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Ein symmetrischer Bürgermeister.

Weiner Mitbürger hoffe ich aber, daß diese letzte Bitte auch noch
erfüllt werde."

„Wie können Sie nur daran zweifeln, Herr Bürgermeister,"
sprach gerührt der Gerichtsschreiber und wollte nochmals versuchen,
die Todesgedanken des Stadtoberhauptes zu zerstreuen. doch
konnte er damit nicht zu Worte kommen. „Die Bitte", fuhr
der Kranke rasch fort, „welche ich an Sie zu richten habe,
besteht nun darin, daß Sie, Herr Müller, mir die große Liebe
erzeigen, von dem Leicheuconducte — ganz wegzubleiben."

„Aber — Herr Bürgermeister — !" rief Müller, sich beleidigt
vom Stuhle, auf dem er Platz genommen, erhebend.

„Lassen Sie mich Ihnen nur erst meine Gründe erklären",
begütigte ihn der Bürgermeister. „Sie kennen meinen strengen
; Sinn für Symmetrie, dem ich auch nach meinem Tode gern
noch gerecht werden möchte. Sie sind — ich muß im vorliegenden
Falle sagen: leider der Einzige hier in M., der von der Natur
! mit einem — Höcker begabt ist. Wäre noch Einer hier, so
hätte ich Ihnen diesen als Nebenmann gegeben; so aber bitte
ich Sie dringend, lieber Herr Müller, bleibe» Sie von dem
Zuge ganz weg, denn Sie werden wohl einsehen, daß Sie alle
Symmetrie stören würden."

Diese Zumuthung ging dem kleinen buckligen Gerichtsschreiber
doch über alle Erwartung. Ohne ein Wort des Abschiedes ver-
| ließ er zornig das Krankenzimmer und warf, alle Rücksichten
I vergessend, sogar noch die Thüre heftig zu, so daß er nicht mehr
! die begütigenden Worte des Bürgermeisters und dessen Hinweis
«uf die Entschädigung durch das Testament vernehmen konnte.

Nach einigen Tagen starb der Bürgermeister, aufrichtig
betrauert von den Bürgern, denen er trotz aller seiner Eigen-
[ thümlichkeiten werth und theuer war. Nur der Gerichtsschreiber
grollte noch und ließ sich gar nicht auf der Straße sehen,
als der Verstorbene genau nach dessen eigenen Anordnungen
von einem langen Zuge Leidtragender zu Grabe gebracht wurde.

Wiederum einige Tage später erfolgte die Eröffnung des
Testamentes, zu welcher auch der Gerichtsschreiber als Erb-
dlngesetzter mit berufen wurde. Zwar wollte er Anfangs gar
nicht hingehen, doch endlich siegte die in solchen Fällen gewiß
sehr leicht begreifliche Neugierde.

Der verstorbene Bürgermeister war vermögend gewesen
und hatte deßhalb so manches Legat ausgesetzt, von denen die
weiften auch noch nach seinem Tode der Leidenschaft für alles
Symmetrische Ausdruck gaben.

Die Stelle des Testamentes, worin des Gerichtsschreibers
gedacht wurde, lautete folgendermaßen:

„Item vermache ich dem Gcrichtsschrciber Carl Adolph Müller
fünfhundert Thaler, jedoch nur unter der ausdrücklichen
Bedingung, daß er sich von einem geschickten Meister einen
künstlichen Höcker für die rechte Schulterseite anfertigen lasse
und trage, damit alsdann wenigstens an seiner Gestalt der
Symmetrie nach Fug und Recht Genüge geleistet werde."

Der kleine Gerichtsschreiber war nicht wenig erbost, als
br dies hörte und erklärte kurzweg, daß er auf eine so schmach-
volle Erbschaft lieber gänzlich verzichte.

Der Gerichtsamtman», als Testamentsvollstrecker, nahm

Müller's Verzichtlcistnug kluger Weise nicht ohne Weiteres an,
sondern gab dem Schreiber acht Tage Bedenkzeit zu einem
wohlüberlegten Entschlüsse. Wie sehr er hier im Recht gehandelt,
wurde klar, als schon nach drei Tagen der Gcrichtsschrciber
seinen Grimm überwunden hatte und sich den Bedingungen zu
fügen bereit erklärte.

Wer aber jetzt nach M. kommt, der kann als lebenden
Beweis des bürgermeisterlichen Schönheitssinnes noch den nun
schon alt gewordenen Gerichtsschreiber Müller mit dem natürlichen

und dem künstlichen Höcker sehen als wandelndes Denkmal für
den seligen symmetrischen Bürgermeister. A. K-

Der Mikrokosmus im Makrokosmus.

Lehrer (bei der Jahresprüfung zum Schüler): „Hans,
sage mir: was ist der Mensch?" — Hans (nach einer Pause):
„Jeder Mensch ist — Steuerzahler!"

Desto besser.

Wie in allen Dorfkirchen, ist auch in der von Tiefeichen
die eine Seite für die Männer, die andere für die Frauen
reservirt. Während einer Predigt läßt sich plötzlich ein nicht
gerade leises Stimmengeflüster vernehmen. Der Pfarrer wendet
sich zur Seite der Frauen und sagt: „Ich warte bis der Lärm
zu Ende ist!" — Es scheint aber, daß dieses Mal das Vergehen
von der Seite der Männer ausgegangen war, denn eine alte
Bäuerin erhebt sich sofort und sagt in lebhaftem Tone: „Wir
machen ja keinen Lärm, die Männer sind's!" — Der Prediger

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein symmetrischer Bürgermeister"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Oberländer, Adolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Körperbau
Kyphose
Gerichtsschreiber
Testamentseröffnung
Torbogen
Erbe <Motiv>
Bürgermeister
Rückenfigur
Karikatur
Tod <Motiv>
Symmetrie <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 61.1874, Nr. 1524, S. 107
 
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