IO Eine Fahrt in die Eisreqionen des Nordpols.
' Gefährten erfroren, mehrere wurden, bei nur augenblicklicher
; Abwesenheit vom Lager, von wilden Thieren überfallen und
! zerrissen und unsere kleine Schaar war schon auf elf zusam-
l mengeschmolzen. Und dennoch hielt Capitain Daring aus,
dennoch trieb er, trotz der einbrechenden Kälte nur gen Nor-
' den, immer gen Norden, bis wir uns, gegen Weihnachten hin,
in einer Region befanden, an die man sich wohl zurückerin-
l neni, die man aber unmöglich beschreiben kann.
Eine einzige öde Eisfläche, so weit das Auge reichte, und
auf ihr neblige Dämmerung, von keinem einzigen Strahle
; wärmenden Lichts erhellt; Winter, hoch im achtzigsten, jeden- !
falls mehr als halbneunzigsten Grad nördl. Breite (denn genau
konnten wir es nicht mehr bestimmen, da uns schon im 82.
! Grad des Quecksilber gefroren und der Thermometer so plötz-
lich und rasch gefallen war, daß das Glas in Stücken ging).
Und dabei kein Ziel vor uns, als die endlose Weite — der j
starre Eispunkt des Magnets — unbekannte Flächen — ent- j
setzlich in ihrem geheimnißvollen Dunkel — entsetzlicher aber
: fast noch die hinter uns liegende bahnlose Wildniß, die wir
! wieder zurück durchwandern mußten, wenn wir nicht, über
den Pol hinweg, einen Ausweg, und zwar südlich nach Spitz-
bergen fanden. — Südlich nach Spitzbergen — schon j
der Gedanke kann einem Bewohner der gemüßigten Zone das
Blut erstarren machen.
So kalt war es, daß wir, wenn wir uns einmal durch
heftiges Laufen und Springen nur einigermaßen zu erwärmen
suchten, förmlich Eis schwitzten, und das zum Thauen auf ein
schnell entzündetes Feuer gesetzte Trinkwasser kochte unten,
während sich oben schon wieder eine dünne Eiskruste bildete.
Keinen Augenblick durften wir dabei ausruhen oder auch nur
stille stehen, und das Beispiel eines unserer unglücklichen Kame-
eraden trug viel dazu bei, uns zu warnen und auf das Gefähr-
liche des Ausruhens aufmerksam zu machen. Dieser blieb näm-
lich nur einmal wenige Secunden stehen, ein paar jungen See-
hunden nachzusehen, die sich spielend die Eiswand hinabwälzten,
und war nachher nicht mehr im Stande, den Kopf wieder zu-
rückzudrehen, weil ihm die Halsmuskeln augenblicklich festfroren.
Und doch bestand unsere Kleidung, wie Sie sich auch wohl
denken können, ganz aus Pelzen, und zwar aus einem einzigen,
1 so verfertigten Stück, daß die Beine und Arme nur an ihren !
äußersten Extremiläten aus der Umhüllung vorschauten und
! uns dadurch eher das Ansehen von Fledermäusen als Eben- j
bildern Gottes gaben. Eine hölzerne, in- und auswendig mit
seinem Pelz verbrämte Brille schützte unser Gesicht vor der
Luft, und jeder von uns trug, da wir in solcher Tracht mit
Schießgewehren nicht wohl hanthieren konnten, eine tüchtige
Harpune im rechten Fausthandschuh, um sowohl gegen raub-
gierige wilde Bestien geschützt zu sein, als auch die, häufig
uns begegnenden Eisbewohner, besonders Seekälber und Meer-
schweine zu erlegen. Das Fleisch dieser Thiere und die Milch
der Seekühe, die wir vortrefflich und nur etwas schwer zu
melken fanden, war auch in der That das einzige, mit dem
wir die Bedürfnisse unseres Magens befriedigen konnten.
So schneidend ging übrigens hier die Luft, daß sie uns,
besonders am 24. December, wo wir einen reinen haar-
scharfen Nordostwind bekamen, das Eisen — da sich die Kälte
besonders angreifend gegen Metall zeigt, im wahren Sinn des
Worts von den Stangen schnitt, so daß wir nur das stumpfe
Holz in der Hand hielten.
