Stefan Winghart
Unbequeme Denkmale der NS-Zeit als denkmalpflegerische Aufgabe
59
Schwierigkeiten und Befürchtungen der Nutzer, (un-
freiwilligen) Eigentümer oder Nachbarn: Gemeinnutz
geht vor Eigennutz. Hier hat nach meinem Dafür-
halten die eingangs zitierte Staatsraison der Bundes-
republik, zu der eben auch die Verantwortung für das
Erbe des Nationalsozialismus gehört, Vorrang. Es kann
einfach nicht angehen, dass, um nur ein Beispiel zu
nennen, aus dem einzigen weitgehend vollendeten
Gauforum Deutschlands, das in Weimar von Gauleiter
Sauckel als Modell für alle weiteren und als Inbegriff
einer Architektur der totalen Macht errichtet wurde,
erst in seinem zentralen baulichen Bestandteil von
einem Kaufhaus besetzt und umgestaltet wird, dann
der martialische, mit Steinplatten belegte Aufmarsch-
platz begrünt und schließlich die unverputzten Fassa-
den noch in toskanischem Rot zu einer etwas groß
geratenen, aber doch niedlichen Reminiszenz mittel-
italienischer Bauten verkommt, weil die dort angesie-
delte Landesbehörde nicht die Kraft zur Auseinander-
setzung mit einem der wichtigsten und aufschluss-
reichsten baulichen Geschichtszeugnisse des Natio-
nalsozialismus aufbringen will I Wer die Opferorte ent-
sprechend würdigen will, kann dies nicht tun, indem
er die Täterorte versteckt oder camoufliert.
Ich hatte in der Aufzählung der Aufgaben der Denk-
malpflege den Begriff des Erhaltens nicht erwähnt. Ich
habe das mit Bedacht getan, denn die Denkmalpflege
ist eine wichtige, wenn auch nicht die letztlich ent-
scheidende Instanz im Umgang mit den baulichen Do-
kumenten des Nationalsozialismus. Dass ihre Position
hier nicht unbedingt eine einfache ist, lässt sich un-
schwer vorstellen. Sie steht einerseits in der Verant-
wortung, denn Fachwelt und Öffentlichkeit fragen
nach dem Beitrag der staatlichen Fachbehörde, den
sie zum Widerstand gegen Verdrängung und Ent-
sorgung geleistet oder versäumt hat. Welche Einzel-
gebäude wurden von den Inventarisatoren des Amtes
aus Gründen ihrer geschichtlichen, künstlerischen,
wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung
für die Allgemeinheit überhaupt als Denkmale festge-
setzt? In welcher Art und Weise versucht die prakti-
sche Denkmalpflege der Denkmaleigenschaft von
Bauten des Dritten Reiches gerecht zu werden? Wie
weit kann der Vorstellung der Denkmalpflege gegen-
über anderen privaten und öffentlichen Belangen
Geltung verschafft werden?
Andererseits ist allen Teilnehmern dieses Kolloquiums
durchaus bewusst, dass zwar die Bewertung und
Festlegung der Denkmaleigenschaft von Kulturdenk-
malen bei der Fachbehörde liegen, sie aber im Bauge-
nehmigungsverfahren keine Rolle spielt und auch die
kommunale Denkmalpflege hier lediglich einen Fach-
belang vertritt, über den sich die Baugenehmigungs-
behörde gegebenenfalls hinwegsetzen kann.
Mehr als in anderen Fällen ist hier die fachliche Argu-
mentation und Überzeugungskraft des Denkmalpfle-
gers gefordert und es ist die Pflicht der Fachleute, die
Entscheidungsträger in Land und Kommunen nach
dem jeweils aktuellen Stand von Forschung und Dis-
kussion zu informieren und zu beraten. Sollte aber
gerade in Fällen von unbequemen Denkmalen eine
Einigung zu Gunsten der denkmalpflegerischen
Belange nicht möglich sein, so muss die Last der
Entscheidung auf mehrere Schultern verteilt werden.
Ich halte es in solchen Fällen für geboten, wie hier im
Falle des Bückebergs, aber auch generell, Öffentlich-
keit herzustellen, um die Fachbehörden und Dienst-
stellen von ihrer zwangsläufig eingeengten Entschei-
dung über letztlich gesellschaftspolitische Fragen zu
entlasten. In diesen öffentlichen Zusammenhang ge-
hört auch die Reflektion darüber, in welcher Form den
von den Denkmalpflegern als schutzwürdig eingestuf-
ten Zeugnissen des NS-Staates die zu Recht gefor-
derte demokratisch-aufklärende Funktion als Steine
des Anstoßes zur konstanten Erinnerung und Ausein-
andersetzung mit der unbequemen Vergangenheit
beizutragen, zugewiesen werden kann.
Die Denkmalpflege kann nicht für gesamtgesell-
schaftliche Defizite im Umgang mit der Geschichte
des Nationalsozialismus verantwortlich zeichnen. Sie
darf jedoch in keinem Fall die öffentliche Auseinan-
dersetzung mit den architektonischen Hinterlassen-
schaften der NS-Zeit scheuen und muss, auch unter
Revision ehemaliger Standpunkte, zu einem historisch
fundierten, eindeutigen Votum für den Erhalt eines
unbequemen Erbes gelangen. Es steht außer Zweifel,
dass auch mit dem Reichserntedankfestgelände auf
dem Bückeberg bei Hameln auf diese Weise verfahren
werden muss.
Anmerkungen
1 Huse 1997, S. 34.
2 Ebenda.
Abbildungsnachweis
Archiv B. Gelderblom.
