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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Schmiechen-Ackermann, Detlef: Inszenierte „Volksgemeinschaft": das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0019
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Detlef Schmiechen-Ackermann

Inszenierte „Volksgemeinschaft":
Das Beispiel der Reichserntedankfeste am Bückeberg 1933-1937

quell der nordischen Rasse" und von einem „Neuadel
aus Blut und Boden "geschwärmt.41
„Alles in der vom Blut-und-Boden-Kitsch triefenden
Programmgestaltung", so das Fazit des österreichi-
schen Historikers Kurt Bauer, „war darauf angelegt,
den Führermythos weiter zu stärken."42 In der forma-
len Gestaltung des Ablaufes lässt sich eine Anlehnung
an die christliche Liturgie erkennen:43 Den ersten Teil
bildete der rituell zelebrierte Einzug des auserwählten
Führers. Hitler schritt den frei gehaltenen Mittelweg
zur oberen Tribüne hinauf, winkte dabei jovial, schüt-
telte zahllose Hände, erhielt Blumen, wurde fotogra-
fiert - und brachte mit dieser als „Weg durch das
Volk" bezeichneten symbolischen Demonstration ge-
lebter „Volksgemeinschaft" bisweilen sogar den
minutengenauen Zeitplan der Feier in Verzug. Den
Höhepunkt der zweistündigen Kernveranstaltung bil-
dete eine Art „Verkündigung" in Gestalt einer
30minütigen Rede Hitlers, in der dieser sich als „ers-
ter Bauer und Arbeiter der Nation" präsentierte und
seine politischen Ideen anhand von plakativ gewähl-
ten und anbiedernden Gleichnissen erläuterte. Der
Bauernhof, so erklärte Hitler, sei ein Vorbild für den
Staat: „Einer, EIN Wille muss selbst in diesem kleinen
Staate, den der Bauernhof darstellt, die Arbeit eintei-
len, ordnen, zuweisen und damit bestimmen. Das ist
auch unsere Aufgabe, die Aufgabe derer, die nun ein-
mal vom Schicksal ausersehen worden sind, dieses

Volk zu führen."44Den dritten Abschnitt bildete eine
Art „Credo", in Gestalt von gemeinsamem Gesang
und „Heil"-Rufen durch die jubelnden Massen. Das
emotional ausgestaltete politische Ritual zielte darauf,
den pseudoreligiös überhöhten Glauben an den aus-
erwählten „Führer" und die Bindung der „Gefolg-
schaft" an ihn nachhaltig zu bestätigen und zu ver-
stärken. Dass solche Masseninszenierungen tatsäch-
lich auch Wirkung zeigten, ist durch den französi-
schen Botschafter Andre Franqois-Poncet glaubwür-
dig bestätigt worden, der berichtet hat, bei den Teil-
nehmern wie auch bei sich selbst nicht nur Begeis-
terung, sondern eine „romantische Erregung, mysti-
sche Ekstase, eine Art heiligen Wahn" registriert zu
haben.45
Positive Gemeinschaftserlebnisse können auch die
Motivation für fortgesetztes Engagement bilden und
die Zufriedenheit darüber fördern, einer erfolgreichen
„Bewegung" anzugehören. Im Rahmenprogramm
am Vorabend bzw. unmittelbar vor der Kundgebung
trugen Sing- und Spielkreise sowie Massenchöre von
bis zu 20.000 Personen ihre Darbietungen vor. Auch
Tanzveranstaltungen wurden organisiert. Gottes-
dienste leiteten den Festtag ein. Manche Teilnehmer
eigneten sich das Fest auch in ganz eigensinniger
Weise an, indem sie es zu einem Zechgelage machten
oder mit einem Urlaub im Weserbergland verbanden.
Trotz des riesigen organisatorischen Aufwandes funk-

1 Warten auf den „Führer". Foto des hannoverschen Fotografen Hampel vom Fest des Jahres 1933.
 
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