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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Graul, Richard: Einige Bemerkungen über die neueste figürliche Porzellanplastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0129

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Die vier Jahreszeiten. Tafelaufsatz von Lärche. Sevres

EINIGE BEMERKUNGEN ÜBER DIE NEUESTE FIGÜRLICHE

PORZELLANPLASTIK

Von Richard Graul

WENN nicht alle Zeichen trügen, regt sich seit
einigen Jahren auf dem Gebiete der Porzellan-
plastik neues künstlerisches Leben. Die fast
ein Jahrhundert lang vernachlässigte Figurenplastik
zeigt verheißungsvolle Anfänge einer neuartigen, von
der Tradition des achtzehnten Jahrhunderts unab-
hängigen Kunst.

Die Figurenplastik des Meißener Barocks und
Rokoko, die geistreiche Kunst der süddeutschen
Fabriken in den sechziger Jahren des achtzehnten
Jahrhunderts repräsentiert die klassische Periode der
Porzellanplastik. Die darauf folgende feine, mit der
Antike und bürgerlichem Sentiment spielende Figuren-
plastik von Sevres und anderer Manufakturen, wie
der von Hoechst und Ludwigsburg, von Niederwiller
und Capo di Monte die ist schon bei aller

Anmut der Form und Delikatesse des Dekors die
Nachblüte einer frischeren und reicheren Kunst-
vergangenheit. Dann vernichtete die frostige Pracht
des Empire, was noch an origineller Erfindung in
der Porzellanplastik lebte: der kühle Ernst ihrer alle-
gorischen Gestalten, die sklavische Nachahmung an-
tiker Vorbilder raubte ihr alle Naivetät und Laune.
Und als sich mit der sparsamen Biedermeierei die
Mündigkeit des dritten Standes in allen Geschmacks-
fragen meldete, da bedurfte es nur noch des in-
dustriellen Aufschwungs, auf den das verflossene
Jahrhundert so stolz ist, um die einst blühende Kunst
ganz zu vernichten. Denn ein ohne künstlerischen
Ehrgeiz rücksichtslos demokratisierender Industrialis-
mus hat uns dann, speziell in der Produktion der
bayerischen, thüringischen und böhmischen Porzellan-
fabriken, mit jener Flut kunstgewerblicher Nichtig-
keiten überschwemmt, die als Massenartikel exportiert

Kunstgewerbeblatt. N. F. XIX. H.7

werden und deren einziges Verdienst die Zerbrech-
lichkeit der Ware ist. Noch heute, trotz sehr an-
erkennungswerter Besserungsversuche Einzelner, ge-
hören diese alljährlich auf den Leipziger Engrosmessen
zuhauf getürmten Stapelwaren, die in die ganze Welt
gehen — made in Germany — zu den künstlerisch
rückständigsten Dingen, die unsere Großindustrie auf
den Markt wirft. Diese Waren sind im allgemeinen
heute nicht besser, nur billiger — als vor Jahrzehnten.
Sie illustrieren die künstlerische Anspruchslosigkeit
weiter und weitester Kreise. Diese Galanterien
charakterisieren so deutlich die Formlosigkeit unserer
Kunstkultur und eine wahrhaft kunstfeindliche Speku-
lation des Handels auf den Ungeschmack, daß mit
allen Mitteln der Volksbildung dagegen angekämpft
werden muß. Was nützt der moderne Kreuzzug um
die Kunst für das Volk, — die Kunst in allem —
wenn es in der Praxis noch so mit ihr aussieht!

Es ist ein echter Hererogeschmack, auf dessen
geschäftliche Ausbeute in Südamerika und Australien
unsere Exporteure stolz sind, und es ist leider derselbe
rechte Hererogeschmack, der auf den Nipptischen
weitaus der meisten gutbürgerlichen Einrichtungen
empfindsamer Hausfrauen jeden Standes sich breit
macht. Der Umsatz in diesem mit wenigen Aus-
nahmen geringwertigen Kram ist so außerordent-
lich groß, die Verbreitung der Waren so universell,
daß jeder Versuch, diese künstlerische Rückstän-
digkeit der volkstümlichen Keramik zu beheben,
aussichtslos erscheint. In der Tat, es gehört kein
geringer Mut dazu, gegen diesen Strom einer fast
alle Schichten der Gesellschaft durchdringenden
Unkultur zu schwimmen. Wie viele Künstler,
Fabrikanten, Verkäufer, die zuversichtlich im Glauben

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