Unbequeme Denkmale der NS-Zeit als denkmalpflegerische Aufgabe
59
Schwierigkeiten und Befürchtungen der Nutzer, (un-
freiwilligen) Eigentümer oder Nachbarn: Gemeinnutz
geht vor Eigennutz. Hier hat nach meinem Dafür-
halten die eingangs zitierte Staatsraison der Bundes-
republik, zu der eben auch die Verantwortung für das
Erbe des Nationalsozialismus gehört, Vorrang. Es kann
einfach nicht angehen, dass, um nur ein Beispiel zu
nennen, aus dem einzigen weitgehend vollendeten
Gauforum Deutschlands, das in Weimar von Gauleiter
Sauckel als Modell für alle weiteren und als Inbegriff
einer Architektur der totalen Macht errichtet wurde,
erst in seinem zentralen baulichen Bestandteil von
einem Kaufhaus besetzt und umgestaltet wird, dann
der martialische, mit Steinplatten belegte Aufmarsch-
platz begrünt und schließlich die unverputzten Fassa-
den noch in toskanischem Rot zu einer etwas groß
geratenen, aber doch niedlichen Reminiszenz mittel-
italienischer Bauten verkommt, weil die dort angesie-
delte Landesbehörde nicht die Kraft zur Auseinander-
setzung mit einem der wichtigsten und aufschluss-
reichsten baulichen Geschichtszeugnisse des Natio-
nalsozialismus aufbringen will I Wer die Opferorte ent-
sprechend würdigen will, kann dies nicht tun, indem
er die Täterorte versteckt oder camoufliert.
Ich hatte in der Aufzählung der Aufgaben der Denk-
malpflege den Begriff des Erhaltens nicht erwähnt. Ich
habe das mit Bedacht getan, denn die Denkmalpflege
ist eine wichtige, wenn auch nicht die letztlich ent-
scheidende Instanz im Umgang mit den baulichen Do-
kumenten des Nationalsozialismus. Dass ihre Position
hier nicht unbedingt eine einfache ist, lässt sich un-
schwer vorstellen. Sie steht einerseits in der Verant-
wortung, denn Fachwelt und Öffentlichkeit fragen
nach dem Beitrag der staatlichen Fachbehörde, den
sie zum Widerstand gegen Verdrängung und Ent-
sorgung geleistet oder versäumt hat. Welche Einzel-
gebäude wurden von den Inventarisatoren des Amtes
aus Gründen ihrer geschichtlichen, künstlerischen,
wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung
für die Allgemeinheit überhaupt als Denkmale festge-
setzt? In welcher Art und Weise versucht die prakti-
sche Denkmalpflege der Denkmaleigenschaft von
Bauten des Dritten Reiches gerecht zu werden? Wie
weit kann der Vorstellung der Denkmalpflege gegen-
über anderen privaten und öffentlichen Belangen
Geltung verschafft werden?
Andererseits ist allen Teilnehmern dieses Kolloquiums
durchaus bewusst, dass zwar die Bewertung und
Festlegung der Denkmaleigenschaft von Kulturdenk-
malen bei der Fachbehörde liegen, sie aber im Bauge-
nehmigungsverfahren keine Rolle spielt und auch die
kommunale Denkmalpflege hier lediglich einen Fach-
belang vertritt, über den sich die Baugenehmigungs-
behörde gegebenenfalls hinwegsetzen kann.
Mehr als in anderen Fällen ist hier die fachliche Argu-
mentation und Überzeugungskraft des Denkmalpfle-
gers gefordert und es ist die Pflicht der Fachleute, die
Entscheidungsträger in Land und Kommunen nach
dem jeweils aktuellen Stand von Forschung und Dis-
kussion zu informieren und zu beraten. Sollte aber
gerade in Fällen von unbequemen Denkmalen eine
Einigung zu Gunsten der denkmalpflegerischen
Belange nicht möglich sein, so muss die Last der
Entscheidung auf mehrere Schultern verteilt werden.
Ich halte es in solchen Fällen für geboten, wie hier im
Falle des Bückebergs, aber auch generell, Öffentlich-
keit herzustellen, um die Fachbehörden und Dienst-
stellen von ihrer zwangsläufig eingeengten Entschei-
dung über letztlich gesellschaftspolitische Fragen zu
entlasten. In diesen öffentlichen Zusammenhang ge-
hört auch die Reflektion darüber, in welcher Form den
von den Denkmalpflegern als schutzwürdig eingestuf-
ten Zeugnissen des NS-Staates die zu Recht gefor-
derte demokratisch-aufklärende Funktion als Steine
des Anstoßes zur konstanten Erinnerung und Ausein-
andersetzung mit der unbequemen Vergangenheit
beizutragen, zugewiesen werden kann.
Die Denkmalpflege kann nicht für gesamtgesell-
schaftliche Defizite im Umgang mit der Geschichte
des Nationalsozialismus verantwortlich zeichnen. Sie
darf jedoch in keinem Fall die öffentliche Auseinan-
dersetzung mit den architektonischen Hinterlassen-
schaften der NS-Zeit scheuen und muss, auch unter
Revision ehemaliger Standpunkte, zu einem historisch
fundierten, eindeutigen Votum für den Erhalt eines
unbequemen Erbes gelangen. Es steht außer Zweifel,
dass auch mit dem Reichserntedankfestgelände auf
dem Bückeberg bei Hameln auf diese Weise verfahren
werden muss.
Anmerkungen
1 Huse 1997, S. 34.
2 Ebenda.
Abbildungsnachweis
Archiv B. Gelderblom.