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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 12,2.1899

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1899)
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Avenarius, Ferdinand: Begeisterung und Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7958#0183

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Wegeislermig und Ikrilik.

Wenn einst ein Schriftforscher der Zukunft auf das kritische Wesen
zurückblickt, das die Jungen unsrer Tage betrieben haben, so wird er ihr
Heer hauptsächlich auf zweierlei Art beschäftigt sehn. Einmal im Kampf
gegen den äußern Feind — da halten sie alle so ziemlich zusammen,
und wenn sie zu Fehde- und Kriegszügen gegen die Burgen unehrlicher
Großer und die Städte ehrlicher Spießer ziehn, springt manche Thüre
auf, sei's von Geschossen, sei's schon vom Trarah. Jn der, sagen
wir, innercn Politik des Heeres jedoch herrscht weniger Einigkeit. Jn
Fähnlein sondern sie sich da, und die Hauptarbeit einer jeden Mannschaft
ist die: sie heben einen Schönen und Klugen aus ihrer Mitte auf einen
Schild und dann den Schild mit seiner köstlichen Last gestreckten Armes
womöglich noch höher, als man's im Nebenfühnlein kann, auf daß seine
Helmzier leuchte über allem Volk. Jst der betrefsende Zukunftslitcrat
ein grämlicher Mensch, so wird er nun von Klüngelwesen reden. Hat
er mehr Humor und— ist er gerechter, so wird er vielleicht von dem
erstaunlichen Anwachsen der Begeisterungsfähigkeit in der Kritik
unsrer Tage sprechen.

Denn ganz erstaunlich angewachsen ist sie. Will man's bestreiten,
so erklär' ich mich hierdurch ausdrücklich bereit, von führenden und we-
nigstens zum Teil auch von uns respektierten Schriftstellern, wie Bahr,
Bierbaum, Conrad, Dehmel (um nur im Anfang vom ABC zu bleiben)
eine Anzahl von Proben aus Buch-Besprechungen und ähnlichen Stücken
vorzulegen, die von einem kritisch veranlagten Kopfe nur als Ausrufe
feuriger Begeisterung zu begreifen sind. Gehen wir zu den kleineren
unter den jungen, so wird die Gegend wild: ohne Superlative geht's
kaum mehr, Ausrufungszeichen verdrängen beinah die Punkte, und Punkte
trcten an Stelle von Buchstaben, wie Schluchzer und Juchzer an Stelle
von Worten treten. Es ist schon weniger Begeisterung, es ist schon mehr
Verzücktheit. Von einem Abwägen, cinem Zweifeln an der Zuständigkeit
des eignen Urteils, einem Anerkennen verschiedener Standpunkte, einem

Kuntzwart 2. Iuncheft
 
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