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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 9.1895-1896

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Heft 9
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Wittich, Manfred: Gut Deutsch!
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https://doi.org/10.11588/diglit.11730#0143

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Lrsles Fcbruarbell 1896

9. Dekt.


Derausgeber:

Ferdinaild Avennrius.

9. Zabrg.

Gut Deutsek!

ann man in Deutschland noch deutsch reden
und deutsch schreiben? Ernste Ersahrungen
am eigenen Leibe zwingen uns, diese Frage
zu verneinen.

Unter diesem Zustand, den zahlreiche Verbote
von Büchern und Bühnenaufführungen sowie Preß-
prozesse aus den letzten Jahren deutlich genug illu-
strieren, leidet nach unserem Erachten das ganze
Volksleben, leiden vornehmlich aber die redenden Künste.

Lediglich diese letztere Seite, die Verderbnis der
redeilden Künste bezüglich ihres Jnhalts und ihrer
Form, soll mich hier beschästigen.

Jch greise einen Fall heraus, wie er ähnlich
schon öfter dagewesen ist, mich auf die Kunst des
öffentlichen Vortrags zunächst beschränkend. Da giebt
sich z. B. einer nach Jahrzehnte langem liebevollem
Studium der Geschichte der Deutschen Reformation
alle mögliche Mühe, ein vollsastiges, lebendiges Bild
der Bauernkämpfe jener Zeit einer Hörerschast aus
dem Volke zu entwerfen. Jede seiner Aufstellungen
enthült quellenmäßig belegtes Material, seinem Stoff
aus der Zeit der deutschen Renaissance paßt der
Redner auch die Form seiner Darstellung mit ehr-
lichem Bemühen an; diese gestaltet er aus Stilrück-
sichten und in Hinsicht aus seine Hörerschaft derb,
holzschnittartig, um mit Wilhelm Grimm zu reden. Er
giebt Aussprüche Luthers, Huttens und anderer Kämpen
jener bewegten Zeit philologisch-gewissenhast buchstäb-
bich, nicht nur wörtlich, wieder. Da sitzt aber an

einem Nebentisch der Vertreter der Ordnungsbehörde;
der hat nach wohlgeleistetem Rekrutendrill als einstiger
Unterossizier auf Grund seines Zivilversorgungs-
scheines die Stelle eines Kriminalwachtmeisters er-
halten und amtet nun als staatlicher Zensor und Kri-
tiker über ein Kunstwerk. Denn als solches darf ich
doch wohl cinen öffentlichen Vortrag betrachten, wenn
er auch beanspruchen dars, zugleich als eine wissen-
schastliche Leistung angesehen zu werden.

Nun nimmt nicht selten die Sache solgenden
Verlaus. Der Redner hat etwa eine renaissance-
müßige derbe Wendung Luthers, Huttens oder eines
anderen buchstäblich citiert, der diensteisrige Beamte
aber hat überhört, daß Luther oder Hutten ihre
Meinung sagen, nicht der Reserent. Der kritische
Ausspruch Huttens bezog sich etwa aus einen deut-
schen Fürsten der Resormationszeit, aber unser pslicht-
eisriger Beamter nimmt an, er gehe aus einen deut-
schen Fürsten unserer Tage.

Nun ist Strasmandat der Polizei oder Anklage
aus Z 360, 11 des Reichsstrasgesetzbuches („oder ruhe-
störenden Lärm oder groben Unsug verübt") oder aus
Z 95 (Majestätsbeleidigung) sast unausbleiblich. Ein
sreisprechendes Urteil gehört, wie die Dinge heute in
Deutschland stehen, zn den Ausnahmen.

Wie die Sachen stehen, gehört es aber auch zu den
Seltenheiten, daß einem Vortrag eines wissenschastlich
und ästhetisch gebildeten Mannes gegenüber der amts-
waltende Polizeikritiker seiner Ausgabe voll ge-

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