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Krumm, Carolin; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Der Hasefriedhof in Osnabrück: der Friedhof als Garten ; zur Entstehung, Konzeption und Entwicklung des Osnabrücker Friedhofes in der Hasetorvorstadt — Hameln: Niemeyer, Heft 19.2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.51268#0009
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tes, detailliertes Bild des Osnabrücker Hasefried- bzw. alten Haseto-
tenhofes zu entwerfen, das nicht nur das optische Erscheinungs-
bild der Anlage, die Wirkung und Bedeutung seiner Grabmale und
Grabstätten als vielmehr auch zum Funktionieren notwendige,
wenn auch unauffälligere Inventare und Strukturen zu rekonstruie-
ren versucht. Zwangsläufig steht somit die Auswertung der Grab-
anlagen, ihrer Gestaltung und Verteilung gleichbedeutend neben
derjenigen zur vegetabilen Ausgestaltung der Gräber und gärtneri-
schen Gestaltung der Gesamtanlage oder aber den Rekonstruktio-
nen zum Wegesystem und zur Verteilung der Brunnen.
Vom Grabfeld zum Kirchhof
Nach der Aussage archäologischer, sehr eindeutiger Befunde
waren bereits die ältesten fassbaren Bestattungen Mitteleuropas1
keineswegs zufällige, auf ihre Örtlichkeit kaum bedachte Niederle-
gungen, sondern zumeist - wenn auch nach der Kulturzugehörig-
keit in ihren Sitten differierende - regelrechte Bestattungen, die
nach festgefügten Traditionen durchgeführt wurden. Nach der
Anlage der Gräber in riesigen Feldern oder kleinen Gruppen, in
enger Siedlungsanbindung oder lockerer Entfernung, als Körper-
oder Brandbestattung, Flach- oder Hügelgrab unterscheidet noch
heute die moderne Archäologie ihre Kulturen, die zuweilen nach
der charakteristischen Grabform ihren jeweiligen Namen erhielten
(z.B. Megalith-Kultur, Hügelgräber-Bronzezeit, Urnenfelderkultur
etc.). Bereits damals waren die Schemata der Niederlegungen so
festgefügt, dass Abweichungen von der dominierenden Ausrich-
tung der Grablege, der Körperhaltung, -läge oder der Grabform
heute als Hinweise auf soziale Randgruppierungen oder aber
gesellschaftliche Sonderstellungen gewertet werden können.
Einen regelrechten Einschnitt bedeutete erst die Erstarkung der
christlichen Kirche in historischer Zeit, da sich die Bestattungen
fortan um die Sakralbauten der Siedlungen und ersten Städte
gruppierten. Mit dem forcierten Trend der Stadtbefestigungen seit
dem ausgehenden 12. und frühen 13. Jahrhundert war damit
zugleich der Beginn eines Raumproblems gegeben, da den altstäd-
tischen Kirchen trotz wachsender Einwohnerzahl der Städte keine
Erweiterungsmöglichkeit ihrer von Wohnbebauung eng einge-
grenzten Kirchfriedhöfe blieb. So entwickelte sich v.a. bei den ein-
wohnerstarken Flächenstädten allmählich eine Trennung der
bevorzugten Bestattungen im engsten Kirchenumfeld von den
Armenbestattungen auf den Äckern vor der Stadt heraus, zu
denen allerdings auch Personen jeden Standes ohne Bürgerrecht
zählten. Mit den schwunghaft ansteigenden Einwohnerzahlen im
12. Jahrhundert wuchs zwangsläufig das Problem einer hygieni-
schen Bestattung, zumal stetig wiederkehrende Seuchen und Epi-
demien das regelmäßige Auffüllen der offenen Grabgruben als
hinderliche, wenn nicht überflüssige Verrichtung unterstrichen.
Nach historischen Niederschriften zu folgern läuteten die städti-
schen Totenglocken zu Pestzeiten unentwegt, so dass man nicht
selten die Toten eines Tages am Abend zur Stadt hinauskarrte, um
sie dann - in Leinentuch gebunden - ins Massengrab zu werfen.
Die weiten Grabgruben blieben während dieser Zeiten fast durch-
weg geöffnet, so dass in der Regel eine Schicht ungelöschten
Kalks die einzige Maßnahme war, um die menschliche Verwesung
einerseits zu forcieren, aber auch die dabei entstehenden Bakte-
rien zu reduzieren. Nur selten entstanden damals ordentliche Fried-
höfe vor den Toren der Stadt2; angesichts der gerade im 16. und
17. Jahrhundert allerorts nachzuweisenden Landflucht war aller-
dings auch hier zu erwarten, dass diese mit der anwachsenden
Stadtbevölkerung und dem damit verbundenen Flächenzuwachs
der Städte bald wieder innerhalb der Stadtgrenzen zu liegen
kämen und Mangelerscheinungen erneut entstünden.
Dem aufklärerisch Denkenden des 18. Jahrhunderts blieb dieser
Missstand nicht verborgen; zahlreiche medizinische Schriften die-
ser Zeit prangerten an, dass Luft und Erde durch die Verwesung
der Körpermassen verseucht, das Wohnen im Umfeld der Friedhö-
fe gesundheitlich nicht mehr zu vertreten sei.

Zur Entwicklungsgeschichte des
Osnabrücker Hasefriedhofes
Diskussionen um den Osnabrücker „Hase-Todtenhof"
Auch für Osnabrück sind spätestens für die 2. Hälfte des 18. Jahr-
hunderts erste Diskussionen belegt, deren Grundtenor von der
Forderung nach Auslagerung der Kirchfriedhöfe vor die Tore der
Stadt bestimmt war. Nach Jahren der Stagnation lebte die Diskus-
sion um 1800 wieder auf, ohne dass jedoch konkrete Schritte ein-
geleitet worden wären. Es wurde abgewogen, nach Argumenten
gesucht3, das Vorhaben gefördert und letztlich der Verlegung
zugestimmt - allerdings mit dem deutlichen Verweis auf spätere
Zeiten.
„Bey dem Osnabrückschen Department ist die Vorstellung des
Magistrats der Stadt Osnabrück vom 23. Juny, betreffend die künf-
tige Verlegung der Kirchhöfe außerhalb der Stadt seiner Zeit ein-
gegangen. So geneigt derselbe nun auch ist, diese zum Wohl und
Besten der Stadteinwohner gereichende Angelegenheit zu beför-
dern und zu unterstützen, so ist die Erreichung des gewünschten
Zweckes gegenwärtig schon etwas zu thun, dennoch durch die jet-
zigen Umstande behindert und sieht sich daher ungern genöthigt,
die wegen Verlegung der Kirchhöfe außerhalb der Stadt erforderli-
chen Maasregeln, bis zu ruhigeren Zeiten ausgesetzt seyn lassen
zu müssen."4
Die Worte sind eindeutig, die Diskussion scheint damit vorerst
beendet. Gleichzeitig wird die Kritik an den bestehenden Kirch-
friedhöfen immer lauter, an denen man neben den hygienischen
auch zunehmend ästhetische Mängel erkennt; dabei lassen alle
Äußerungen dieser Zeit erkennen, dass man weniger architekto-
nisch-repräsentative Strukturen als vielmehr die Gestaltung des
Friedhofs als eine gärtnerische Anlage vermisst. Zwar wird durch-
aus die unregelmäßige Stellung und räumliche Ballung verwitterter
Steine kritisiert, die die Kirchhöfe dunkel und als Ort des Todes
erscheinen lassen; ein stärkerer Makel sei jedoch, dass sich
dadurch der Eindruck reiner Natur, einer blühenden Wiese verlöre.
Sehr deutlich hat dies Johann Wolfgang von Goethe formuliert, als
er in seinen 1809 veröffentlichten „Wahlverwandtschaften" seine
Romanheldin Charlotte den örtlichen Kirchhof umgestalten und
die alten Grabsteine an die Außenmauern der kleinen Kirche ver-
setzen lässt: „Die sämtlichen Monumente waren von ihrer Stelle
gerückt und hatten an der Mauer, an dem Sockel der Kirche Platz
gefunden. Der übrige Raum war geebnet. Außer einem breiten
Wege, der zur Kirche und an derselben vorbei zu dem jenseitigen
Pförtchen führte, war das übrige alles mit verschiedenen Arten
Klee besäet, der auf das schönste grünte und blühte. [...] Niemand
konnte leugnen, dass diese Anstalt beim sonn- und festtäglichen
Kirchgang eine heitere und würdige Ansicht gewährte"5.
In gleicher Weise gibt auch ein an den Osnabrücker Magistrat
im Jahre 1806 gerichtetes Schreiben zu bedenken, dass es doch
auch im landesherrlichen Interesse liegen müsse „...einen höheren
wehrt [zu] erlangen, wenn man die in der Nähe geschmacklos
durcheinander liegenden Monumente der Sterblichkeit [ ] und
den offenen Platz, welcher jetzt einen nidrigen Eindruk erregt, zur
Zierde des Orths, in eine freundliche Promenade verwandeln
kann".6
Schließlich macht dem Ringen um die Verlegung und Neuge-
staltung der Kirchhöfe ein Dekret der neuen Regierung unter
König Jerome ein Ende, welches im Jahr 1808 jegliche innerstädti-
sche Bestattung untersagt und damit die Verlegung der Friedhöfe
vor die Tore der Stadt bestimmt:
„In diesen Jahren kam hier etwas zu Stande, woran man schon
lange vergeblich gearbeitet hatte, nämlich die Verlegung der Kirch-
höfe aus der Stadt. In dieser Frage wollte Jeder rathen: Der eine
nahm so und so viel Steine als sein Eigenthum in Anspruch, der
andere hatte eine Begräbnisstelle, konnte aber nicht angeben, wo
sie lag. Die neue Regierung zerhieb den gordischen Knoten: Sie

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