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Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Umgang mit dem Original — Hannover: Niedersächsisches Landesverwaltungsamt, Heft 7.1988

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Boockmann, Hartmut: Kulturdenkmale als Geschichtsurkunden
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https://doi.org/10.11588/diglit.51140#0027
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gruppen von Wappen eingezeichnet, sogenannte Quaternio-
nen, die so etwas wie eine ins Bild gesetzte schematisierte
Reichsverfassung darstellten: König und Kurfürsten, zwei mal
vier Personen also, und dann je vier Herzöge, Markgrafen, Gra-
fen, Reichsstädte und so fort. Lüneburg kommt darunter
selbstverständlich nicht vor, aber es gehörte auch nicht zu den
nicht in diese Quaternionen aufgenommenen Reichsstädte,
und so hatten diese Quaternionen zum Beispiel in der Reichs-
stadt Überlingen einen legitimen Ort, wo man sie in Gestalt ge-
schnitzter Figuren heute sehen kann, nicht jedoch in diesem
Raum, wo sie der Fürstenreihe ganz direkt widersprachen und
wo sie zusammen mit dieser Fürstenreihe eine gleichsam zwei-
deutige politische Botschaft verkündeten, eine Botschaft, die
ebenso zweideutig war, wie die der Fürstenreihe durch die an-
gefügten Könige wurde, ebenso zweideutig auch wie der Sinn
der erwähnten Titelbilder der beiden Sachsenspiegelhand-
schriften.
Kulturdenkmale als Geschichtsurkunden: Ich hoffe, an diesen
Lüneburger Beispielen deutlich gemacht zu haben, daß die
Formulierung meines Themas eine schlichte Wahrheit aus-
spricht. Kulturdenkmale sind Dokumente, die uns ebenso viel
über vergangene Wirklichkeit mitteilen, wie Urkunden im enge-
ren Sinne oder schriftliche Quellen anderer Art. Weiterhin
möchte ich gezeigt haben, daß Kulturdenkmale nicht einfach
illustrieren oder in einem gefälligen Licht erscheinen lassen,
was wir aus den eigentlichen Quellen, nämlich den schrift-
lichen, ohnehin schon zu wissen glauben. Keine Frage, daß
Kulturdenkmale häufig so verwandt werden: als Illustration
dessen, was wir Historiker mit Worten ausdrücken, also in illu-
strierten historischen Büchern, aber natürlich auch in touristi-
schen Zusammenhängen und in sogenannten historischen
Ausstellungen zumal. Da ist ein Rathaus wie dieses dann ein-
fach ein Abbild hansischen Bürgertums. Die Hallenkirchen ste-
hen für den stadtbürgerlichen Geist, oder die Massivität früh-
romanischen Kirchen-Mauerwerks figuriert als Gegenstück
eines starken Königtums, wie es für die Zeit vor dem Investitur-
streit charakteristisch war. Gemalte Figuren zierlichen Ausse-
hens aus dem späten Mittelalter werden der höfischen Kultur
zugeschlagen. Pykniker stehen für bürgerliche Zusammen-
hänge - und so fort.
Mit solchen oberflächlichen Zusammenführungen ist, so
denke ich, nichts gewonnen - weder für den modernen Be-
trachter noch auch für jene Zeugnisse aus der Vergangenheit,
die Ihnen, den Denkmalpflegern, anvertraut sind.
Im Augenblick dürfen Sie sich eines öffentlichen Beifalls er-
freuen wie niemals zuvor. Ich könnte mir denken, daß Sie das
nicht nur beruhigt, sondern daß Sie auch befürchten, hinter
diesem Beifall könnte sich eine neue Form der Gefährdung
dessen verbergen, was zu bewahren Ihre Aufgabe ist.
Wer den Lübecker Markt seit einem Jahr nicht betreten hat
und ihn heute überquert, ist überrascht, dort ein Bauwerk zu
entdecken, das da bisher nicht stand. Diejenigen, die sich an
das alte Lübeck erinnern - nicht einmal an das vor dem Bom-
benkrieg, sondern bloß an das von 1952, werden diesen Bau
vielleicht wiedererkennen. Es handelt sich um den Kaak bzw.
die Butterbude, ein zweistöckiges Bauwerk, dessen obere
Etage der Pranger, also ein wichtiger Ort mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Strafrechts, war, während sich darunter Ver-
kaufsstände befanden. Dieses Bauwerk hatte den Krieg recht
gut überlebt. 1952 wurde es abgerissen - als eine Art von
Beleg für die nicht selten geäußerte Meinung, daß der Wieder-
aufbau Lübeck mehr geschadet habe als die Bomben des
Zweiten Weltkrieges, und im vergangenen Jahr wurde es neu
erbaut - in ziemlich veränderter Gestalt -, so daß es nun etwas
rätselhaft und wie eine Filmkulisse auf dem Lübecker Markt-
platz steht.

