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Segers-Glocke, Christiane [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft: Naturraum - Mensch - Umwelt im Harz — Hameln: Niemeyer, Heft 21.2000

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Lutz Grunwald: Der Oberharz und sein unmittelbares Vorland. Ein Abriss der Siedlungsgeschichte vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung im 8. Jahrhundert n. Chr.
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https://doi.org/10.11588/diglit.51267#0057
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Mensch und Umwelt

Der Oberharz und sein unmittelbares Vorland. Ein Abriss der
Siedlungsgeschichte vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung
im 8. Jahrhundert n. Chr.

Lutz Grunwald

„Während das Vorland des Harzes bereits im 3. Jahrtausend v. Chr.
von einer bäuerlichen Bevölkerung besiedelt wurde und trotz aller
Wechsel der Siedlungen, der Völker und der Kulturen bis heute ein
Bauernland geblieben ist, war der Harz selbst bis in das 10. Jahr-
hundert hinein ein unzugängliches Waldgebirge. Da er nur selten
einmal von Menschen begangen wurde, sind aus ihm nur wenige
vor- und frühgeschichtliche Funde bekannt geworden" (Böhner
1978, VIII).
Mit diesen Worten umschreibt K. Böhner den Harz und sein
Umland in seinem Vorwort des „Führers zu vor- und frühge-
schichtlichen Denkmälern, Band 36, Westlicher Harz: Clausthal-
Zellerfeld - Osterode - Seesen", der anlässlich der vom 16. bis
zum 21. Mai 1978 in Goslar abgehaltenen Jahrestagung der Deut-
schen Verbände für Altertumsforschung erschienen ist. In diesen
kurzen Zeilen schwingt das auch heute noch verbreitet bestehen-
de Bild über diesen Gebirgszug als unwirtliche Landschaft mit, den
ein Wörterbuch etwa wie folgt umschreibt: Harz, norddeutsches
Mittelgebirge zwischen Leinesenke und Saaletal, rund 100 km
lang und 30 km breit, in Hochflächen gegliedert, die von höheren
Kuppen und Bergzügen überragt werden. Der im Verhältnis zum
Unterharz höhere und regenreiche Oberharz (höchster Berg:
Brocken, 1142 m über NN) im Nordwesten dieses Gebirges ist
dicht bewaldet und von Flüssen zertalt. Diese kurze Charakterisie-
rung der Oberharzregion bestätigt das allgemein geläufige Bild
einer feuchten und kühlen Landschaft, die man nicht mit einem
bevorzugten Siedlungsraum in Verbindung bringt. Vielmehr ist das
gängige Bild des Oberharzes als siedlungsfeindlich zu werten.
Wenn nun aber auch heute noch diesbezüglich eine eher negative
Einschätzung dieser Landschaft vorherrscht, wie muss das Bild des
Oberharzes erst in vorgeschichtlichen Epochen ausgesehen haben.
In einer Zeit vor Zentralheizung und warmer, regenundurchlässiger
Kleidung müssen die angesprochenen Faktoren sehr abstoßend
gewirkt haben. Angesichts dieses Sachverhaltes fragt man sich
sofort, ob es im Oberharz überhaupt eine vorgeschichtliche Be-
siedlung gegeben hat oder ob eine Aufsiedlung erst - wie dies
K. Böhner ausführte - nach dem Einsetzen der schriftlichen Über-
lieferung im 8. Jahrhundert ab dem 10. Jahrhundert n. Chr. mit
der damaligen Nutzung der Erze zur Metallherstellung erfolgte. In
der folgenden kurzen Zusammenfassung soll dieser Frage nach
einer knappen Forschungsgeschichte nachgegangen und die Spu-
ren menschlicher Anwesenheit summarisch zusammengestellt
werden. Hierbei kann es in diesem begrenzten Rahmen nicht das
Ziel sein, eine vollständige Vorlage der Siedlungshinweise vorzu-
legen. Vielmehr sollen im Zusammenhang mit vier Verbreitungs-
karten die verschiedenen Abschnitte der menschlichen Anwesen-
heit in der Oberharzregion aufgezeigt und lediglich in Einzelfällen
bestimmte Fundpunkte genauer angesprochen werden.
Wissenschaftliche Ansätze, den Besiedlungsbeginn, die Grün-
dung von Burgen und Städten und die Entwicklung des Bergbaues
im Oberharz zu ergründen, gehen bis in das 18. Jahrhundert
zurück. Zusammenfassende Arbeiten fehlen aber bis in das Jahr
1926. Damals nahm sich K. Schirwitz der „Frage der vorgeschicht-
lichen Besiedlung des Harzgebirges" an, die die Wissenschaft „bis-
her ziemlich unberücksichtigt gelassen" hatte (Schirwitz 1926, 1).
Er stellte ein Inventar aller damals bekannter Fundstellen auf, das

für den Oberharz eine deutliche Fundarmut aufweist. Dieses Bild
konnte F. Tenner zwei Jahre später für die Umgebung von Bad
Harzburg verdichten (Tenner 1928). Nach diesen vielversprechen-
den Ansätzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sollte aber erst der
persönliche Einsatz und das Interesse von W. Nowothnig in den
50er und 60er Jahren eine erneute Zusammenstellung und Diskus-
sion der nun doch zahlreicher nachzuweisenden Bodenfunde aus
dem Oberharz bedeuten (Nowothnig 1957. Ders. 1959. Vgl. auch
Nowothnig 1964). Sein besonderes Augenmerk galt in den 60er
Jahren der Interpretation der Funde aus dieser Region in Bezug auf
die Bergbauforschung. Bereits 1963 führte Nowothnig Objekte an,
die für einen Beginn des Erzabbaus im Oberharz während der
Bronzezeit zu sprechen schienen (Nowothnig 1963, 91-94). Ein
unumstößlicher Beweis lag hiermit aber nicht vor. Da an dieser
Interpretation auch Kritik geäußert wurde (Böhme 1978a, 30-32.
Ders. 1978b, 68 f.), wandte sich die wissenschaftliche Forschung
in den folgenden Jahren anderen Themen zu. Die Ansätze
Nowothnigs verhallten vorerst ohne weiteres Echo. Das Interesse
lag nun erneut in Gesamtdarstellungen zur Siedlungsgeschichte.
So legte O. Thielemann 1977 eine Übersicht zur Urgeschichte am
Nordharz vor. Im Zusammenhang mit der 1978 in Goslar abgehal-
tenen Archäologietagung erschien dann neben dem bereits an-
gesprochenen Führer, Band 36, auch der „Führer zu vor- und früh-
geschichtlichen Denkmälern, Band 35, Goslar - Bad Harzburg"
und eine Abhandlung zur Archäologie im südwestlichen Harzvor-
land (Claus 1978). Ende der 70er Jahre lag daher eine umfassende
Zusammenstellung der neuesten Erkenntnisse zur Siedlungsge-
schichte des Oberharzes vor. Leider blieben diese Publikationen für
die folgenden 21 Jahre die letzten zusammenfassenden Über-
sichtswerke zum Oberharz in der vorgeschichtlichen Zeit. Zwar
gibt es eine große Zahl von Einzelpublikationen zu bestimmten
Fundstellen oder Themenbereichen - wie dem im Mittelpunkt die-
ses Bandes stehenden Erzabbau -, eine auf den neuen Wissens-
stand zurückgehende Abhandlung zur Siedlungsgeschichte im
Oberharz vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung in der
Zeit um 800 n. Chr. fehlt aber leider. Dieses Desiderat der For-
schung aufzuzeigen und etwas zu füllen, soll auf den folgenden
Seiten im Ansatz versucht werden.
Die frühesten Hinweise auf die Anwesenheit von Menschen
gehören im Oberharzvorland sowie in dessen direkten Randlagen
- neben einem Faustkeil aus Schwiegershausen, Ldkr. Osterode am
Harz (Kohnke 1988, 116 f. Abb. 12,1) - mit Funden der nordöst-
lich von Scharzfeld, Ldkr. Osterode am Harz, gelegenen Einhorn-
höhle (Abb. 1) in das späte Mittelpaläolithikum. 1985 wurden hier
zufällig bei einer paläontologischen Untersuchung ein Abschlag-
kern und weitere Abschläge ausgegraben, die eindeutig die Bege-
hung dieser Höhle durch den Neandertaler (Homo sapiens
neanderthalensis) etwa um 45000 bis 40000 v. Chr. belegen (Veil
1989. Zusammenfassend: Thieme 1991,92 f. mit Abb. 26;
447-449). Ebenfalls in die Zeit vor der ab etwa 40000 v. Chr.
erfolgten Anwesenheit des modernen Menschen (Homo sapiens
sapiens) in Europa könnten zwei weitere Objekte aus dem Ldkr.
Osterode am Harz datieren: Nach dem Heimatforscher E. Anding
wurde bereits in den 30er-Jahren des 20. Jahrhundert in einem
Dolomitbruch südöstlich von Förste das bearbeitete Fragment

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