Daß hier keine menschlichen Wesen im Freien auf längere
Zeit aushalteu können, davon überzeugten wir uns mit jedem
Tage mehr und mehr, und selbst Capitain Daring, der ge-
wiß nicht vor kleinen Schwierigkeiten zurückbebte, schmieg,
wenn die Leute, was jetzt immer häufiger geschah, von einem
raschen Rückzug sprachen. Ernstlich wagte es aber doch Keiner,
sich ihm zu widersetzen, und am nächsten Morgen d. h. nach
kurzer Raft bei einem spärlichen Feuer, das wir von in Thran
getränkten Wallroßknochen entzündet hatten, wollten wir richtig
schon wieder, so viel die Mannschaft auch dagegen murrte,
auf's Neue gen Norden aufbrechen, als ich zu unserer Linken
einen dünnen Rauch zu erkennen glaubte, der gerade aus dem
Eise aufzusteigen schien.
Die Dämmerung ließ uns den Gegenstand nicht genau
erkennen, doch hielt ihn Capitain Daring für wichtig genug,
unsere Bahn augenblicklich dorthin zu lenken, und nach etwa
halbstündigem Marsch erreichten wir endlich -den Platz, wo wir
zu unserm Erstaunen keineswegs ein schon fest gehofftes Lager
menschlicher Wesen, sondern dieselbe solide Eisfläche fanden,
aus der nur, durch eine kaum fauststarke Oeffnung ein dünner
blauer übelriechender Qualm langsam hervorkräuselte, über
dessen Entstehung sich nirgends eine Ursache erkennen ließ.
Schon zweimal waren wir darum herumgegangen und
endlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Rauch jedenfalls
von einem uutereisischen Feuer herrühren müsse; ja, Capitain
Daring hatte eben die Behauptung zwischen den Lippen seiner
Pelzlarve hervorgemurmelt: „er glaube, dies sei der nörd-
lichst gelegene Vulkan Nordamerikas," als er plötzlich und zu
unserem nicht geringen Schrecken mit einem lauten Aufschrei
vor unseren sichtlichen Augen förmlich in den Boden — oder
das Eis vielmehr — hinein, verschwand.
Wie wir später fanden, war er auf eine, im Anfang gar
nicht beachtete dunkelblaue Stelle getreten, die unter seinem
Gewicht nachgab und ihn unseren entsetzten Blicken entführte.
Durch zwei, sich gleich stark entgegenwirkende Gefühle auf
das Unwiderstehlichste bewegt, blieben wir Uebrigen regungslos
auf unseren Stellen stehen — der Trieb, dem Capitain beizu-
springen, warf uns nämlich nach vorn, und das natürliche und
fast unwillkührliche Entsetzen schreckte uns mit der nämlichen
' Gefährten erfroren, mehrere wurden, bei nur augenblicklicher
; Abwesenheit vom Lager, von wilden Thieren überfallen und
! zerrissen und unsere kleine Schaar war schon auf elf zusam-
l mengeschmolzen. Und dennoch hielt Capitain Daring aus,
dennoch trieb er, trotz der einbrechenden Kälte nur gen Nor-
' den, immer gen Norden, bis wir uns, gegen Weihnachten hin,
in einer Region befanden, an die man sich wohl zurückerin-
l neni, die man aber unmöglich beschreiben kann.
Eine einzige öde Eisfläche, so weit das Auge reichte, und
auf ihr neblige Dämmerung, von keinem einzigen Strahle
; wärmenden Lichts erhellt; Winter, hoch im achtzigsten, jeden- !
falls mehr als halbneunzigsten Grad nördl. Breite (denn genau
konnten wir es nicht mehr bestimmen, da uns schon im 82.
! Grad des Quecksilber gefroren und der Thermometer so plötz-
lich und rasch gefallen war, daß das Glas in Stücken ging).
Und dabei kein Ziel vor uns, als die endlose Weite — der j
starre Eispunkt des Magnets — unbekannte Flächen — ent- j
setzlich in ihrem geheimnißvollen Dunkel — entsetzlicher aber
: fast noch die hinter uns liegende bahnlose Wildniß, die wir
! wieder zurück durchwandern mußten, wenn wir nicht, über
den Pol hinweg, einen Ausweg, und zwar südlich nach Spitz-
bergen fanden. — Südlich nach Spitzbergen — schon j
der Gedanke kann einem Bewohner der gemüßigten Zone das
Blut erstarren machen.
So kalt war es, daß wir, wenn wir uns einmal durch
heftiges Laufen und Springen nur einigermaßen zu erwärmen
suchten, förmlich Eis schwitzten, und das zum Thauen auf ein
schnell entzündetes Feuer gesetzte Trinkwasser kochte unten,
während sich oben schon wieder eine dünne Eiskruste bildete.
Keinen Augenblick durften wir dabei ausruhen oder auch nur
stille stehen, und das Beispiel eines unserer unglücklichen Kame-
eraden trug viel dazu bei, uns zu warnen und auf das Gefähr-
liche des Ausruhens aufmerksam zu machen. Dieser blieb näm-
lich nur einmal wenige Secunden stehen, ein paar jungen See-
hunden nachzusehen, die sich spielend die Eiswand hinabwälzten,
und war nachher nicht mehr im Stande, den Kopf wieder zu-
rückzudrehen, weil ihm die Halsmuskeln augenblicklich festfroren.