Man muß hier, so denke ich, sehr vorsichtig sein. Man muß
sich vor billiger Kritik ebenso hüten wie vor jenem Fundamen-
talismus, der bald nach Kriegsende den Wiederaufbau des
Goethehauses in Frankfurt als eine intellektuelle Ursünde er-
scheinen ließ und inzwischen doch wohl widerlegt sein dürfte.
Vielleicht wird das, was wir jetzt als Hollywood-Kulisse be-
trachten, in vier Jahrzehnten nur als ein weiteres Kapitel der
wechselvollen Geschichte jenes im Jahre 1952 abgerissenen
Bauwerks erscheinen.
Doch läßt sich der Geschmack und die denkmalpflegerische
Ethik des Jahres 2027 heute nicht antizipieren, und so darf
man 1987 vielleicht doch ein wenig darüber erschrecken, daß
die Vergangenheit hier genauso geistlos, wie sie 1952 weg-
geräumt wurde, 1986 neu errichtet worden ist, zumal es ja an
einigen anderen Orten durchaus ähnliche Resultate der ge-
genwärtigen Vergangenheitsverliebtheit gibt, die etwas ande-
res ist, als jenes mit einer gewissen Kenntnis angereichertes
Verhältnis zur Vergangenheit, das vielleicht auch für die Arbeit
des Denkmalpflegers das sicherste Fundament wäre.
Der Denkmalpfleger hat ja in den seltensten Fällen was er her-
richtet, auf Dauer in der Hand. Er muß es heutigen Nutzungen
überlassen, und anders ginge es auch nicht, falls nicht ein
beträchtlicher Teil unserer Welt zum Museum werden sollte.
Welche Nutzung erträglich ist, welche das alte Kulturdenkmal
depraviert und gar gefährdet - davon wird in den weiteren Vor-
trägen dieser Tagung noch die Rede sein und davon sollte
auch der professionelle Denkmalpfleger sprechen und nicht
ein Außenstehender wie ich.
Wenn Sie dem Außenstehenden, dem Sie nun schon so lange
zugehört haben, trotzdem noch ein paar kurze Sätze gestat-
ten, so würde ich sagen wollen, daß sich dem Denkmalpfleger,
der sich gegen die Integration der Resultate seiner Arbeit in die
gegenwärtige Freizeitindustrie zu wehren versucht, der Histori-
ker vielleicht als ein bescheidener Verbündeter anbieten kann.
Sein Beitrag würde einfach darin bestehen, daran zu erinnern,
wozu die heutigen Kulturdenkmale einmal gedient haben - be-
vor sie erstens zu Kunstwerken wurden, zweitens zu Patienten
in der Klinik des Denkmalpflegers und drittens zum Spielmate-
rial der Animateure.
Ob damit viel erreicht wird, steht dahin, zumal, und das haben
ja vielleicht ja auch meine Erörterungen gezeigt, eine so
scheinbar schlichte Frage wie die, welche nach dem ursprüng-
lichen Sinn der Ausstattung eines Rathauses fragt, eindeutige
Resultate nur selten erbringen wird. Und die Frage, was sich
aus solchen unsicheren Antworten für die Arbeit des Denkmal-
pflegers ergeben könnte, entzieht sich einer einfachen Antwort
erst recht.
Trotzdem ist am Ende das Geschäft der Denkmalpfleger von
dem Historiker so weit vielleicht nicht entfernt. Ob das die
Denkmalpfleger stets wissen, weiß ich nicht. Daß die Histori-
ker es oft übersehen, ist mir nur allzu bekannt. Ich würde mich
freuen, wenn die anwesenden Denkmalpflegerinnen und
Denkmalpfleger sich mit dem Gedanken befreunden könnten,
daß gelegentlich von Seiten der Historiker Hilfe bei den
schweren Aufgaben der Denkmalpflege eingefordert werden
könnte.1
Anmerkung
1 Die meisten der genannten Ausstattungsstücke aus mittelalter-
lichen Rathäusern sind abgebildet und kommentiert in: H. Boock-
mann, Die Stadt im späten Mittelalter, 2. Auflage 1987 (Abb. 204f.,
207, 209, 220f, 236, 256, 442, 502, 512f.). Hier auch weiterfüh-
rende Literatur.

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