Mensch und Umwelt
Schwermetallbelastung bei Goslarer Hüttenleuten des 18. Jahrhunderts
Holger Schutkowski / Alexander Fabig / Bernd Herrmann
Das Skelett als Monitororgan für
Schadstoff belastungen
Neben der Vielzahl von innovativen Impulsen, die von der Metall-
nutzung auf die Entwicklung menschlicher Gemeinschaften aus-
gehen, führt die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen auch
zu einem vermehrten Eintrag von Schadstoffen in die Biosphäre. In
Form potentiell toxischer Altlasten stellen sie ein gesundheitliches
Risiko für zukünftige Generationen dar. Dieses Phänomen betrifft
nicht nur die Gegenwart, sondern reicht in erheblichem Maße in
die Geschichte zurück. Steigende Schwermetallbelastungen als
Folge einer zunehmenden Technisierung und Industrialisierung
lassen sich für Europa messbar mit dem Beginn des Landesausbaus
im Hochmittelalter erkennen. Punktuell kommt es auch deutlich
früher zu lokalen Anreicherungen von Schadstoffen, zum Beispiel
in traditionellen Bergbaugebieten, die auch heute noch durch
Bodenanalysen nachweisbar sind.
Damit führte die anthropogene Freisetzung von Schwermetal-
len bereits in historischer Zeit zu einer deutlichen Erhöhung von
Schadstoffkonzentrationen in der Umwelt, die das Ausmaß natür-
lich anstehender Konzentrationen vielfach um Größenordnungen
übersteigt. Tatsächlich erhält man jedoch über ein geochemisches
Screening zunächst nur Hinweise auf die potentielle Belastung
bzw. gesundheitliche Gefahr, der die Menschen durch die intensi-
vierte Nutzung von Metallen in den Bergbauzentren und, durch
den Ferntransport von Schadstoffen begünstigt, auch in bergbau-
fernen Gebieten ausgesetzt waren. Von Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang etwa die Ergebnissejüngster Untersuchungen
über den großräumigen atmosphärischen und fluvialen Transport
von Blei, die anhand von Fluss-, See- und Moorsedimenten
gewonnen wurden (Görres / Frenzei 1993. Renberg et al. 1994.
Hudson-Edwards / Macklin 1999. Weiss et al. 1999. Vgl. Beitrag
Frenzei / Kempter). Dies verdeutlicht die überregionalen Konse-
quenzen lokaler Schadstoffproduktionen, die auch für historische
Bevölkerungen zu messbaren unphysiologischen Einträgen von
Spurenelementen und daraus resultierenden Belastungen geführt
haben. Derartige Zusammenhänge sind für das nordwestliche
Harzvorland beschrieben worden: Noch Ende des 19. Jahrhunderts
waren nach Überflutungen der Innerste derart hohe Bleieinträge
durch den Harzer Bergbau in die Leineauen bis nach Hildesheim zu
verzeichnen, dass Teile des Großviehbestandes an Vergiftungsfol-
gen zugrunde gingen. Die Haltung von Enten und Gänsen war in
diesen Flussniederungen überhaupt nicht möglich (Günther 1888,
556 f. Vgl. Beitrag Deicke / Ruppert).
Ein direkter Zugang zur Erfassung und Bewertung von
Schwermetallexpositionen in historischen menschlichen Bevölke-
rungen wird nur durch die elementanalytische Untersuchung von
überdauerungsfähigen biogenen Materialien ermöglicht. Eine
Bestimmung von Schwermetallkonzentrationen im historischen
Zeitverlauf erhält damit die Funktion eines Monitors, mit dem Än-
derungen von Umwelt- und Lebensbedingungen festgestellt und
beurteilt werden können. Mit Hilfe der Analyse von Spurenele-
menten aus menschlichen Skelettfunden ist so die Möglichkeit ge-
geben, Schadstoffeinträge zu Lebzeiten auch lange Zeit nach dem
Tod eines Individuums nachzuweisen. Unter den Schwermetallen,
die in das Skelettsystem eingelagert werden, sind Blei, Cadmium,
Arsen und Antimon gut für derartige Untersuchungen geeignet.
Zunächst kann allerdings nicht zwischen der Belastung durch
Berufsausübung und dem Gefährdungsrisiko, dem jeder Bewoh-
ner einer großräumig betroffenen Region ausgesetzt war, unter-
schieden werden. Einzelfälle mit plausibler diagnostischer Zuord-
nung sind zwar beschrieben worden (Munizaga et al. 1975. Grupe
1988), insgesamt ist jedoch über berufs- oder sozialgruppendiffe-
rente Schadstoffbelastung in historischer Zeit wenig bekannt. Der-
artige Daten sind jedoch zwingend erforderlich, um eine kausale
Rückführung gemessener Schadstoffkonzentrationen auf bekann-
te Ursachen und Quellen der Kontamination zu ermöglichen.
Hüttenleute: eine Berufsgruppe mit lebenslangem
Schadstoffrisiko
Mit einer Untersuchung der Skelettfunde vom Friedhof des ehe-
maligen Goslarer Brüdernklosters, das im 18. Jahrhundert den
Bewohnern des Frankenberg-Viertels erlaubte, dort ihre Toten zu
bestatten (Klappauf 1996a), wurde dieser Frage nachgegangen.
Das Viertel gilt als traditionelles Wohnquartier der „silvani", also
jener Leute, die von der Verhüttung, in diesem Fall des Rammels-
berger Erzes, lebten und stellt damit einen der sehr seltenen Fälle
dar, für den die Sozialtopographie einer Stadt und die Ergebnisse
knochenchemischer Analysen direkt miteinander in Verbindung
gebracht werden können.
Ordnet man die Messwerte der Schwermetalle nach dem
Individualalter, zeigt sich als allgemeiner Trend ein kontinuierlicher
Anstieg der Bleikonzentrationen im Knochen mit steigendem
Individualalter (Abb. 1). Da Blei natürlicherweise im Zuge eines
Entgiftungsmechanismus dem Blutstrom entzogen und in das
Skelettsystem eingelagert wird, sind solche Werte die Folge einer
kontinuierlichen Exposition zu Lebzeiten. Nur so ist die Akkumula-
tion von zusätzlich in den Organismus eingetragenem Blei auf die
bereits vorhandene Konzentration vorheriger Expositionen zu
erklären, wobei die Exposition bis ins hohe Alter hinein angehalten
hat, und entsprechend auch die Einbindung in den Arbeitsprozess
ein Leben lang andauerte.
Der gegenüber jungen Erwachsenen relativ hohe Wert bei
den Kindern und Jugendlichen erklärt sich aus der erhöhten Stoff-
wechselrate des wachsenden Skelettes, mit der Folge, dass ver-
mehrt Blei in das Kristallgitter eingebaut wird. Gleichzeitig wird
hierdurch deutlich, dass es offenbar keine Möglichkeit gegeben
hat, die Heranwachsenden effektiv vor der Exposition mit Schwer-
metallen zu schützen, sondern dass sie in einer hochgradig mit
Schadstoffen angereicherten Umgebung aufgewachsen sind.
Auch die Gehalte der Elemente Cadmium und Arsen zeigen
einen allgemeinen Trend zur Anreicherung im Altersgang, so dass
sich parallele Befunde bei drei der hauptsächlich im Zuge der Ver-
hüttung anfallenden toxischen Elemente finden lassen.
Bei einem Vergleich der Schwermetallkonzentrationen zwi-
schen den Geschlechtern ist auffällig, dass sich gegenüber den
mittleren Konzentrationen in der Gesamtstichprobe nur unwesent-
liche Unterschiede ergeben, das heißt es besteht eine gleich starke
Exposition. Ist hieraus auf eine Einbindung der Frauen in den
Arbeitsprozess der Verhüttung zu schließen? Dies ist insofern
unwahrscheinlich, als spätestens seit dem 17./18. Jahrhundert
eine familiäre Organisation der Arbeit im Hüttenwesen im Harz
weitgehend unbekannt war, da seit dieser Zeit zentrale Hütten-
plätze bestanden, die das namengebende Kennzeichen der Tätig-
keit von silvani durch einen industriellen Fertigungsprozess ersetz-
ten (Abb. 2). Wenn also Frauen nicht in die Arbeitsgänge der
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Schwermetallbelastung bei Goslarer Hüttenleuten des 18. Jahrhunderts
Holger Schutkowski / Alexander Fabig / Bernd Herrmann
Das Skelett als Monitororgan für
Schadstoff belastungen
Neben der Vielzahl von innovativen Impulsen, die von der Metall-
nutzung auf die Entwicklung menschlicher Gemeinschaften aus-
gehen, führt die Gewinnung und Verarbeitung von Metallen auch
zu einem vermehrten Eintrag von Schadstoffen in die Biosphäre. In
Form potentiell toxischer Altlasten stellen sie ein gesundheitliches
Risiko für zukünftige Generationen dar. Dieses Phänomen betrifft
nicht nur die Gegenwart, sondern reicht in erheblichem Maße in
die Geschichte zurück. Steigende Schwermetallbelastungen als
Folge einer zunehmenden Technisierung und Industrialisierung
lassen sich für Europa messbar mit dem Beginn des Landesausbaus
im Hochmittelalter erkennen. Punktuell kommt es auch deutlich
früher zu lokalen Anreicherungen von Schadstoffen, zum Beispiel
in traditionellen Bergbaugebieten, die auch heute noch durch
Bodenanalysen nachweisbar sind.
Damit führte die anthropogene Freisetzung von Schwermetal-
len bereits in historischer Zeit zu einer deutlichen Erhöhung von
Schadstoffkonzentrationen in der Umwelt, die das Ausmaß natür-
lich anstehender Konzentrationen vielfach um Größenordnungen
übersteigt. Tatsächlich erhält man jedoch über ein geochemisches
Screening zunächst nur Hinweise auf die potentielle Belastung
bzw. gesundheitliche Gefahr, der die Menschen durch die intensi-
vierte Nutzung von Metallen in den Bergbauzentren und, durch
den Ferntransport von Schadstoffen begünstigt, auch in bergbau-
fernen Gebieten ausgesetzt waren. Von Bedeutung sind in diesem
Zusammenhang etwa die Ergebnissejüngster Untersuchungen
über den großräumigen atmosphärischen und fluvialen Transport
von Blei, die anhand von Fluss-, See- und Moorsedimenten
gewonnen wurden (Görres / Frenzei 1993. Renberg et al. 1994.
Hudson-Edwards / Macklin 1999. Weiss et al. 1999. Vgl. Beitrag
Frenzei / Kempter). Dies verdeutlicht die überregionalen Konse-
quenzen lokaler Schadstoffproduktionen, die auch für historische
Bevölkerungen zu messbaren unphysiologischen Einträgen von
Spurenelementen und daraus resultierenden Belastungen geführt
haben. Derartige Zusammenhänge sind für das nordwestliche
Harzvorland beschrieben worden: Noch Ende des 19. Jahrhunderts
waren nach Überflutungen der Innerste derart hohe Bleieinträge
durch den Harzer Bergbau in die Leineauen bis nach Hildesheim zu
verzeichnen, dass Teile des Großviehbestandes an Vergiftungsfol-
gen zugrunde gingen. Die Haltung von Enten und Gänsen war in
diesen Flussniederungen überhaupt nicht möglich (Günther 1888,
556 f. Vgl. Beitrag Deicke / Ruppert).
Ein direkter Zugang zur Erfassung und Bewertung von
Schwermetallexpositionen in historischen menschlichen Bevölke-
rungen wird nur durch die elementanalytische Untersuchung von
überdauerungsfähigen biogenen Materialien ermöglicht. Eine
Bestimmung von Schwermetallkonzentrationen im historischen
Zeitverlauf erhält damit die Funktion eines Monitors, mit dem Än-
derungen von Umwelt- und Lebensbedingungen festgestellt und
beurteilt werden können. Mit Hilfe der Analyse von Spurenele-
menten aus menschlichen Skelettfunden ist so die Möglichkeit ge-
geben, Schadstoffeinträge zu Lebzeiten auch lange Zeit nach dem
Tod eines Individuums nachzuweisen. Unter den Schwermetallen,
die in das Skelettsystem eingelagert werden, sind Blei, Cadmium,
Arsen und Antimon gut für derartige Untersuchungen geeignet.
Zunächst kann allerdings nicht zwischen der Belastung durch
Berufsausübung und dem Gefährdungsrisiko, dem jeder Bewoh-
ner einer großräumig betroffenen Region ausgesetzt war, unter-
schieden werden. Einzelfälle mit plausibler diagnostischer Zuord-
nung sind zwar beschrieben worden (Munizaga et al. 1975. Grupe
1988), insgesamt ist jedoch über berufs- oder sozialgruppendiffe-
rente Schadstoffbelastung in historischer Zeit wenig bekannt. Der-
artige Daten sind jedoch zwingend erforderlich, um eine kausale
Rückführung gemessener Schadstoffkonzentrationen auf bekann-
te Ursachen und Quellen der Kontamination zu ermöglichen.
Hüttenleute: eine Berufsgruppe mit lebenslangem
Schadstoffrisiko
Mit einer Untersuchung der Skelettfunde vom Friedhof des ehe-
maligen Goslarer Brüdernklosters, das im 18. Jahrhundert den
Bewohnern des Frankenberg-Viertels erlaubte, dort ihre Toten zu
bestatten (Klappauf 1996a), wurde dieser Frage nachgegangen.
Das Viertel gilt als traditionelles Wohnquartier der „silvani", also
jener Leute, die von der Verhüttung, in diesem Fall des Rammels-
berger Erzes, lebten und stellt damit einen der sehr seltenen Fälle
dar, für den die Sozialtopographie einer Stadt und die Ergebnisse
knochenchemischer Analysen direkt miteinander in Verbindung
gebracht werden können.
Ordnet man die Messwerte der Schwermetalle nach dem
Individualalter, zeigt sich als allgemeiner Trend ein kontinuierlicher
Anstieg der Bleikonzentrationen im Knochen mit steigendem
Individualalter (Abb. 1). Da Blei natürlicherweise im Zuge eines
Entgiftungsmechanismus dem Blutstrom entzogen und in das
Skelettsystem eingelagert wird, sind solche Werte die Folge einer
kontinuierlichen Exposition zu Lebzeiten. Nur so ist die Akkumula-
tion von zusätzlich in den Organismus eingetragenem Blei auf die
bereits vorhandene Konzentration vorheriger Expositionen zu
erklären, wobei die Exposition bis ins hohe Alter hinein angehalten
hat, und entsprechend auch die Einbindung in den Arbeitsprozess
ein Leben lang andauerte.
Der gegenüber jungen Erwachsenen relativ hohe Wert bei
den Kindern und Jugendlichen erklärt sich aus der erhöhten Stoff-
wechselrate des wachsenden Skelettes, mit der Folge, dass ver-
mehrt Blei in das Kristallgitter eingebaut wird. Gleichzeitig wird
hierdurch deutlich, dass es offenbar keine Möglichkeit gegeben
hat, die Heranwachsenden effektiv vor der Exposition mit Schwer-
metallen zu schützen, sondern dass sie in einer hochgradig mit
Schadstoffen angereicherten Umgebung aufgewachsen sind.
Auch die Gehalte der Elemente Cadmium und Arsen zeigen
einen allgemeinen Trend zur Anreicherung im Altersgang, so dass
sich parallele Befunde bei drei der hauptsächlich im Zuge der Ver-
hüttung anfallenden toxischen Elemente finden lassen.
Bei einem Vergleich der Schwermetallkonzentrationen zwi-
schen den Geschlechtern ist auffällig, dass sich gegenüber den
mittleren Konzentrationen in der Gesamtstichprobe nur unwesent-
liche Unterschiede ergeben, das heißt es besteht eine gleich starke
Exposition. Ist hieraus auf eine Einbindung der Frauen in den
Arbeitsprozess der Verhüttung zu schließen? Dies ist insofern
unwahrscheinlich, als spätestens seit dem 17./18. Jahrhundert
eine familiäre Organisation der Arbeit im Hüttenwesen im Harz
weitgehend unbekannt war, da seit dieser Zeit zentrale Hütten-
plätze bestanden, die das namengebende Kennzeichen der Tätig-
keit von silvani durch einen industriellen Fertigungsprozess ersetz-
ten (Abb. 2). Wenn also Frauen nicht in die Arbeitsgänge der
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