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Winghart, Stefan; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg bei Hameln: Diskussion über eine zentrale Stätte nationalsozialistischer Selbstinszenierung — Hameln: Niemeyer, Heft 36.2010

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Gelderblom, Bernhard: Das Reichserntedankfest als emotional hoch aufgeladenes Event
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https://doi.org/10.11588/diglit.51156#0032
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Bernhard Gelderblom

Das Reichserntedankfest als emotional hoch aufgeladenes Event

chische Grenze gelenkt und mit Soldaten belegt. Das
Fest hatte seine Schuldigkeit getan.
Gewalt
Beim Fest feiert die Volksgemeinschaft sich selbst und
ist ganz bei sich. Während die offizielle Rhetorik die
Einheit des Volkes in den Mittelpunkt stellte, machten
die Parteigenossen vor Ort unmissverständlich klar, wer
in keinem Fall zur Volksgemeinschaft zählen sollte.
Der Kreispropagandaleiter Hannover-Land in seinem
Aufruf 1933:12
„Erwarten will ich, daß aus dem Kreise Hannover-
Land sämtliche Züge mit 1200 Personen besetzt wer-
den. ... Zu Hause dürfen nur Lahme, Gebrechliche,
Faule, Träge und staatsverneinende Elemente bleiben."
Am kleinen Hameln, das zum „Nürnberg des Nor-
dens"'3 werden möchte, lässt sich zeigen, wie das Fest
des Deutschen Erntedanks Gewalt gegen Minder-
heiten produzierte.
„Zum Empfang muss ein nie dagewesener Schmuck
die Häuser der Stadt zieren."14 So hatte sich Ober-
bürgermeister Schmidt 1934 an die Bürger Hamelns
gewandt. Mitglieder der Ernsten Bibelforscher (Zeu-
gen Jehovas) wurden in diesem Jahr bei der Gestapo
denunziert, weil sie ihre Häuser nicht geschmückt hät-
ten. Regelmäßig für die Zeit des Festes wurden die
lokalen Sozialdemokraten und Kommunisten in
„Schutzhaft" genommen. Vom Sanitätsdienst waren
jüdische Arztpraxen ausgeschlossen. 1933 verwehr-
ten die Organisatoren jüdischen Geschäftsinhabern

an den Festtagen die Öffnung ihrer Läden.15 Wegen
der massiven Arisierungsmaßnahmen in Hameln hatte
sich dieses Problem 1934 erledigt. Am Hochzeitshaus
der Stadt Hameln, in dem sich ein Teil der Stadtver-
waltung befand, hing 1934 und 1935 ein Trans-
parent:16
„Umgang mit Juden - Ausschluss aus der Volksge-
meinschaft! "
Auf dem Pferdemarkt, auf dem damals der Wochen-
markt stattfand, standen zwei Holzschilder:
„Juden haben hier nichts zu schnüffeln!"
1936 hatten die Pioniere der Wehrmacht im Bü-
ckedorf sogar einen Friedhof mit Grabsteinen errich-
tet. Darüber heißt es in der Hamelner Deister- und
Weserzeitung:17
„Ein neues Dorf - und schon Tote? Ach, es waren
sicherlich keine Einwohner von Bückedorf. Sie waren
ortsfremd, ja sie waren landfremd, sie gehörten nie zu
uns. Und die Kreuze, die man ihnen setzte, waren zu-
viel des kirchlichen Segens; denn ihre Namen laute-
ten: Thälmann, Rosa Luxemburg ... na, und so weiter!"
Das Fest war ein gewaltsamer und totalitärer Versuch,
die von den Nationalsozialisten in Wahrheit tief ge-
spaltene Gesellschaft durch die symbolische Aufrich-
tung von Volksgemeinschaft zu überwinden. Zum
Fest als Ort der Integration und der „Zustimmung zur
Welt" gehört immer auch die potentielle Ausgren-
zung der Nonkonformen. Kitschiger, ritualisierter Ge-
meinschaftsidylle steht aggressives Vorgehen gegen

Sonntag, den 4. (Dftober 1936
21b 6 Mf>r vormittags: 2lnmarf<h ber Rolonncn
ber Jyeftteilnehmer.
Darbietungen : Bäuerliche Sleiterci, Bolfstänje,
Steigen oon bäuerlichen Spielen, £anj«
unb anbere ©ruppen.
Btufif unb (£hc’tl,ai'bietungen.
12 Mbr Beginn bes Staatsattes, Siebe bes Strichs-
minifters Dr. ©ocbbcls.
©ro^e Übungen ber 2Bchrmad>t unter Beteiligung s
oon Seilen bes §ecrcs unb ber fiuftwaffe.
Siebe bes Slcichsbaucrnführcrs Darre.
Siebe bes ftührers.
Sagcsfeucrroert.
Slbfahrt bes Führers.
Seenbigung bergeftveranftaltung auf bent
Siidcberg.
Unterhaltung aller Doltegenojien in t*cn ßcttftäbten rnnb
um ben Budeberg joroic in ber Stabt fytmelB.
Barictcbarbictiingcn, Tan^ unb Bolfebelnftigung.
| %rets bes Programms 20 %pf. |
d>eraung<bcr: ftaupropaganbaldtiung ber 71-5PUXI. • gering: tlerlag
fflr ?Sirtf<Väfi&w<rl>un4, Berlin SW 68, i)«b«mannftrafje • über'
tragung unb S>rutt: <5tbrfib«r fjannoixr • fteflaltnng: 2Sarli<fr,
fjcinnoeer • 2lnjeigeni>ert»altung: lila linketgttt < l
llnjtigtnlcitcr: -IDiltttlin UöftneiUr, in ffirma lila 2lnjtig<n «U.«®.,
Qflfinoutr, £d>lllet|'trafje 2$ • 2 50 44 • Huflage 100 000

PROGRAMM U. UBERSICHTSPLAN


14 Bückeberg, Ldkr. Hameln-Pyrmont. Festprogramm des Jahres 1936.
 
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