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Rothe
In der That zeigte dos lächelnde Mädchen scharfe, weiße
Zähuchen, doch schien dem Studenten dos Gebisscnwerden von
denselben nicht sehr schrecklich.
„Ach bitte, mein Herr!" klang es jetzt wie ein Silber-
glöckchcn zwischen den rothen Lippen hervor, „helfen Sic mir
ein wenig!" Der Gerufene eilte in den Hausgang hinein.
„Die Herren drinnen," sagte das Mädchen, dos beide Hände
und einen Arm voll Weinflaschen hatte, „hoben gar zu viel'
auf einmal bestellt, ich mußte eine Flasche drunten lassen im
Keller; dürfte ich Sie nicht ersuchen, mir dieselbe herauf zu
holen?" — „Gern! Sind Sie Grethe?" — „Ja, mein
Herr!" — „Gerne, liebe Grethe!" sagte der Jüngling und
holte die Flasche. — „Sic
sind sehr liebenswürdig, mein
Herr; geben Sie sie mir nur
hierher unter den Arm, damit
ich Alles zusammen hincin-
bringe!" — Gustav that,
wie ihm befohlen war. Als
er aber den weichen, runden
Arm berührte und den
Latz des weißen Schürzchcns
streifte, fuhr ihm ein süßer
Schauer durch die Adern,
und das warme Herzblut
schoß ihm in die Wangen.
Er schaute verzagt in des
Mädchens braune Augen,
aber diese blitzten ihn freund-
licher an. Da legte er leicht
seinen Arm um Grethe' s Hals
und küßte den lächelnden,
schmachtenden Mund der-
selben einmal, zweimal, drei-
mal. „Ei potz Donnerwet-
ter!" ries plötzlich eine
kreischende Stimme. Das
Mädchen eilte davon, und
Gustav sah sich einem kleinen,
dicken Mann gegenüber, der,
ihn grimmig betrachtend,
fortfuhr: „Ich habe heute
zum ersten Mal das Vergnügen, junger Mann, Sie unter
meinem Dache zu sehen, aber wenn Sic mir ans solche Art
kommen —" — „Verzeihen Sie, Herr Wirth, ich gehe ja schon!"
erwiderte Gustav und wollte davonschleichen. — „Wie, junger
Mann," machte der Wirth noch schärfer als zuvor, „nachdem
Sie meine Kellnerin geküßt haben, wollen Sic gehen, ohne meinen
Wein zu versuchen! Haben Sie denn gar keine Grundsätze?" —
„Ich habe kein Geld, Herr Wirth!" — „Kein Geld? Das ist
noch schlimmer!" sagte der Wirth verächtlich und drehte sich auf
dem Absatz herum. „Aber," machte er weiter und deutete auf
„Unschuld", die sich bei der Kußaffairc von Gustav's Schulter
auf den Trcppenknopf geflüchtet hatte, „da haben Sie eine schöne
Nasen.
Taube, — die würde mir passen; ich möchte diesen Abend meinen
Gästen gebratene Tauben in den Mund fliegen lassen —" —
„Sie wollten „Unschuld" braten?" — „Warum nicht? Ich gebe
Ihnen eine Flasche Wein dafür!" In demselben Augenblick öffnete
sich die Thüre des Wirthschaftszimmers, und als Gustav seine
Freunde jubelnd um die Flaschen sitzen sah und bemerkte, wie
einer derselben seinen Arm um Grcthe's Taille legte, da zog
cs ihn unwiderstehlich hinein, und er sagte mit finsterer Ent-
schlossenheit : „Ich nehme Ihre Flasche an!" — „Gustav!" ries
ihm die geängstete Taube nach:
„Gustav, gicb die Unschuld Dein
In nicht um geschmierten Wein!"
„ Um geschmierten Wein ?"
schrie der Wirth erbost. „Ha,
du unverschämtes Ding!"
Damit ergriff er das arme
Geschöpf, riß ihm ohne
Weiteres den Kopf ab und
verfolgte seine Todesznck-
ungen mit glänzenden Augen.
Darauf nahm er sein blaues
Snmmctküppchcn mit der
goldenen Quaste ab und
sagte mit einem frommen
Blick nach Oben: „O könnt'
ich jedem Verleumder meiner
Getränke also thun!"
Unterdessen trat Gustav
in die Weinstube und wurde
mit Jubel von den Studen-
ten empfangen. Zu seiner
Verwunderung siihlte er trotz
der Scene draußen den
Flügelschlag eines Vogels
auf der Achsel, welcher mit-
jubelte, aber ach, cs war
nicht die sattste Stintinc von
Unschuld, sondern das heisere
Gekrächze einer Dohle. —
Gustav erschrack in die
Seele hinein, und der
von Grethe gebrachte Wein
schmeckte ihm wie Blut. Am nächsten Tische saßen einige Hand-
werker mit ernsten, bekümmerten Mienen, weil sie schon am frühen
Morgen von den lieben Ihrigen sortgemußt — hinaus in's
feindliche Leben. Sic lauschten der Weisheit eines eleganten
Herrn, welcher auf der Brust seines Hemdes neben einigen
Fettflecken mehrere Glasbriüantcn funkeln ließ wie Sterne, und
welcher eine schwere, goldene Uhrkcttc von Messing trug, an der
aber keine Uhr war.
„Gold, Ihr Leute? Ich sage Euch, das Gold liegt ans
der Straße!" rief der elegante Herr. „Blank und bloß liegt
es ans der Straße, man braucht cs nur auszüheben! Die
Menschen sind aber zu faul, sich zu bücken —"
Rothe
In der That zeigte dos lächelnde Mädchen scharfe, weiße
Zähuchen, doch schien dem Studenten dos Gebisscnwerden von
denselben nicht sehr schrecklich.
