort
Auf jener Berge lustigem Reviere,
Und fröhlich streift' ich durch die Felsen fort,
Und meine Kleidung war das Fell der Thicre.
Mein Wohnhaus ivar der dunkelgrüne Wald,
Und meine Freude meiner Gemsen ihre;
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Und kam der Winter, mörderisch und kalt,
folgte ich des schlauen Wildes Schritten,
Und stieg herunter zu den Almen bald,
Und lebte still in den verlass'nen Hütten,
Bis mich der laute Frühling wieder rief
Zum Jagen aufwärts, in der Felsen Mitten,
Doch lang in mir schon das Verlangen schlief,
Zn beten wieder einmal in den Hallen
Des Kirchleins unten in dem Thale tief,
Und einmal zu der Eltern Grab zn wallen;
Und nieder stieg ich einst mit keckem Mnth,
Da bin ich in der Jäger Hand gefallen."
Der Zweite sprach: „Ich war ein junges Blut,
Als mich als Waise nieine Eltern ließen
Bei vielen Kästen, voll von Geld und Gut;
Ich wollte leben, und ich wollt' genießen,
Mir schien so eng das kleine Vaterstädtchen,
So kalt mein Gold, ich könnt' es ja nicht küssen;
D'rum sind sic fortgerollt, die gold'nen Rädchen,
Ans meinen Taschen und aus meinen Schränken,
Zn alten Juden, und zu schönen Mädchen;
Und meine Sorg' war Lieben nur, und Schenken,
Ich schöpfte all' mein Gut in dieses Sieb,
Da kam das Ende, eh' ichs mochte denken,
Und Alles floh mich, Gold und Glück und Lieb',
Sogar mein guter Engel floh behende,
Ich wurde ein Betrüger und ein Dieb —
Und dieser Kerker ist des Liedes Ende."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Zwei Bilder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 45.1866, Nr. 1108, S. 107
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg