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Detlef Schmiechen-Ackermann
Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
len Faktor, von dem „Zustimmung" zum NS-Regime
ausgehen konnte.
Persuasive Vereinnahmung
Die Nationalsozialisten waren Meister der Propagan-
da, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie moderns-
te Mittel nutzten und ihre politischen Inszenierungen
sehr zielgerichtet einsetzten und eindrucksvoll gestal-
teten.19 Ein politischer Schlüsselbegriff der Weimarer
Zeit war die Idee einer „Volksgemeinschaft"20, die von
nahezu allen Parteien und sozialen Gruppen als posi-
tive Vision angesehen, aber auch ganz unterschiedlich
verstanden worden war. Die NS-Propaganda griff die-
se populäre Idee auf, sprach mit ihrer Interpretation
erfolgreich die Sehnsucht vieler Zeitgenossen nach
einer Überwindung der sozialen und politischen
Spaltung in der deutschen Gesellschaft an und trans-
portierte damit die Hoffnung auf einen nationalen
Wiederaufstieg, in dessen Rahmen die vielfältigen
Krisen der Weimarer Jahre überwunden werden soll-
ten. Das Regime setzte die Zauberformel der „Volks-
gemeinschaft" vor allem instrumentell zur Herr-
schaftssicherung ein und erzielte zumindest in Teilen
der Bevölkerung Erfolge durch eine derartige propa-
gandistische bzw. persuasive Vereinnahmung.
Affektive Vereinnahmung
Eng mit der Technik der propagandistischen Überre-
dung hängt auch ein weiterer Faktor zusammen, der
als affektive Vereinnahmung bezeichnet werden
kann. Es geht dabei nicht um Inhalte der Politik, son-
dern um Inszenierungen und Ästhetisierungen, die
politisch wirksam werden, es geht um den kollektiven
Rausch der Gefühle unter totalitären Vorzeichen.21
Die erhabene Aura eines Staatsaktes, die beeindru-
ckende Symbolkraft von Fahnen, Licht und Musik, das
Gemeinschaftserlebnis in einer ästhetisierten Massen-
veranstaltung, der wohl kalkuliert in Szene gesetzte
Auftritt des „Führers" und eine möglichst mitreißen-
de Rede - alle diese Elemente waren darauf ausge-
legt, den Charakter von Bedeutung herstellenden
Handlungen anzunehmen.22 Im performativen Akt des
Massenfestes zielte das NS-Regime darauf, die charis-
matische Integrationskraft Adolf Hitlers zu vertiefen
und zu erneuern. Mit Blick auf die große und derzeit
noch wenig erforschte Bedeutung dieser affektiven
Vereinnahmungstechniken - sowohl im NS-Staat als
übrigens auch im sowjetischen Stalinismus - ist die
Frage einer solchen zielgerichteten „Emotionspoli-
tik"23 erst jüngst als neues Forschungsfeld auf die
Tagesordnung der Diktaturforschung gesetzt worden.
Materielle Verlockungen
Die dichotomische Vorstellung einer nach rassisti-
schen und sozial-biologischen Kriterien strukturierten
Gesellschaft, nach der die Nationalsozialisten förde-
rungswürdige deutsche „Volksgenossen" hier und
auszugrenzende „Gemeinschaftsfremde" dort scharf
unterschieden, führte in der Praxis tatsächlich auch
dazu, dass durchschnittliche Deutsche spürbare sozia-
le Wohltaten erhielten. Das Ehestandsdarlehen konn-
te die Familiengründung erleichtern, die Ausschaltung
des unliebsamen jüdischen Konkurrenten verbesserte
die Wettbewerbssituation von „arischen" Gewerbe-
treibenden24, manche Familie profitierte von der Ver-
treibung der jüdischen Nachbarn, indem sie billig
Hausrat ersteigerte oder in eine komfortablere Woh-
nung umziehen konnte. Tatsächlich trieb auch die
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) nicht nur
Propaganda, sondern verschaffte in Not geratenen
deutschen „Volksgenossen" bisweilen auch spürbare
materielle Unterstützungen.25 Während der Kriegsjah-
re entwickelte sich die NSDAP vor allem in den vom
Bombenkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen
Städten immer stärker zur dominierenden lokalen
Ordnungsmacht und in ihrem Schlepptau die NSV zu
einer bei der Bewältigung der Alltagssorgen tätig wer-
denden Hilfsorganisation, die in der kollektiven Erin-
nerung vieler Zeitgenossen sehr positiv präsent blieb.26
Insofern ist als gesichert anzunehmen, dass es - ne-
ben den anderen zu berücksichtigenden Faktoren -
punktuell auch materielle Verbesserungen und soziale
Unterstützungsleistungen waren, die den Konsens mit
dem Regime beförderten.
Soziale Verheißungen
Überzeugender als die überstrapazierte These einer
unmittelbaren materiellen Bestechung ist die Überle-
gung, dass nicht nur reale Sozialleistungen das Ver-
halten beeinflussen und - in diesem Falle - die Dikta-
tur stabilisieren können, sondern auch überzeugend
vorgetragene Verheißungen für die Zukunft. Das NS-
Regime erzielte in dieser Hinsicht beeindruckende
Erfolge. So wurde die von Hitler persönlich propagier-
te Idee des „Volkswagens"27 schnell populär: 340.000
VW-Sparer gab es im „Dritten Reich" - von denen
freilich bis 1945 keiner seinen Wunschtraum nach
eigenem Automobil verwirklichen konnte, denn in der
Logik des Regimes hatte die Konzentration auf die
Rüstungsproduktion selbstverständlich Vorrang vor
der konsumorientierten Volksmotorisierung. Als
handfester erwies sich die Verlockung durch die tou-
ristischen Angebote der Freizeitorganisation „Kraft
durch Freude", an denen allein im Jahr 1938 über
zehn Millionen und zwischen 1934 und 1939 zusam-
men fast 48 Millionen Deutsche teilnahmen.28 Die in
der Propaganda herausgestellten spektakulären See-
reisen mit den KdF-Schiffen „Robert Ley" und „Wil-
helm Gustloff" machten dabei freilich weniger als 2%
aller KdF-Reisen aus. Zudem war auf diesen Kreuz-
fahrtschiffen - in deutlichem Kontrast zur Propaganda
der vermeintlich egalitären „Volksgemeinschaft" - die
Arbeiterschicht weit unter- und das Funktionärskorps
der NSDAP weit überrepräsentiert. Tatsächlich bestan-
Detlef Schmiechen-Ackermann
Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
len Faktor, von dem „Zustimmung" zum NS-Regime
ausgehen konnte.
Persuasive Vereinnahmung
Die Nationalsozialisten waren Meister der Propagan-
da, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil sie moderns-
te Mittel nutzten und ihre politischen Inszenierungen
sehr zielgerichtet einsetzten und eindrucksvoll gestal-
teten.19 Ein politischer Schlüsselbegriff der Weimarer
Zeit war die Idee einer „Volksgemeinschaft"20, die von
nahezu allen Parteien und sozialen Gruppen als posi-
tive Vision angesehen, aber auch ganz unterschiedlich
verstanden worden war. Die NS-Propaganda griff die-
se populäre Idee auf, sprach mit ihrer Interpretation
erfolgreich die Sehnsucht vieler Zeitgenossen nach
einer Überwindung der sozialen und politischen
Spaltung in der deutschen Gesellschaft an und trans-
portierte damit die Hoffnung auf einen nationalen
Wiederaufstieg, in dessen Rahmen die vielfältigen
Krisen der Weimarer Jahre überwunden werden soll-
ten. Das Regime setzte die Zauberformel der „Volks-
gemeinschaft" vor allem instrumentell zur Herr-
schaftssicherung ein und erzielte zumindest in Teilen
der Bevölkerung Erfolge durch eine derartige propa-
gandistische bzw. persuasive Vereinnahmung.