Und doch bestand unsere Kleidung, wie Sie sich auch wohl
denken können, ganz aus Pelzen, und zwar aus einem einzigen,
1 so verfertigten Stück, daß die Beine und Arme nur an ihren !
äußersten Extremiläten aus der Umhüllung vorschauten und
! uns dadurch eher das Ansehen von Fledermäusen als Eben- j
bildern Gottes gaben. Eine hölzerne, in- und auswendig mit
seinem Pelz verbrämte Brille schützte unser Gesicht vor der
Luft, und jeder von uns trug, da wir in solcher Tracht mit
Schießgewehren nicht wohl hanthieren konnten, eine tüchtige
Harpune im rechten Fausthandschuh, um sowohl gegen raub-
gierige wilde Bestien geschützt zu sein, als auch die, häufig
uns begegnenden Eisbewohner, besonders Seekälber und Meer-
schweine zu erlegen. Das Fleisch dieser Thiere und die Milch
der Seekühe, die wir vortrefflich und nur etwas schwer zu
melken fanden, war auch in der That das einzige, mit dem
wir die Bedürfnisse unseres Magens befriedigen konnten.
So schneidend ging übrigens hier die Luft, daß sie uns,
besonders am 24. December, wo wir einen reinen haar-
scharfen Nordostwind bekamen, das Eisen — da sich die Kälte
besonders angreifend gegen Metall zeigt, im wahren Sinn des
Worts von den Stangen schnitt, so daß wir nur das stumpfe
Holz in der Hand hielten.
Daß hier keine menschlichen Wesen im Freien auf längere
Zeit aushalteu können, davon überzeugten wir uns mit jedem
Tage mehr und mehr, und selbst Capitain Daring, der ge-
wiß nicht vor kleinen Schwierigkeiten zurückbebte, schmieg,
wenn die Leute, was jetzt immer häufiger geschah, von einem
raschen Rückzug sprachen. Ernstlich wagte es aber doch Keiner,
sich ihm zu widersetzen, und am nächsten Morgen d. h. nach
kurzer Raft bei einem spärlichen Feuer, das wir von in Thran
getränkten Wallroßknochen entzündet hatten, wollten wir richtig
schon wieder, so viel die Mannschaft auch dagegen murrte,
auf's Neue gen Norden aufbrechen, als ich zu unserer Linken
einen dünnen Rauch zu erkennen glaubte, der gerade aus dem
Eise aufzusteigen schien.
Die Dämmerung ließ uns den Gegenstand nicht genau
erkennen, doch hielt ihn Capitain Daring für wichtig genug,
unsere Bahn augenblicklich dorthin zu lenken, und nach etwa
halbstündigem Marsch erreichten wir endlich -den Platz, wo wir
zu unserm Erstaunen keineswegs ein schon fest gehofftes Lager
menschlicher Wesen, sondern dieselbe solide Eisfläche fanden,
aus der nur, durch eine kaum fauststarke Oeffnung ein dünner
blauer übelriechender Qualm langsam hervorkräuselte, über
dessen Entstehung sich nirgends eine Ursache erkennen ließ.
Schon zweimal waren wir darum herumgegangen und
endlich zu der Ueberzeugung gelangt, daß der Rauch jedenfalls
von einem uutereisischen Feuer herrühren müsse; ja, Capitain
Daring hatte eben die Behauptung zwischen den Lippen seiner
Pelzlarve hervorgemurmelt: „er glaube, dies sei der nörd-
lichst gelegene Vulkan Nordamerikas," als er plötzlich und zu
unserem nicht geringen Schrecken mit einem lauten Aufschrei
vor unseren sichtlichen Augen förmlich in den Boden — oder
das Eis vielmehr — hinein, verschwand.
Wie wir später fanden, war er auf eine, im Anfang gar
nicht beachtete dunkelblaue Stelle getreten, die unter seinem
Gewicht nachgab und ihn unseren entsetzten Blicken entführte.
Durch zwei, sich gleich stark entgegenwirkende Gefühle auf
das Unwiderstehlichste bewegt, blieben wir Uebrigen regungslos
auf unseren Stellen stehen — der Trieb, dem Capitain beizu-
springen, warf uns nämlich nach vorn, und das natürliche und
fast unwillkührliche Entsetzen schreckte uns mit der nämlichen
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Fahrt in die Eisregionen des Nordpols"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 8.1848, Nr. 170, S. 10
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg