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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 2
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Lichtwark, Alfred: Die Geschichte der Bildnismalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0031

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Lweites Gktoberbekt 1895.

— - -'....———-H)

Die Gesckiebte der Kildnismalerei.

Bildnismalerei ist die eigentliche historische
Kunst. Sie ist immer Dokument, selbst wo
sie es nicht sein möchte. Sie kann nichts
verhüllen und nichts verbergen. Jede Größe und jede
Schwäche des Geschlechts, dem sie dient, muß sie an
den Tag bringen. Die Geschichte der Bildnismalerei
ist wesentlich Kulturgeschichte. Sie lehrt uns am un-
mittelbarsten, was jedes Geschlecht war oder was es
scheinen wollte. Deshalb kann von einer Entwicklung
der Bildnismalerei nicht die Rede sein. Es sindet im
Grunde kein Fortschreiten, keine Steigerung statt,
sondern ein immer wiederholtes Abbrechen und wieder
von vorn Beginnen. Jede Generation hat ihr eigenes
Jdeal und sucht es mit eigenen Mitteln auszudrücken.

Die neuere Bildnismalerei beginnt mit der Mor-
genröte der heutigen Kultur sast gleichzeitig in Jtalien
und im Norden. Am interessantesten sind die An-
sänge in der blendenden nordischen Renais-
sance der Niederlande zu Ansang des fünszehnten
Jahrhunderts. Der erste Bildnismaler, der die äußer-
sten Grenzen seiner Kunst ermessen hat, ist Jan
van Eyk.

Er löst die Gattung aus dem epischen Gesamt-
kunstwerk des Altarbildes los. Aus seinem berühmten
Genter Altar ist das Bildnis jedoch noch gebunden.
Stister und Stifterin knien im Gebet vor ihren Schutz-

Der nachstehende Vortrag wurde zur Zeit der
großen Hamburger Ausstellung im Hamburger Amateur-
photographenvereine gehalten.

^-

patroncn. Das Bildnis des Kanzlers Rolin im Louvre
und das herrliche kleine Mönchsbildnis im Berliner
Museum rücken das Bildnis in die ideale Sphäre der
Legende. Rolin kniet in einem herrlichen Turmgemach
vor der thronenden Madonna, und hinter ihnen öffnet
sich der Altan aus die großartigste Landschast, die je
gemalt wurde. Auf dem Berliner Bilde besucht ein
Karthäusermönch die Jungsrau in ihrem himmlischen
Schloß. Die heilige Barbara, seine Schutzpatronin,
stellt den Knieenden der Himmelskönigin vor, die mit
dem Christkind auf dem Arme gerade auf den Altan
heraustritt. Durch die grauen Bogen lacht wieder
eine herrliche Landschaft heraus. — Feierlich stehen
aus dem Londoner Bildnis des Arnolfini, des Agen-
ten der Medici in den Niederlanden, Braut und
Bräutigam in ihrem reichen Gemach neben einander,
und in beteuernder Gebärde hält der „Mann mit den
Nelken" in Berlin das Symbol der Treue hoch.
Selten erscheint ein so einsaches Motiv, wie auf dem
Porträt des Bildnisses von Arnolsini in Berlin. Man
sieht, das Bildnis ist etwas Neues, bedars noch der
Motivierung.

Hundert Jahre später malt Holbein seinen Kauf-
mann Georg Gisze des Berliner Museums. Er steht in
seinem Kontor, umgeben von allen Geräten, die ein
Kaufmann braucht, sogar die Kugel mit dem Bindegarn
mangelt nicht. Der Hintergrund religiöser Bezieh-
ungen fehlt vollständig. Der Dargestellte ist nicht
^ emporgehoben über sein alltägliches Leben, sondern
 
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