Affektive Vereinnahmung
Eng mit der Technik der propagandistischen Überre-
dung hängt auch ein weiterer Faktor zusammen, der
als affektive Vereinnahmung bezeichnet werden
kann. Es geht dabei nicht um Inhalte der Politik, son-
dern um Inszenierungen und Ästhetisierungen, die
politisch wirksam werden, es geht um den kollektiven
Rausch der Gefühle unter totalitären Vorzeichen.21
Die erhabene Aura eines Staatsaktes, die beeindru-
ckende Symbolkraft von Fahnen, Licht und Musik, das
Gemeinschaftserlebnis in einer ästhetisierten Massen-
veranstaltung, der wohl kalkuliert in Szene gesetzte
Auftritt des „Führers" und eine möglichst mitreißen-
de Rede - alle diese Elemente waren darauf ausge-
legt, den Charakter von Bedeutung herstellenden
Handlungen anzunehmen.22 Im performativen Akt des
Massenfestes zielte das NS-Regime darauf, die charis-
matische Integrationskraft Adolf Hitlers zu vertiefen
und zu erneuern. Mit Blick auf die große und derzeit
noch wenig erforschte Bedeutung dieser affektiven
Vereinnahmungstechniken - sowohl im NS-Staat als
übrigens auch im sowjetischen Stalinismus - ist die
Frage einer solchen zielgerichteten „Emotionspoli-
tik"23 erst jüngst als neues Forschungsfeld auf die
Tagesordnung der Diktaturforschung gesetzt worden.
Materielle Verlockungen
Die dichotomische Vorstellung einer nach rassisti-
schen und sozial-biologischen Kriterien strukturierten
Gesellschaft, nach der die Nationalsozialisten förde-
rungswürdige deutsche „Volksgenossen" hier und
auszugrenzende „Gemeinschaftsfremde" dort scharf
unterschieden, führte in der Praxis tatsächlich auch
dazu, dass durchschnittliche Deutsche spürbare sozia-
le Wohltaten erhielten. Das Ehestandsdarlehen konn-
te die Familiengründung erleichtern, die Ausschaltung
des unliebsamen jüdischen Konkurrenten verbesserte
die Wettbewerbssituation von „arischen" Gewerbe-
treibenden24, manche Familie profitierte von der Ver-
treibung der jüdischen Nachbarn, indem sie billig
Hausrat ersteigerte oder in eine komfortablere Woh-
nung umziehen konnte. Tatsächlich trieb auch die
Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) nicht nur
Propaganda, sondern verschaffte in Not geratenen
deutschen „Volksgenossen" bisweilen auch spürbare
materielle Unterstützungen.25 Während der Kriegsjah-
re entwickelte sich die NSDAP vor allem in den vom
Bombenkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen
Städten immer stärker zur dominierenden lokalen
Ordnungsmacht und in ihrem Schlepptau die NSV zu
einer bei der Bewältigung der Alltagssorgen tätig wer-
denden Hilfsorganisation, die in der kollektiven Erin-
nerung vieler Zeitgenossen sehr positiv präsent blieb.26
Insofern ist als gesichert anzunehmen, dass es - ne-
ben den anderen zu berücksichtigenden Faktoren -
punktuell auch materielle Verbesserungen und soziale
Unterstützungsleistungen waren, die den Konsens mit
dem Regime beförderten.
Soziale Verheißungen
Überzeugender als die überstrapazierte These einer
unmittelbaren materiellen Bestechung ist die Überle-
gung, dass nicht nur reale Sozialleistungen das Ver-
halten beeinflussen und - in diesem Falle - die Dikta-
tur stabilisieren können, sondern auch überzeugend
vorgetragene Verheißungen für die Zukunft. Das NS-
Regime erzielte in dieser Hinsicht beeindruckende
Erfolge. So wurde die von Hitler persönlich propagier-
te Idee des „Volkswagens"27 schnell populär: 340.000
VW-Sparer gab es im „Dritten Reich" - von denen
freilich bis 1945 keiner seinen Wunschtraum nach
eigenem Automobil verwirklichen konnte, denn in der
Logik des Regimes hatte die Konzentration auf die
Rüstungsproduktion selbstverständlich Vorrang vor
der konsumorientierten Volksmotorisierung. Als
handfester erwies sich die Verlockung durch die tou-
ristischen Angebote der Freizeitorganisation „Kraft
durch Freude", an denen allein im Jahr 1938 über
zehn Millionen und zwischen 1934 und 1939 zusam-
men fast 48 Millionen Deutsche teilnahmen.28 Die in
der Propaganda herausgestellten spektakulären See-
reisen mit den KdF-Schiffen „Robert Ley" und „Wil-
helm Gustloff" machten dabei freilich weniger als 2%
aller KdF-Reisen aus. Zudem war auf diesen Kreuz-
fahrtschiffen - in deutlichem Kontrast zur Propaganda
der vermeintlich egalitären „Volksgemeinschaft" - die
Arbeiterschicht weit unter- und das Funktionärskorps
der NSDAP weit überrepräsentiert. Tatsächlich bestan-