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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 4
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Bie, Oscar: Gesunde und kranke Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0063

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Lweites Oovemberbett tSSZ.

4. Dekt.

Erscheint

Derausgeber:

Ferdinand Nvennrius.

! Vierteljährlich 2ps Mark.

9. Zadrg.

Gesunde und krnuke Ikunst.

in in weiten Kreisen bekannter Philosoph,
Julius Dubor, hat neulich ein Buch heraus-
gegeben, ein Buch stark polemischen Jnhalts,
wie auch der Titel „Jenseits vom Wirklichen" zu
verstehen ist, in dem sich ein Abschnitt mit „Kunst-
siechtum und Gesundheit" beschästigt. Das Buch ist
so ehrlich geschrieben, daß man in unserer Zeit, in der
die Ehrlichkeit nicht die erste Eigenschaft der Bücher
zu sein pslegt, mit besonders sympathischen Gesühlen
an die Thesen, die der Verfasser verficht, herantreten
würde, wenn es nur irgend anginge. Aber es geht nicht
an, es geht nicht, weil feine Theorien nicht nur un-
richtig, sondern sogar gefährlich sind. Und da sein
Jrrtum ein typischer ift und die Richtigstellung dieses
Jrrtums für unser ganzes Kunstleben von großer
Bedeutung erscheint, so wollen wir einmal, von die-
sem Buche ausgehend, versuchen, die nicht mehr neue
Frage nach Gesundheit und Krankheit der Kunst recht
klar und schlicht zu beantworten.

Duboc ftellt den Schöpfungsakt des Kunstwerkes
mit Recht dem Schöpsungsakt der Natur an die
Seite. Er schließt nun daraus, daß dasjenige Kunft-
werk am gesündesten sei, welches das Lebensprinzip
am kräftigsten offenbare. Eine Mißgeburt in der
Kunst sei nicht anders wie eine im Leben. Ein Kunst-
werk könne wohl das Abstoßende in einem gewissen
Rahmen verkörpern, aber es müsse, um gesund zu
heißen, wenigstens im Ganzen das Leben darstellen,
sowie ein vielleicht mit einem Buckel geborener

Mensch deswegen noch nicht lebensunfähig zu sein
braucht.

Man wird hier gleich fragen: was meint der
Philosoph mit dem „Leben"? Erstens müßte nach
dieser Theorie, wie der schönstgestaltete Mensch, auch
dasjenige Kunstwerk das Jdeal sein, in welchem
nichts als Leben und Lebenssreude, keine Spur von
den „häßlichen" Dingen dieser Welt waltete. Es ist
klar, daß diese Kunst sich schlasen legen könnte.

Zweitens: was ist eigentlich dieses „Leben"?
Der Philosoph giebt uns seine Beispiele. Er lehnt
Hauptmanns „Hannele" ab, weil es nichts als die
Darstellung eines in Qualen erduldeten Todes sei,
und stellt Hauptmanns „Weber" darum höher, weil
das Lebensprinzip der Webergruppe, indem sie sich
zum Schluß gegen das Militär behauptet, ge-
rettet sei.

Natürlich find hier zwei Fehler gleich aufzu-
decken, aber nur in p>a.rentlle3i. Die „Hannele"-
Dichtung zeichnet sich ja gerade dadurch aus, daß sie
dem Tode Leben giebt: sie setzt die herrlichen Phan-
tasievorstellungen eines armen sterbenden Müdchens
in Wirklichkeit um, sie lehrt die erlösende und er-
quickende Macht der menschlichen Phantasie gegen-
über den nackten Leiden des Tages, sie stellt also
nicht den Tod, sondern die Befreiung vom Tode dar
in einer unseren modernen Vorstellungen zugänglichen
Form. Und dann kann man Hauptmann nicht beur-
teilen, wenn man die „Weber" als Lebensprinzip-

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