„Ach bitte, mein Herr!" klang es jetzt wie ein Silber-
glöckchcn zwischen den rothen Lippen hervor, „helfen Sic mir
ein wenig!" Der Gerufene eilte in den Hausgang hinein.
„Die Herren drinnen," sagte das Mädchen, dos beide Hände
und einen Arm voll Weinflaschen hatte, „hoben gar zu viel'
auf einmal bestellt, ich mußte eine Flasche drunten lassen im
Keller; dürfte ich Sie nicht ersuchen, mir dieselbe herauf zu
holen?" — „Gern! Sind Sie Grethe?" — „Ja, mein
Herr!" — „Gerne, liebe Grethe!" sagte der Jüngling und
holte die Flasche. — „Sic
sind sehr liebenswürdig, mein
Herr; geben Sie sie mir nur
hierher unter den Arm, damit
ich Alles zusammen hincin-
bringe!" — Gustav that,
wie ihm befohlen war. Als
er aber den weichen, runden
Arm berührte und den
Latz des weißen Schürzchcns
streifte, fuhr ihm ein süßer
Schauer durch die Adern,
und das warme Herzblut
schoß ihm in die Wangen.
Er schaute verzagt in des
Mädchens braune Augen,
aber diese blitzten ihn freund-
licher an. Da legte er leicht
seinen Arm um Grethe' s Hals
und küßte den lächelnden,
schmachtenden Mund der-
selben einmal, zweimal, drei-
mal. „Ei potz Donnerwet-
ter!" ries plötzlich eine
kreischende Stimme. Das
Mädchen eilte davon, und
Gustav sah sich einem kleinen,
dicken Mann gegenüber, der,
ihn grimmig betrachtend,
fortfuhr: „Ich habe heute
zum ersten Mal das Vergnügen, junger Mann, Sie unter
meinem Dache zu sehen, aber wenn Sic mir ans solche Art
kommen —" — „Verzeihen Sie, Herr Wirth, ich gehe ja schon!"
erwiderte Gustav und wollte davonschleichen. — „Wie, junger
Mann," machte der Wirth noch schärfer als zuvor, „nachdem
Sie meine Kellnerin geküßt haben, wollen Sic gehen, ohne meinen
Wein zu versuchen! Haben Sie denn gar keine Grundsätze?" —
„Ich habe kein Geld, Herr Wirth!" — „Kein Geld? Das ist
noch schlimmer!" sagte der Wirth verächtlich und drehte sich auf
dem Absatz herum. „Aber," machte er weiter und deutete auf
„Unschuld", die sich bei der Kußaffairc von Gustav's Schulter
auf den Trcppenknopf geflüchtet hatte, „da haben Sie eine schöne
Nasen.
Taube, — die würde mir passen; ich möchte diesen Abend meinen
Gästen gebratene Tauben in den Mund fliegen lassen —" —
„Sie wollten „Unschuld" braten?" — „Warum nicht? Ich gebe
Ihnen eine Flasche Wein dafür!" In demselben Augenblick öffnete
sich die Thüre des Wirthschaftszimmers, und als Gustav seine
Freunde jubelnd um die Flaschen sitzen sah und bemerkte, wie
einer derselben seinen Arm um Grcthe's Taille legte, da zog
cs ihn unwiderstehlich hinein, und er sagte mit finsterer Ent-
schlossenheit : „Ich nehme Ihre Flasche an!" — „Gustav!" ries
ihm die geängstete Taube nach:
„Gustav, gicb die Unschuld Dein
In nicht um geschmierten Wein!"
„ Um geschmierten Wein ?"
schrie der Wirth erbost. „Ha,
du unverschämtes Ding!"
Damit ergriff er das arme
Geschöpf, riß ihm ohne
Weiteres den Kopf ab und
verfolgte seine Todesznck-
ungen mit glänzenden Augen.
Darauf nahm er sein blaues
Snmmctküppchcn mit der
goldenen Quaste ab und
sagte mit einem frommen
Blick nach Oben: „O könnt'
ich jedem Verleumder meiner
Getränke also thun!"
Unterdessen trat Gustav
in die Weinstube und wurde
mit Jubel von den Studen-
ten empfangen. Zu seiner
Verwunderung siihlte er trotz
der Scene draußen den
Flügelschlag eines Vogels
auf der Achsel, welcher mit-
jubelte, aber ach, cs war
nicht die sattste Stintinc von
Unschuld, sondern das heisere
Gekrächze einer Dohle. —
Gustav erschrack in die
Seele hinein, und der
von Grethe gebrachte Wein
schmeckte ihm wie Blut. Am nächsten Tische saßen einige Hand-
werker mit ernsten, bekümmerten Mienen, weil sie schon am frühen
Morgen von den lieben Ihrigen sortgemußt — hinaus in's
feindliche Leben. Sic lauschten der Weisheit eines eleganten
Herrn, welcher auf der Brust seines Hemdes neben einigen
Fettflecken mehrere Glasbriüantcn funkeln ließ wie Sterne, und
welcher eine schwere, goldene Uhrkcttc von Messing trug, an der
aber keine Uhr war.
„Gold, Ihr Leute? Ich sage Euch, das Gold liegt ans
der Straße!" rief der elegante Herr. „Blank und bloß liegt
es ans der Straße, man braucht cs nur auszüheben! Die
Menschen sind aber zu faul, sich zu bücken —"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Rote Nasen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 72.1880, Nr. 1797, S. 2
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg