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Segers-Glocke, Christiane [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft: Naturraum - Mensch - Umwelt im Harz — Hameln: Niemeyer, Heft 21.2000

DOI Artikel:
Holger Schutkowski; Alexander Fabig; Bernd Herrmann: Schwermetallbelastung bei Goslarer Hüttenleuten des 18. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.51267#0101
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Mensch und Umwelt

hohen Konzentrationen eindeutig ein allgemeiner Entwicklungs-
trend abgrenzen (Abb. 3). Während letzte sich im Mittel in der
Größenordnung von 100 pg/g bewegen, zeigt sich außerhalb von
Montanregionen eine steigende Bleibelastung im Zeitverlauf: Noch
im Frühmittelalterwerden Schwermetallgehalte gefunden, die nur
geringfügig über den physiologischen Nullpunkten (siehe oben)
liegen. Mit dem Beginn der Urbanisierung im Zuge des hochmittel-
alterlichen Landesausbaus, etwa vom 10. Jahrhundert an, werden
dagegen erstmals und dauerhaft diese adaptiven Werte über-
schritten. Deutlich gesteigerte Konzentrationen fanden sich früh-
zeitig bereits in Stichproben von spätmittelalterlichen Klerikern,
vermutlich wegen der Benutzung bleihaltiger Tonwaren und Zinn-
geschirre. Dies muss in späterer Zeit auch für besser situierte bür-
gerliche Bevölkerungskreise angenommen werden. Mit zuneh-
mender Industrialisierung steigen die Bleikonzentrationen und
nähern sich allmählich den Werten hochbelasteter Bergbau- und
Industriereviere an. Erst Kontrollproben des 20. Jahrhunderts aus
unbelasteten, nicht schwermetallexponierten Gegenden liegen
wieder auf dem Niveau vorindustrieller Werte.
Derartige Daten, die aus Knochenproben gewonnen wurden,
vermitteln einen Eindruck von den realistischen, dauerhaften
Bleikonzentrationen zu Lebzeiten, da die Halbwertzeit von Blei im
Knochen ca. 20 Jahre beträgt. Das Skelett ist damit das geeignete
Monitororgan für Langzeitbelastungen, insbesondere auch für
historisches Biomonitoring. Blutbleigehalte, wie sie üblicherweise
in klinischen Untersuchungen erhoben werden, spiegeln dagegen
nur kurzzeitige Belastungen wider, da die Entgiftung über das
Skelett sehr effektiv funktioniert. So beträgt die Halbwertzeit von
Blei im Blut nur 21 Tage. Als Folge davon sind Konzentrationen
von Blei im Knochen bei akuter bzw. andauernder Exposition etwa
10-15 mal höher als im Blut (vgl. Schütz et al. 1987). Erste ernst-
hafte Schädigungen werden jedoch bereits bei Blutbleikonzentra-
tionen von > 4 pg/dl festgestellt. Diese Konzentrationen reichen
aus, um die Blutbildung negativ zu beeinflussen, ferner lassen sich
schon bei diesen Konzentrationen neurotoxische Effekte nachwei-
sen (Fergusson 1990). Einem solchen Bleititer im Blut entspricht
immerhin eine Knochenbleikonzentration von etwa 30-45 pg/g.
Diese Werte werden in der Goslarer Stichprobe regelhaft über-
schritten und sind, wie Abb. 3 zeigt, auch als allgemeines Belas-

tungsniveau keine Seltenheit. Da Knochen ein stoffwechselaktives
Organ sind, findet zudem eine kontinuierliche Einspeisung von Blei
in die Blutbahn statt, so dass zwar einerseits Blei im Zuge der
natürlichen Entgiftung in das Skelettsystem sequestriert wird,
andererseits eine stetige Zufuhr zurück in den Kreislauf stattfindet
und damit ein chronisches Gefährdungsniveau aufrecht erhalten
wird. Auch nach Beendigung der Exposition ist daher weiterhin ein
erhebliches Risikopotential gegeben, was sich an immer noch
deutlich erhöhten Bleigehaltswerten von Bleiarbeitern im Ruhe-
stand zeigen lässt (zum Beispiel Schütz et al. 1987).
Besonders gefährdet sind jedoch Kinder, deren schnellwach-
sender Organismus eine vier mal so hohe Resorptionsrate für Blei
aufweist wie der erwachsener Individuen (vgl. Fergusson 1990).
Für einige der Kinder, deren Knochen mehr als 100 pg/g Blei ent-
hielten, dürften diese Konzentrationen sehr wahrscheinlich letal
gewesen sein, bei anderen Individuen ist von schweren gesund-
heitlichen Schäden auszugehen. Jedoch bereits sehr viel geringere
Konzentrationen führen zu Beeinträchtigungen der Leistungs-
fähigkeit. Langjährige Forschungen über mögliche gesundheitliche
Auswirkungen lokal erhöhter Bleibelastungen auf die kindliche
Entwicklung haben entsprechende Hinweise auf erhebliche Ein-
bußen beim Konzentrationsvermögen, der Leistungsbereitschaft
und Aufmerksamkeit erbracht (Chaudhri / Ainsworth 1981. Duhm
et al. 1990. Stolley / Lasky 1995).
Die Beispiele verdeutlichen, dass nur Knochenelementgehalte
rezenter und historischer Stichproben und ihr Rückbezug auf
physiologische Nullpunkte eine biologisch sinnvolle Beurteilung
von Belastungen erlauben, an die sich Menschen im Verlauf ihrer
Entwicklung anpassen konnten und die damit unterhalb eines
potentiell oder tatsächlich toxischen Belastungsniveaus liegen.
Solche Daten sind von erheblicher Bedeutung für die Diskussion
und Festlegung von Grenzwerten. Damit weisen die hier durch-
geführten Untersuchungen über die Rekonstruktion historischer
Lebensbedingungen und Gesundheit hinaus, indem sie den
Gegenwartsbezug ermöglichen.

Abbildungsnachweis
1,3 Verfasser; 2 aus Löhneyß, 1617.

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